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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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Möbel oder Architekturstück wir einem Citat aus antiken Schriftstellern be¬
legen könnte. Unsere Sprache hat für die äußerste Imitation dieser Art
einen Ausdruck, der sehr bezeichnend ist: wir reden von "lächerlicher Ähnlich¬
keit"; diese ist hier im höchsten Grade vorhanden. Die Bildchen wirken wie
Witze und sind es eigentlich auch, denn der Versuch, Etwas zur Totalität
des wirklichen Lebens zu reconstruiren, was uns blos aus leblosen Ueber¬
resten bekannt ist, macht in der That einen komischen Effekt. -- Bescheiden sich
solche Darstellungen im Stilleben oder in kleinem Genremotiv, dann kann
eine rein künstlerische Wirkung sehr wohl erreicht werden. Das sieht man
an einem recht hübschen Bilde von Stückelberg in Basel, der zwar bei
weitem nicht mit der Fertigkeit und Kenntniß des Belgiers, aber mit glück¬
licher Erfindung die Scene schildert, wie ein Gaukler einem altgriechischen
Liebespaar Marionettenfiguren von Göttern producirt -- eine lukianische
Gruppe, deren eigenes harmloses Amüsement für den Beschauer durch den
Reiz des Fremdartigen gesteigert wird. Versteigt sich aber der Maler in
eine höhere Region, dann ist der unfreiwillige Humor die Strafe. Sowie
wir an einer dramatischen Handlung das Kostüm im weiten Umfange des
Worts d. h. das Ethnographische der Handelnden als Hauptsache empfinden,
ist bei der bildenden Kunst wie bet der Poesie, die ethische Wirkung aus
und das Ganze wird Curiosität oder Travestie. So das kleine Bild, worauf
Alma Tadema den stolzen Tarquinier Disteln köpfend die Gesandten von
Gabii empfangen läßt. Hier wundert man sich, daß diese Figuren in ihrem
maskeradenhaft etrurischen Aufputz nicht selbst in Gelächter ausbrechen; denn
Handlung und Erscheinung sind in demselben Maße ästhetisch incongruent,
in welchem sie antiquarisch richtig sind. Eine quantitative Grenze gibt diesen
sujets ferner der Maßstab. Sollte schon das in heimischen Vorstellungen sich
bewegende Genrebild eine gewisse Größe nicht überschreiten, die sich stark
unter dem Leben hält, so ist diesen fremdartigen Stoffen, die eben immer
genrehaft bleiben, wie hoch man auch die Sohlen machen mag, die Lebens¬
größe vollends schädlich. Die "Siesta" desselben belgischen Virtuosen zeigt
zwei griechische Männer (Dichter ocer Philosophen) mit vollkommen ana-
kreontischer Ungenirtheit auf dem Pfühl ausgestreckt; eine traite Sclavin tulit
sie mit den Tönen der Doppelflöte in Schlummer -- wieder alles correct
nach Aglaophamos oder Eharikles, aber Garderobe und Geräthschaften ganz
allein für sich würden dieselbe oder noch packendere Wirkung machen, denn
die Langeweile ins Griechische oder in die naturgroße übersetzt wird nur noch
langweiliger. Sehr anziehend aber ist daneben das Bildchen aus dem Hof¬
leben der Merovinger; hier ist der Stoff wirklich künstlerisch bezwungen.

Als Extrem im Bereiche der Darstellung antiker Gegenstände möchten
Wir Feuervach's "Gastmahl des Platon" anführen. Ebenfalls in lebens-


Möbel oder Architekturstück wir einem Citat aus antiken Schriftstellern be¬
legen könnte. Unsere Sprache hat für die äußerste Imitation dieser Art
einen Ausdruck, der sehr bezeichnend ist: wir reden von „lächerlicher Ähnlich¬
keit"; diese ist hier im höchsten Grade vorhanden. Die Bildchen wirken wie
Witze und sind es eigentlich auch, denn der Versuch, Etwas zur Totalität
des wirklichen Lebens zu reconstruiren, was uns blos aus leblosen Ueber¬
resten bekannt ist, macht in der That einen komischen Effekt. — Bescheiden sich
solche Darstellungen im Stilleben oder in kleinem Genremotiv, dann kann
eine rein künstlerische Wirkung sehr wohl erreicht werden. Das sieht man
an einem recht hübschen Bilde von Stückelberg in Basel, der zwar bei
weitem nicht mit der Fertigkeit und Kenntniß des Belgiers, aber mit glück¬
licher Erfindung die Scene schildert, wie ein Gaukler einem altgriechischen
Liebespaar Marionettenfiguren von Göttern producirt — eine lukianische
Gruppe, deren eigenes harmloses Amüsement für den Beschauer durch den
Reiz des Fremdartigen gesteigert wird. Versteigt sich aber der Maler in
eine höhere Region, dann ist der unfreiwillige Humor die Strafe. Sowie
wir an einer dramatischen Handlung das Kostüm im weiten Umfange des
Worts d. h. das Ethnographische der Handelnden als Hauptsache empfinden,
ist bei der bildenden Kunst wie bet der Poesie, die ethische Wirkung aus
und das Ganze wird Curiosität oder Travestie. So das kleine Bild, worauf
Alma Tadema den stolzen Tarquinier Disteln köpfend die Gesandten von
Gabii empfangen läßt. Hier wundert man sich, daß diese Figuren in ihrem
maskeradenhaft etrurischen Aufputz nicht selbst in Gelächter ausbrechen; denn
Handlung und Erscheinung sind in demselben Maße ästhetisch incongruent,
in welchem sie antiquarisch richtig sind. Eine quantitative Grenze gibt diesen
sujets ferner der Maßstab. Sollte schon das in heimischen Vorstellungen sich
bewegende Genrebild eine gewisse Größe nicht überschreiten, die sich stark
unter dem Leben hält, so ist diesen fremdartigen Stoffen, die eben immer
genrehaft bleiben, wie hoch man auch die Sohlen machen mag, die Lebens¬
größe vollends schädlich. Die „Siesta" desselben belgischen Virtuosen zeigt
zwei griechische Männer (Dichter ocer Philosophen) mit vollkommen ana-
kreontischer Ungenirtheit auf dem Pfühl ausgestreckt; eine traite Sclavin tulit
sie mit den Tönen der Doppelflöte in Schlummer — wieder alles correct
nach Aglaophamos oder Eharikles, aber Garderobe und Geräthschaften ganz
allein für sich würden dieselbe oder noch packendere Wirkung machen, denn
die Langeweile ins Griechische oder in die naturgroße übersetzt wird nur noch
langweiliger. Sehr anziehend aber ist daneben das Bildchen aus dem Hof¬
leben der Merovinger; hier ist der Stoff wirklich künstlerisch bezwungen.

Als Extrem im Bereiche der Darstellung antiker Gegenstände möchten
Wir Feuervach's „Gastmahl des Platon" anführen. Ebenfalls in lebens-


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[0432] Möbel oder Architekturstück wir einem Citat aus antiken Schriftstellern be¬ legen könnte. Unsere Sprache hat für die äußerste Imitation dieser Art einen Ausdruck, der sehr bezeichnend ist: wir reden von „lächerlicher Ähnlich¬ keit"; diese ist hier im höchsten Grade vorhanden. Die Bildchen wirken wie Witze und sind es eigentlich auch, denn der Versuch, Etwas zur Totalität des wirklichen Lebens zu reconstruiren, was uns blos aus leblosen Ueber¬ resten bekannt ist, macht in der That einen komischen Effekt. — Bescheiden sich solche Darstellungen im Stilleben oder in kleinem Genremotiv, dann kann eine rein künstlerische Wirkung sehr wohl erreicht werden. Das sieht man an einem recht hübschen Bilde von Stückelberg in Basel, der zwar bei weitem nicht mit der Fertigkeit und Kenntniß des Belgiers, aber mit glück¬ licher Erfindung die Scene schildert, wie ein Gaukler einem altgriechischen Liebespaar Marionettenfiguren von Göttern producirt — eine lukianische Gruppe, deren eigenes harmloses Amüsement für den Beschauer durch den Reiz des Fremdartigen gesteigert wird. Versteigt sich aber der Maler in eine höhere Region, dann ist der unfreiwillige Humor die Strafe. Sowie wir an einer dramatischen Handlung das Kostüm im weiten Umfange des Worts d. h. das Ethnographische der Handelnden als Hauptsache empfinden, ist bei der bildenden Kunst wie bet der Poesie, die ethische Wirkung aus und das Ganze wird Curiosität oder Travestie. So das kleine Bild, worauf Alma Tadema den stolzen Tarquinier Disteln köpfend die Gesandten von Gabii empfangen läßt. Hier wundert man sich, daß diese Figuren in ihrem maskeradenhaft etrurischen Aufputz nicht selbst in Gelächter ausbrechen; denn Handlung und Erscheinung sind in demselben Maße ästhetisch incongruent, in welchem sie antiquarisch richtig sind. Eine quantitative Grenze gibt diesen sujets ferner der Maßstab. Sollte schon das in heimischen Vorstellungen sich bewegende Genrebild eine gewisse Größe nicht überschreiten, die sich stark unter dem Leben hält, so ist diesen fremdartigen Stoffen, die eben immer genrehaft bleiben, wie hoch man auch die Sohlen machen mag, die Lebens¬ größe vollends schädlich. Die „Siesta" desselben belgischen Virtuosen zeigt zwei griechische Männer (Dichter ocer Philosophen) mit vollkommen ana- kreontischer Ungenirtheit auf dem Pfühl ausgestreckt; eine traite Sclavin tulit sie mit den Tönen der Doppelflöte in Schlummer — wieder alles correct nach Aglaophamos oder Eharikles, aber Garderobe und Geräthschaften ganz allein für sich würden dieselbe oder noch packendere Wirkung machen, denn die Langeweile ins Griechische oder in die naturgroße übersetzt wird nur noch langweiliger. Sehr anziehend aber ist daneben das Bildchen aus dem Hof¬ leben der Merovinger; hier ist der Stoff wirklich künstlerisch bezwungen. Als Extrem im Bereiche der Darstellung antiker Gegenstände möchten Wir Feuervach's „Gastmahl des Platon" anführen. Ebenfalls in lebens-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/432>, abgerufen am 22.07.2024.