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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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centistenkunst auf und unter gesunden Verhältnissen konnte in dieser Richtung
hier so gut wie in Italien das Höchste erreicht werden, denn die Fühlung
mit der classischen Kunst fehlte nicht. Bei den Holländern dagegen ist das
Verhältniß zu den Altmeistern eine Vernunftheirath, ein Resultat der Re¬
flexion. Das treffliche Mittel, am Studium der mittelalterlichen Meister sich
in die Geheimnisse der Formenstrenge und des stilvollen Colorits einzulernen,
schützt, wenn es Zweck wird, vor dem Widerspruche nicht. Je naiver man
erscheinen will, desto gesuchter wird man, und schließlich verwandelt sich die
Unschuld erst recht in Coquetterie. Mit Vorliebe sehen wir diese Richtung
eine ganz historische Schönheit anstreben, bei welcher die innere Beziehung
zum Urheber immer mehr verschwindet. So gibt uns hier de Vriendt
ein kleines Bild "aus der Geschichte Karls des V.": der Gegenstand spricht
sich nicht aus; ein Paar Figuren, dabei ein Knabe, üben ihre Andacht in
einer reichdecorirten Kapelle; es ist eine distinguirte gedankenlose Gesellschaft,
die nur das Leben der Race und den absoluten Zustand ausdrückt. So
meisterhaft bei aller Härte die Farbenbehandlung auch ist, sie kennt Nichts
als den Localton, Alles erscheint wie Stoff; die Gestalten sind ganz aus die
Fläche projicirt und mit Aengstlichkeit vor dem wenn auch schon seit 300
Jahren modernen Element der Lustperspektive behütet. Etwas mehr Atmo¬
sphäre zeigt Linnig's "flämische Stickerin", aber die Tendenz ist dieselbe:
die eigenthümliche, bei aller Kraft der Farbensubstanz doch blöde Wirkung des
Mosaiks wird auch hier nicht überwunden, ja sie ist ausdrückliche Absicht.
Mit dieser Repristinationssucht, so anziehend bei alledem ihr Effekt sein kann,
wird man schließlich in die reine Teppichmalerei gerathen, wenn nicht die Wahl
der Stoffe einen Ausweg ebnet, auf dem sich z. B. Alma Tadema
mit der Leichtigkeit und Sicherheit des Tänzers bewegt. Offenbar liegt
ein großer Reiz in der drastischen' Belebung von sujets aus dem Alter¬
thume. Seit die modernen Franzosen, geführt von Geröme, die Eindrücke
der immer mehr sich füllenden Museen in Darstellungen aus dem Leben der
Aegypter, Griechen und Römer zu verwerthen anfingen, ist dieser Geschmack
schnell populär geworden. Hier nun haben wir den neusten Routinisten dieser
Richtung in einer ganzen kleinen Gall.crie vor uns. Er zeigt uns die Cul¬
tusgebräuche der Pharaonischen Aegypter bei der Beisetzung einer Mumie,
einen jungen Herrn vom Nil, vielleicht den Architekten einer Pyramide von
Ghizeh, in der Morgentoilette, dann die Kaiserin Agrippina in düsterem Ge¬
mach, oder die lockere Lesbia im Atrium ihres ebenso wohnlichen wie gast¬
lichen Hauses, den Sperling betrauernd, der auf ihrem Schooße liegt ("?asssr
wortuus est meae xueU-w") -- alles mit höchster Meisterschaft und Sub-
tilität gemalt und mit solcher Detailkenntniß der Privatalterthümer erfun¬
den und gezeichnet, daß man jedes Kleid, jeden Schmuckgegenstand, jedes


centistenkunst auf und unter gesunden Verhältnissen konnte in dieser Richtung
hier so gut wie in Italien das Höchste erreicht werden, denn die Fühlung
mit der classischen Kunst fehlte nicht. Bei den Holländern dagegen ist das
Verhältniß zu den Altmeistern eine Vernunftheirath, ein Resultat der Re¬
flexion. Das treffliche Mittel, am Studium der mittelalterlichen Meister sich
in die Geheimnisse der Formenstrenge und des stilvollen Colorits einzulernen,
schützt, wenn es Zweck wird, vor dem Widerspruche nicht. Je naiver man
erscheinen will, desto gesuchter wird man, und schließlich verwandelt sich die
Unschuld erst recht in Coquetterie. Mit Vorliebe sehen wir diese Richtung
eine ganz historische Schönheit anstreben, bei welcher die innere Beziehung
zum Urheber immer mehr verschwindet. So gibt uns hier de Vriendt
ein kleines Bild „aus der Geschichte Karls des V.": der Gegenstand spricht
sich nicht aus; ein Paar Figuren, dabei ein Knabe, üben ihre Andacht in
einer reichdecorirten Kapelle; es ist eine distinguirte gedankenlose Gesellschaft,
die nur das Leben der Race und den absoluten Zustand ausdrückt. So
meisterhaft bei aller Härte die Farbenbehandlung auch ist, sie kennt Nichts
als den Localton, Alles erscheint wie Stoff; die Gestalten sind ganz aus die
Fläche projicirt und mit Aengstlichkeit vor dem wenn auch schon seit 300
Jahren modernen Element der Lustperspektive behütet. Etwas mehr Atmo¬
sphäre zeigt Linnig's „flämische Stickerin", aber die Tendenz ist dieselbe:
die eigenthümliche, bei aller Kraft der Farbensubstanz doch blöde Wirkung des
Mosaiks wird auch hier nicht überwunden, ja sie ist ausdrückliche Absicht.
Mit dieser Repristinationssucht, so anziehend bei alledem ihr Effekt sein kann,
wird man schließlich in die reine Teppichmalerei gerathen, wenn nicht die Wahl
der Stoffe einen Ausweg ebnet, auf dem sich z. B. Alma Tadema
mit der Leichtigkeit und Sicherheit des Tänzers bewegt. Offenbar liegt
ein großer Reiz in der drastischen' Belebung von sujets aus dem Alter¬
thume. Seit die modernen Franzosen, geführt von Geröme, die Eindrücke
der immer mehr sich füllenden Museen in Darstellungen aus dem Leben der
Aegypter, Griechen und Römer zu verwerthen anfingen, ist dieser Geschmack
schnell populär geworden. Hier nun haben wir den neusten Routinisten dieser
Richtung in einer ganzen kleinen Gall.crie vor uns. Er zeigt uns die Cul¬
tusgebräuche der Pharaonischen Aegypter bei der Beisetzung einer Mumie,
einen jungen Herrn vom Nil, vielleicht den Architekten einer Pyramide von
Ghizeh, in der Morgentoilette, dann die Kaiserin Agrippina in düsterem Ge¬
mach, oder die lockere Lesbia im Atrium ihres ebenso wohnlichen wie gast¬
lichen Hauses, den Sperling betrauernd, der auf ihrem Schooße liegt („?asssr
wortuus est meae xueU-w") — alles mit höchster Meisterschaft und Sub-
tilität gemalt und mit solcher Detailkenntniß der Privatalterthümer erfun¬
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/431>, abgerufen am 22.07.2024.