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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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"furchtbare" Summen verausgabt hatte. Das ganze Contingent der Anhänger
des Componisten, dazu Neugierige und Schriftsteller waren in Schaaren von
weit und breit herzugeströmt. Wer von allen diesen erst am Samstag in
München eintraf, sah sich jedoch leider getäuscht, denn die annoneirte Auf¬
führung fand nicht statt.

Wie früher schon, als Hunderte von Fremden vergebens zur ersten
Tristanausführung herbeigekommen waren, mußten auch jetzt wieder die
meisten abreisen, ohne ihren Zweck erreicht zu haben. Man sagt, die Dar¬
stellung sei in erster Linie am Widerspruche des jungen Capellmeisters
Richter gescheitert, der das Ganze noch nicht für reif genug zur Ausführung
hielt; anderntheils sollen aber auch besonders die Wagnerenthusiasten sich be¬
züglich der Wirkungsfähigkeit des neuen Werkes, das in der Hauptprobe
das Publicum vollständig kalt ließ, bitter getäuscht gesehen und deshalb gegen
die Vorstellung protestirt haben. Wie dem auch sei, wir können nur von
der Hauptprobe sprechen, die am Freitag Abend mit Aufwand alles sceni-
nischen Pompes stattfand und recht gut für eine Aufführung gelten kann.
Die Intendanz hatte in öffentlichen Blättern und unmittelbar vor der Probe
nochmals durch den Regisseur die Versammlung um Nachsicht bitten lassen,
falls die äußerst complicirte Maschinerie ihre Schuldigkeit nicht vollständig
thun sollte. Eben deswegen sollte der Eintritt zur Hauptprobe auch nur
Musikern von Fach oder Berichterstattern auswärtiger Blätter genehmigt
werden, um die wünschenswerthe Einsicht und Rücksicht bei den Zuhörern
voraussetzen zu können. Am Abend fanden sich jedoch sämmtliche Sperrsitze
und das ganze Parterre dicht angefüllt und waren mindestens 5--600 Per¬
sonen anwesend. Wie das kam, vermochte Niemand zu erklären. Eine
solche Masse bewahrt ein Geheimniß schlecht und wir befinden uns gewiß
nicht allein in dem Falle, von dieser merkwürdigen Probe einen Bericht zu
geben, ja wir sind dies um so mehr schuldig, als möglicherweise die Auf¬
führung lange hinausgeschoben wird und wir selbst, wenn sie stattfindet, nicht
geneigt sind, nochmals die Qual dieser Musik über uns ergehen zu lassen.
Zudem liegt das Werk im Klavierauszug und Textbuch längst gedruckt vor
und die Kritik ist also berechtigt an dasselbe heranzutreten.

Voraus sei bemerkt, daß für die decorative Ausstattung der neuen Oper
in München das Möglichste geschehen war. Keine andere Oper dürfte je
ähnliche Ansprüche an den Maschinisten erhoben haben. Seit Monaten wurde
mit dem riesigsten Fleiße an der Herstellung der Maschinerien gearbeitet. Die
Probe ging auch ohne erhebliche Störungen vor sich und es ist anzunehmen,
daß bei der außerordentlichen Complicirtheit des Materials keine der Auf¬
führungen je besser gehen wird, als die Probe.

Das Gesangspersonal, voraus Herr Beetz aus Berlin (Wotan) leistete


„furchtbare" Summen verausgabt hatte. Das ganze Contingent der Anhänger
des Componisten, dazu Neugierige und Schriftsteller waren in Schaaren von
weit und breit herzugeströmt. Wer von allen diesen erst am Samstag in
München eintraf, sah sich jedoch leider getäuscht, denn die annoneirte Auf¬
führung fand nicht statt.

Wie früher schon, als Hunderte von Fremden vergebens zur ersten
Tristanausführung herbeigekommen waren, mußten auch jetzt wieder die
meisten abreisen, ohne ihren Zweck erreicht zu haben. Man sagt, die Dar¬
stellung sei in erster Linie am Widerspruche des jungen Capellmeisters
Richter gescheitert, der das Ganze noch nicht für reif genug zur Ausführung
hielt; anderntheils sollen aber auch besonders die Wagnerenthusiasten sich be¬
züglich der Wirkungsfähigkeit des neuen Werkes, das in der Hauptprobe
das Publicum vollständig kalt ließ, bitter getäuscht gesehen und deshalb gegen
die Vorstellung protestirt haben. Wie dem auch sei, wir können nur von
der Hauptprobe sprechen, die am Freitag Abend mit Aufwand alles sceni-
nischen Pompes stattfand und recht gut für eine Aufführung gelten kann.
Die Intendanz hatte in öffentlichen Blättern und unmittelbar vor der Probe
nochmals durch den Regisseur die Versammlung um Nachsicht bitten lassen,
falls die äußerst complicirte Maschinerie ihre Schuldigkeit nicht vollständig
thun sollte. Eben deswegen sollte der Eintritt zur Hauptprobe auch nur
Musikern von Fach oder Berichterstattern auswärtiger Blätter genehmigt
werden, um die wünschenswerthe Einsicht und Rücksicht bei den Zuhörern
voraussetzen zu können. Am Abend fanden sich jedoch sämmtliche Sperrsitze
und das ganze Parterre dicht angefüllt und waren mindestens 5—600 Per¬
sonen anwesend. Wie das kam, vermochte Niemand zu erklären. Eine
solche Masse bewahrt ein Geheimniß schlecht und wir befinden uns gewiß
nicht allein in dem Falle, von dieser merkwürdigen Probe einen Bericht zu
geben, ja wir sind dies um so mehr schuldig, als möglicherweise die Auf¬
führung lange hinausgeschoben wird und wir selbst, wenn sie stattfindet, nicht
geneigt sind, nochmals die Qual dieser Musik über uns ergehen zu lassen.
Zudem liegt das Werk im Klavierauszug und Textbuch längst gedruckt vor
und die Kritik ist also berechtigt an dasselbe heranzutreten.

Voraus sei bemerkt, daß für die decorative Ausstattung der neuen Oper
in München das Möglichste geschehen war. Keine andere Oper dürfte je
ähnliche Ansprüche an den Maschinisten erhoben haben. Seit Monaten wurde
mit dem riesigsten Fleiße an der Herstellung der Maschinerien gearbeitet. Die
Probe ging auch ohne erhebliche Störungen vor sich und es ist anzunehmen,
daß bei der außerordentlichen Complicirtheit des Materials keine der Auf¬
führungen je besser gehen wird, als die Probe.

Das Gesangspersonal, voraus Herr Beetz aus Berlin (Wotan) leistete


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/422>, abgerufen am 05.02.2025.