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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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davon kommen, sondern sogar als die wahrhaft und allein Treuen in diesen
Zeiten des Abfalls vom Glauben von Vielen angesehen werden, denen die
Oberleitung der Kirche einmal anvertraut ist. Und wenn nun gar noch dazu
etwas billiger Märtyrerschein die Köpfe der Herren, wenn auch nur vorüber¬
gehend, umstrahlte, würde das nicht der Eitelkeit derselben schmeicheln?
Manche von den Pastoren sind auch fanatisch genug, die hessischen Kirchen¬
ordnungen völlig der heiligen Schrift gleichzustellen und zu sagen, "das ewige
Leben sei in ihnen ausgegossen." Andere wieder sind über den Verlust ihrer ton¬
angebenden Stellung in der hessischen Kirche mißmuthig und benutzen die
Gelegenheit, der Regierung Eins anzuhängen u. s. w. Kurz, es hat sich eine
Coalition von hohen und niederen Geistlichen verschiedener kirchlicher Par¬
teien in Hessen gebildet, die aus ganz heterogenen Gründen, sittlich verwerf¬
lichen und subjectiv verzeihlichen, der Regierungsvorlage Opposition macht
und ihre Betheiligung an der Vorsynode verweigert. Vier Superintendenten
und zwei geistliche Inspektoren sind mit gutem Beispiel ihren Geist¬
lichen vorangegangen und eine Anzahl der fanatisirtesten Anhänger der Vil-
marschen Partei hat am Tage nach der Publication des königlichen Er¬
lasses eine Adresse an den König unterzeichnet, in der sie erklären, unter kei¬
nen Umständen eine andere Kirchenordnung als zu Recht bestehend erkennen
zu wollen, und an Handlungen sich betheiligen zu können, "welche unserer zu
Recht bestehenden Kirchenordnung widerstreben." Wenn dir Kirchenordnung
von 1657, auf die sich diese Herren berufen, ein für allemal unverbesserlich
und für ewige Zeiten feststehend ist, wie soll man dann noch als Protestant
gegen den katholischen Kirchen- und Traditionsbegriff ankämpfen und das
protestantische Schriftprincip aufrecht erhalten? Wie die Proteste einer An¬
zahl von lutherischen oberhessischen Geistlichen lauten, ist noch nicht bekannt,
ebensowenig wie einzelne Classen ihre Zustimmung zu dem Proteste der
Superintendenten formulirt haben. Ein Pfäfflein hat auch schon im Einzel¬
gefechte im Namen seiner von ihm selbst erkorenen Kirchenältesten seinen
Bannstrahl gegen den Regierungserlaß abgefeuert!

Gegen dieses Treiben der Majorität der Geistlichkeit hat sich nun eine
Versammlung von Laien und Geistlichen aufs bestimmteste erklärt und wir
hoffen, daß diese Erklärung im ganzen Lande Zustimmung und Beifall finden
wird. Auf die Einladung des Herrn Pfarrer Ebert von hier hatte sich näm¬
lich am 24. d. M. eine große Anzahl von Freunden der Presbyterial- und
Synodalverfassung aus allen Theilen Hessens in einem Gasthofe zu Wachters¬
hausen bei Kassel eingefunden und zunächst ihre principielle Zustimmung zur
Einführung einer solchen Verfassung, weil in der heiligen Schrift begründet
und durch die Reformation wieder ans Licht gestellt, gegeben, dann aber auch
erklärt, daß durch die Art, wie unsere Regierung bisher zur Einführung einer


davon kommen, sondern sogar als die wahrhaft und allein Treuen in diesen
Zeiten des Abfalls vom Glauben von Vielen angesehen werden, denen die
Oberleitung der Kirche einmal anvertraut ist. Und wenn nun gar noch dazu
etwas billiger Märtyrerschein die Köpfe der Herren, wenn auch nur vorüber¬
gehend, umstrahlte, würde das nicht der Eitelkeit derselben schmeicheln?
Manche von den Pastoren sind auch fanatisch genug, die hessischen Kirchen¬
ordnungen völlig der heiligen Schrift gleichzustellen und zu sagen, „das ewige
Leben sei in ihnen ausgegossen." Andere wieder sind über den Verlust ihrer ton¬
angebenden Stellung in der hessischen Kirche mißmuthig und benutzen die
Gelegenheit, der Regierung Eins anzuhängen u. s. w. Kurz, es hat sich eine
Coalition von hohen und niederen Geistlichen verschiedener kirchlicher Par¬
teien in Hessen gebildet, die aus ganz heterogenen Gründen, sittlich verwerf¬
lichen und subjectiv verzeihlichen, der Regierungsvorlage Opposition macht
und ihre Betheiligung an der Vorsynode verweigert. Vier Superintendenten
und zwei geistliche Inspektoren sind mit gutem Beispiel ihren Geist¬
lichen vorangegangen und eine Anzahl der fanatisirtesten Anhänger der Vil-
marschen Partei hat am Tage nach der Publication des königlichen Er¬
lasses eine Adresse an den König unterzeichnet, in der sie erklären, unter kei¬
nen Umständen eine andere Kirchenordnung als zu Recht bestehend erkennen
zu wollen, und an Handlungen sich betheiligen zu können, „welche unserer zu
Recht bestehenden Kirchenordnung widerstreben." Wenn dir Kirchenordnung
von 1657, auf die sich diese Herren berufen, ein für allemal unverbesserlich
und für ewige Zeiten feststehend ist, wie soll man dann noch als Protestant
gegen den katholischen Kirchen- und Traditionsbegriff ankämpfen und das
protestantische Schriftprincip aufrecht erhalten? Wie die Proteste einer An¬
zahl von lutherischen oberhessischen Geistlichen lauten, ist noch nicht bekannt,
ebensowenig wie einzelne Classen ihre Zustimmung zu dem Proteste der
Superintendenten formulirt haben. Ein Pfäfflein hat auch schon im Einzel¬
gefechte im Namen seiner von ihm selbst erkorenen Kirchenältesten seinen
Bannstrahl gegen den Regierungserlaß abgefeuert!

Gegen dieses Treiben der Majorität der Geistlichkeit hat sich nun eine
Versammlung von Laien und Geistlichen aufs bestimmteste erklärt und wir
hoffen, daß diese Erklärung im ganzen Lande Zustimmung und Beifall finden
wird. Auf die Einladung des Herrn Pfarrer Ebert von hier hatte sich näm¬
lich am 24. d. M. eine große Anzahl von Freunden der Presbyterial- und
Synodalverfassung aus allen Theilen Hessens in einem Gasthofe zu Wachters¬
hausen bei Kassel eingefunden und zunächst ihre principielle Zustimmung zur
Einführung einer solchen Verfassung, weil in der heiligen Schrift begründet
und durch die Reformation wieder ans Licht gestellt, gegeben, dann aber auch
erklärt, daß durch die Art, wie unsere Regierung bisher zur Einführung einer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/420>, abgerufen am 05.02.2025.