Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ländischen Aeltern im Jahre 1674 zu Stade geboren, trat er schon als
14jähriger Knabe in dänische Seedienste, obgleich sein Vater, Capitän in
dänischen Diensten, ihn für die gelehrte Laufbahn bestimmt hatte. Vier Jahre
später trieb die Begierde nach Auszeichnung und nach größeren Verhältnissen
den Jüngling nach Frankreich. Er focht bei la Hogue, Gibraltar (1693)
und Palamos mit, brachte es bald zum Rang eines Lieutenants zur See
und kehrte als solcher im Jahre 1760 auf "Jhro Majestät zu Dänemark
und Norwegen löbliche Flotte" zurück, um an der Begründung des Instituts
für "Campagne-Seecadetten" Theil zu nehmen. Hier lernte Peter der Große
den jungen, aber bereits vielerfahrener Seemann bei Gelegenheit eines Be¬
suchs in Kopenhagen kennen und bot ihm eine vortheilhafte Stellung in sei¬
nen Diensten an. Der am 10. Mai 1704 zwischen Sivers und dem russi¬
schen Gesandten abgeschlossene Vertrag liegt uns in seinem Wortlaut vor:
dem in russische Dienste getretenen Capitän werden Gehalt und Pension,
gute Behandlung, Ranzionirung im Fall der Kriegsgefangenschaft, sowie
freie Hin- und Rückreise zugesichert, wogegen dieser sich zu treuem und auf¬
opferndem Dienst verpflichtet. Außerdem bestand zwischen dem Capitän und
seinem neuen Gebieter ein geheimes Abkommen, welches nur zwei Punkte
enthielt, aber höchst bezeichnend für das Mißtrauen ist, welches die West¬
europäer gegen das damalige Rußland hegten: Sivers bedang sich aus, daß
er unter keinerlei Vorwand körperlich gezüchtigt werden dürfe und daß der
Kaiser selbst nicht das Recht haben sollte, an Bord seines Schiffs zu befehligen.

Schon sehr bald nach seinem Uebertritt in russische Dienste sollte Sivers
Gelegenheit haben, die Vorsicht zu preisen, welche er bei seiner Anstellung
gezeigt"). Eines Tages -- so hat Sivers selbst berichtet -- erscheint Seine
Czarische Majestät auf dem im finnischen Meerbusen belegenen, von Sivers be¬
fehligten Geschwader im Zustande vollständiger Trunkenheit und befiehlt, die
Flotille zu einem Seemanöver auslaufen zu lassen, bei dem der Kaiser selbst das
Commando übernimmt. Sivers stellt dem Kaiser die augenblickliche Unthunlich-
keit der Sache vor, weil ein Sturm drohe, Peter aber bleibt bei seiner An¬
ordnung und holt, als Sivers ihm nochmalige Vorstellung macht, mit seinem
Stocke nach ihm aus, ohne ihn zu treffen. Die Flotte läuft nun unter per¬
sönlichem Befehl des Kaisers aus und bald bricht ein Sturm los, der die
Schiffe zerstreut. Sivers, für die Flotte besorgt und auf deren Rettung be¬
dacht, benutzt einen Moment, wo Peter seinen Commandoplatz verläßt und
aufs Deck kommt, erfaßt mit riesiger Faust -- er ist ein sehr langer und



*) Eine Andeutung über den nachstehend berichteten Vorgang ist in Berkholz Tagebuch ent¬
halten (Am 3. Aug. hielt der Zar ein Seegefecht, um den Herzog von Holstein zu belustigen.
Nach demselben soll der Zar mit Sivers in einen heftigen Wortwechsel gerathen sein). (Vgl.
Vüschings Magazin Th. XlX. S. 100 und Th, XXI. S, 240.)"
49

ländischen Aeltern im Jahre 1674 zu Stade geboren, trat er schon als
14jähriger Knabe in dänische Seedienste, obgleich sein Vater, Capitän in
dänischen Diensten, ihn für die gelehrte Laufbahn bestimmt hatte. Vier Jahre
später trieb die Begierde nach Auszeichnung und nach größeren Verhältnissen
den Jüngling nach Frankreich. Er focht bei la Hogue, Gibraltar (1693)
und Palamos mit, brachte es bald zum Rang eines Lieutenants zur See
und kehrte als solcher im Jahre 1760 auf „Jhro Majestät zu Dänemark
und Norwegen löbliche Flotte" zurück, um an der Begründung des Instituts
für „Campagne-Seecadetten" Theil zu nehmen. Hier lernte Peter der Große
den jungen, aber bereits vielerfahrener Seemann bei Gelegenheit eines Be¬
suchs in Kopenhagen kennen und bot ihm eine vortheilhafte Stellung in sei¬
nen Diensten an. Der am 10. Mai 1704 zwischen Sivers und dem russi¬
schen Gesandten abgeschlossene Vertrag liegt uns in seinem Wortlaut vor:
dem in russische Dienste getretenen Capitän werden Gehalt und Pension,
gute Behandlung, Ranzionirung im Fall der Kriegsgefangenschaft, sowie
freie Hin- und Rückreise zugesichert, wogegen dieser sich zu treuem und auf¬
opferndem Dienst verpflichtet. Außerdem bestand zwischen dem Capitän und
seinem neuen Gebieter ein geheimes Abkommen, welches nur zwei Punkte
enthielt, aber höchst bezeichnend für das Mißtrauen ist, welches die West¬
europäer gegen das damalige Rußland hegten: Sivers bedang sich aus, daß
er unter keinerlei Vorwand körperlich gezüchtigt werden dürfe und daß der
Kaiser selbst nicht das Recht haben sollte, an Bord seines Schiffs zu befehligen.

Schon sehr bald nach seinem Uebertritt in russische Dienste sollte Sivers
Gelegenheit haben, die Vorsicht zu preisen, welche er bei seiner Anstellung
gezeigt"). Eines Tages — so hat Sivers selbst berichtet — erscheint Seine
Czarische Majestät auf dem im finnischen Meerbusen belegenen, von Sivers be¬
fehligten Geschwader im Zustande vollständiger Trunkenheit und befiehlt, die
Flotille zu einem Seemanöver auslaufen zu lassen, bei dem der Kaiser selbst das
Commando übernimmt. Sivers stellt dem Kaiser die augenblickliche Unthunlich-
keit der Sache vor, weil ein Sturm drohe, Peter aber bleibt bei seiner An¬
ordnung und holt, als Sivers ihm nochmalige Vorstellung macht, mit seinem
Stocke nach ihm aus, ohne ihn zu treffen. Die Flotte läuft nun unter per¬
sönlichem Befehl des Kaisers aus und bald bricht ein Sturm los, der die
Schiffe zerstreut. Sivers, für die Flotte besorgt und auf deren Rettung be¬
dacht, benutzt einen Moment, wo Peter seinen Commandoplatz verläßt und
aufs Deck kommt, erfaßt mit riesiger Faust — er ist ein sehr langer und



*) Eine Andeutung über den nachstehend berichteten Vorgang ist in Berkholz Tagebuch ent¬
halten (Am 3. Aug. hielt der Zar ein Seegefecht, um den Herzog von Holstein zu belustigen.
Nach demselben soll der Zar mit Sivers in einen heftigen Wortwechsel gerathen sein). (Vgl.
Vüschings Magazin Th. XlX. S. 100 und Th, XXI. S, 240.)"
49
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0395" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/121616"/>
          <p xml:id="ID_1212" prev="#ID_1211"> ländischen Aeltern im Jahre 1674 zu Stade geboren, trat er schon als<lb/>
14jähriger Knabe in dänische Seedienste, obgleich sein Vater, Capitän in<lb/>
dänischen Diensten, ihn für die gelehrte Laufbahn bestimmt hatte. Vier Jahre<lb/>
später trieb die Begierde nach Auszeichnung und nach größeren Verhältnissen<lb/>
den Jüngling nach Frankreich. Er focht bei la Hogue, Gibraltar (1693)<lb/>
und Palamos mit, brachte es bald zum Rang eines Lieutenants zur See<lb/>
und kehrte als solcher im Jahre 1760 auf &#x201E;Jhro Majestät zu Dänemark<lb/>
und Norwegen löbliche Flotte" zurück, um an der Begründung des Instituts<lb/>
für &#x201E;Campagne-Seecadetten" Theil zu nehmen. Hier lernte Peter der Große<lb/>
den jungen, aber bereits vielerfahrener Seemann bei Gelegenheit eines Be¬<lb/>
suchs in Kopenhagen kennen und bot ihm eine vortheilhafte Stellung in sei¬<lb/>
nen Diensten an. Der am 10. Mai 1704 zwischen Sivers und dem russi¬<lb/>
schen Gesandten abgeschlossene Vertrag liegt uns in seinem Wortlaut vor:<lb/>
dem in russische Dienste getretenen Capitän werden Gehalt und Pension,<lb/>
gute Behandlung, Ranzionirung im Fall der Kriegsgefangenschaft, sowie<lb/>
freie Hin- und Rückreise zugesichert, wogegen dieser sich zu treuem und auf¬<lb/>
opferndem Dienst verpflichtet. Außerdem bestand zwischen dem Capitän und<lb/>
seinem neuen Gebieter ein geheimes Abkommen, welches nur zwei Punkte<lb/>
enthielt, aber höchst bezeichnend für das Mißtrauen ist, welches die West¬<lb/>
europäer gegen das damalige Rußland hegten: Sivers bedang sich aus, daß<lb/>
er unter keinerlei Vorwand körperlich gezüchtigt werden dürfe und daß der<lb/>
Kaiser selbst nicht das Recht haben sollte, an Bord seines Schiffs zu befehligen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1213" next="#ID_1214"> Schon sehr bald nach seinem Uebertritt in russische Dienste sollte Sivers<lb/>
Gelegenheit haben, die Vorsicht zu preisen, welche er bei seiner Anstellung<lb/>
gezeigt"). Eines Tages &#x2014; so hat Sivers selbst berichtet &#x2014; erscheint Seine<lb/>
Czarische Majestät auf dem im finnischen Meerbusen belegenen, von Sivers be¬<lb/>
fehligten Geschwader im Zustande vollständiger Trunkenheit und befiehlt, die<lb/>
Flotille zu einem Seemanöver auslaufen zu lassen, bei dem der Kaiser selbst das<lb/>
Commando übernimmt. Sivers stellt dem Kaiser die augenblickliche Unthunlich-<lb/>
keit der Sache vor, weil ein Sturm drohe, Peter aber bleibt bei seiner An¬<lb/>
ordnung und holt, als Sivers ihm nochmalige Vorstellung macht, mit seinem<lb/>
Stocke nach ihm aus, ohne ihn zu treffen. Die Flotte läuft nun unter per¬<lb/>
sönlichem Befehl des Kaisers aus und bald bricht ein Sturm los, der die<lb/>
Schiffe zerstreut. Sivers, für die Flotte besorgt und auf deren Rettung be¬<lb/>
dacht, benutzt einen Moment, wo Peter seinen Commandoplatz verläßt und<lb/>
aufs Deck kommt, erfaßt mit riesiger Faust &#x2014; er ist ein sehr langer und</p><lb/>
          <note xml:id="FID_44" place="foot"> *) Eine Andeutung über den nachstehend berichteten Vorgang ist in Berkholz Tagebuch ent¬<lb/>
halten (Am 3. Aug. hielt der Zar ein Seegefecht, um den Herzog von Holstein zu belustigen.<lb/>
Nach demselben soll der Zar mit Sivers in einen heftigen Wortwechsel gerathen sein). (Vgl.<lb/>
Vüschings Magazin Th. XlX. S. 100 und Th, XXI. S, 240.)"</note><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 49</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0395] ländischen Aeltern im Jahre 1674 zu Stade geboren, trat er schon als 14jähriger Knabe in dänische Seedienste, obgleich sein Vater, Capitän in dänischen Diensten, ihn für die gelehrte Laufbahn bestimmt hatte. Vier Jahre später trieb die Begierde nach Auszeichnung und nach größeren Verhältnissen den Jüngling nach Frankreich. Er focht bei la Hogue, Gibraltar (1693) und Palamos mit, brachte es bald zum Rang eines Lieutenants zur See und kehrte als solcher im Jahre 1760 auf „Jhro Majestät zu Dänemark und Norwegen löbliche Flotte" zurück, um an der Begründung des Instituts für „Campagne-Seecadetten" Theil zu nehmen. Hier lernte Peter der Große den jungen, aber bereits vielerfahrener Seemann bei Gelegenheit eines Be¬ suchs in Kopenhagen kennen und bot ihm eine vortheilhafte Stellung in sei¬ nen Diensten an. Der am 10. Mai 1704 zwischen Sivers und dem russi¬ schen Gesandten abgeschlossene Vertrag liegt uns in seinem Wortlaut vor: dem in russische Dienste getretenen Capitän werden Gehalt und Pension, gute Behandlung, Ranzionirung im Fall der Kriegsgefangenschaft, sowie freie Hin- und Rückreise zugesichert, wogegen dieser sich zu treuem und auf¬ opferndem Dienst verpflichtet. Außerdem bestand zwischen dem Capitän und seinem neuen Gebieter ein geheimes Abkommen, welches nur zwei Punkte enthielt, aber höchst bezeichnend für das Mißtrauen ist, welches die West¬ europäer gegen das damalige Rußland hegten: Sivers bedang sich aus, daß er unter keinerlei Vorwand körperlich gezüchtigt werden dürfe und daß der Kaiser selbst nicht das Recht haben sollte, an Bord seines Schiffs zu befehligen. Schon sehr bald nach seinem Uebertritt in russische Dienste sollte Sivers Gelegenheit haben, die Vorsicht zu preisen, welche er bei seiner Anstellung gezeigt"). Eines Tages — so hat Sivers selbst berichtet — erscheint Seine Czarische Majestät auf dem im finnischen Meerbusen belegenen, von Sivers be¬ fehligten Geschwader im Zustande vollständiger Trunkenheit und befiehlt, die Flotille zu einem Seemanöver auslaufen zu lassen, bei dem der Kaiser selbst das Commando übernimmt. Sivers stellt dem Kaiser die augenblickliche Unthunlich- keit der Sache vor, weil ein Sturm drohe, Peter aber bleibt bei seiner An¬ ordnung und holt, als Sivers ihm nochmalige Vorstellung macht, mit seinem Stocke nach ihm aus, ohne ihn zu treffen. Die Flotte läuft nun unter per¬ sönlichem Befehl des Kaisers aus und bald bricht ein Sturm los, der die Schiffe zerstreut. Sivers, für die Flotte besorgt und auf deren Rettung be¬ dacht, benutzt einen Moment, wo Peter seinen Commandoplatz verläßt und aufs Deck kommt, erfaßt mit riesiger Faust — er ist ein sehr langer und *) Eine Andeutung über den nachstehend berichteten Vorgang ist in Berkholz Tagebuch ent¬ halten (Am 3. Aug. hielt der Zar ein Seegefecht, um den Herzog von Holstein zu belustigen. Nach demselben soll der Zar mit Sivers in einen heftigen Wortwechsel gerathen sein). (Vgl. Vüschings Magazin Th. XlX. S. 100 und Th, XXI. S, 240.)" 49

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/395
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/395>, abgerufen am 25.08.2024.