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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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Versammlung. Dazu war vor Allem nöthig, daß in den einzelnen Staaten
die abstracte Demokratie ans Ruder kam. In Toscana war der Fürst
zuerst genöthigt, den Radicalen die Führung seines Staates zu übergeben.
Es war nun an ihnen, zu zeigen, wie sich ihr Programm bewähren würde.

Das Turiner Cabinet säumte nicht, dem neuen Minister sofort auf den
Zahn zu fühlen. Villamarka fragte an. ob die großhcrzogliche Regierung sich
zum Zweck eines neuen Krieges gegen Oestreich mit Piemont verbinden woll?,
und im bejahenden Fall, mit welchen Geldmitteln und welcher Truppenstärke.
Montanelli gab die besten Versprechungen und erklärte sich zu allen Opfern
bereit. Als aber Villamarka einen förmlichen Vertrag zu diesem Zweck ver¬
langte, warf Montanelli sein unvermeidliches Schlagwort der Konstituente
dazwischen. Er erklärte sich in einer Note vom 16. November zwar bereit,
sofort einen Bund mit Piemont abzuschließen, der einmal abgeschlossen für
die anderen Staaten ein mächtiger Impuls zum Beitritt sein werde. Allein
dieser Bund sei etwas nur Provisorisches, er könne keinen anderen Zweck
haben, als die Unabhängigkeit zu erstreiten. Die künftige Form Italiens aber
dürfe nur durch die constituirende Versammlung festgesetzt werden. Möge diese
sich immerhin für die Föderation aussprechen, aber ihrem Ausspruch dürfe
keinenfalls vorgegriffen werden. Im Uebngen stellte er noch für den Fall des
Krieges Bedingungen, welche seine politischen Plane klar durchblicken ließen.
Er erklärte, die Übertragung des Oberbefehls im Krieg sei Sache des Ein¬
verständnisses der Regierungen, und er hatte dabei Garibaldi im Auge, der
zum Bundescapitän ernannt werden sollte. Er verlangte, daß die durch den
Krieg befreiten Staaten sich im Namen des Bundes selber regieren sollten,
bis die constituirende Versammlung über ihre definitive Organisation beschließe;
er wollte damit den Anschluß der Lombardei und Venetiens an Piemont verhin¬
dern. Sein Gedanke war, diese Länder zu Heerden der republicanischen Partei
herzurichten, die den Weg für seine Constituente bereiten sollten. Denn das
letzte Ziel der constituirenden Versammlung war kein anderes als die Auflösung
aller Staaten und ihre Verschmelzung in einen republicanischen Einheitsstaat.
Und alle diese Bedingungen wagte Montanelli zu stellen gegen die Hilfeleistung
eines Staats, der höchstens 10,000 Mann ins Feld führen konnte und der
in den Händen einer schwachen, von den Straßenclubs abhängigen Regie¬
rung war!

Die Ansprüche der turbulenter Demokratie an den piemontesischen Staat
wuchsen mit jedem Tage, zugleich mit den Schwierigkeiten, die sie demselben
bereiteten. Man schrie über Verrath, weil Piemont zögerte, sich in einen hoff¬
nungslosen Krieg zu stürzen, und daß dieser hoffnungslos war, war nicht
zum wenigsten eben die Schuld derer, welche die Kraft der nationalen Be¬
wegung vollends in einem zügellosen Parteikampf verzehrten. Und dieselbe


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Versammlung. Dazu war vor Allem nöthig, daß in den einzelnen Staaten
die abstracte Demokratie ans Ruder kam. In Toscana war der Fürst
zuerst genöthigt, den Radicalen die Führung seines Staates zu übergeben.
Es war nun an ihnen, zu zeigen, wie sich ihr Programm bewähren würde.

Das Turiner Cabinet säumte nicht, dem neuen Minister sofort auf den
Zahn zu fühlen. Villamarka fragte an. ob die großhcrzogliche Regierung sich
zum Zweck eines neuen Krieges gegen Oestreich mit Piemont verbinden woll?,
und im bejahenden Fall, mit welchen Geldmitteln und welcher Truppenstärke.
Montanelli gab die besten Versprechungen und erklärte sich zu allen Opfern
bereit. Als aber Villamarka einen förmlichen Vertrag zu diesem Zweck ver¬
langte, warf Montanelli sein unvermeidliches Schlagwort der Konstituente
dazwischen. Er erklärte sich in einer Note vom 16. November zwar bereit,
sofort einen Bund mit Piemont abzuschließen, der einmal abgeschlossen für
die anderen Staaten ein mächtiger Impuls zum Beitritt sein werde. Allein
dieser Bund sei etwas nur Provisorisches, er könne keinen anderen Zweck
haben, als die Unabhängigkeit zu erstreiten. Die künftige Form Italiens aber
dürfe nur durch die constituirende Versammlung festgesetzt werden. Möge diese
sich immerhin für die Föderation aussprechen, aber ihrem Ausspruch dürfe
keinenfalls vorgegriffen werden. Im Uebngen stellte er noch für den Fall des
Krieges Bedingungen, welche seine politischen Plane klar durchblicken ließen.
Er erklärte, die Übertragung des Oberbefehls im Krieg sei Sache des Ein¬
verständnisses der Regierungen, und er hatte dabei Garibaldi im Auge, der
zum Bundescapitän ernannt werden sollte. Er verlangte, daß die durch den
Krieg befreiten Staaten sich im Namen des Bundes selber regieren sollten,
bis die constituirende Versammlung über ihre definitive Organisation beschließe;
er wollte damit den Anschluß der Lombardei und Venetiens an Piemont verhin¬
dern. Sein Gedanke war, diese Länder zu Heerden der republicanischen Partei
herzurichten, die den Weg für seine Constituente bereiten sollten. Denn das
letzte Ziel der constituirenden Versammlung war kein anderes als die Auflösung
aller Staaten und ihre Verschmelzung in einen republicanischen Einheitsstaat.
Und alle diese Bedingungen wagte Montanelli zu stellen gegen die Hilfeleistung
eines Staats, der höchstens 10,000 Mann ins Feld führen konnte und der
in den Händen einer schwachen, von den Straßenclubs abhängigen Regie¬
rung war!

Die Ansprüche der turbulenter Demokratie an den piemontesischen Staat
wuchsen mit jedem Tage, zugleich mit den Schwierigkeiten, die sie demselben
bereiteten. Man schrie über Verrath, weil Piemont zögerte, sich in einen hoff¬
nungslosen Krieg zu stürzen, und daß dieser hoffnungslos war, war nicht
zum wenigsten eben die Schuld derer, welche die Kraft der nationalen Be¬
wegung vollends in einem zügellosen Parteikampf verzehrten. Und dieselbe


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[0387] Versammlung. Dazu war vor Allem nöthig, daß in den einzelnen Staaten die abstracte Demokratie ans Ruder kam. In Toscana war der Fürst zuerst genöthigt, den Radicalen die Führung seines Staates zu übergeben. Es war nun an ihnen, zu zeigen, wie sich ihr Programm bewähren würde. Das Turiner Cabinet säumte nicht, dem neuen Minister sofort auf den Zahn zu fühlen. Villamarka fragte an. ob die großhcrzogliche Regierung sich zum Zweck eines neuen Krieges gegen Oestreich mit Piemont verbinden woll?, und im bejahenden Fall, mit welchen Geldmitteln und welcher Truppenstärke. Montanelli gab die besten Versprechungen und erklärte sich zu allen Opfern bereit. Als aber Villamarka einen förmlichen Vertrag zu diesem Zweck ver¬ langte, warf Montanelli sein unvermeidliches Schlagwort der Konstituente dazwischen. Er erklärte sich in einer Note vom 16. November zwar bereit, sofort einen Bund mit Piemont abzuschließen, der einmal abgeschlossen für die anderen Staaten ein mächtiger Impuls zum Beitritt sein werde. Allein dieser Bund sei etwas nur Provisorisches, er könne keinen anderen Zweck haben, als die Unabhängigkeit zu erstreiten. Die künftige Form Italiens aber dürfe nur durch die constituirende Versammlung festgesetzt werden. Möge diese sich immerhin für die Föderation aussprechen, aber ihrem Ausspruch dürfe keinenfalls vorgegriffen werden. Im Uebngen stellte er noch für den Fall des Krieges Bedingungen, welche seine politischen Plane klar durchblicken ließen. Er erklärte, die Übertragung des Oberbefehls im Krieg sei Sache des Ein¬ verständnisses der Regierungen, und er hatte dabei Garibaldi im Auge, der zum Bundescapitän ernannt werden sollte. Er verlangte, daß die durch den Krieg befreiten Staaten sich im Namen des Bundes selber regieren sollten, bis die constituirende Versammlung über ihre definitive Organisation beschließe; er wollte damit den Anschluß der Lombardei und Venetiens an Piemont verhin¬ dern. Sein Gedanke war, diese Länder zu Heerden der republicanischen Partei herzurichten, die den Weg für seine Constituente bereiten sollten. Denn das letzte Ziel der constituirenden Versammlung war kein anderes als die Auflösung aller Staaten und ihre Verschmelzung in einen republicanischen Einheitsstaat. Und alle diese Bedingungen wagte Montanelli zu stellen gegen die Hilfeleistung eines Staats, der höchstens 10,000 Mann ins Feld führen konnte und der in den Händen einer schwachen, von den Straßenclubs abhängigen Regie¬ rung war! Die Ansprüche der turbulenter Demokratie an den piemontesischen Staat wuchsen mit jedem Tage, zugleich mit den Schwierigkeiten, die sie demselben bereiteten. Man schrie über Verrath, weil Piemont zögerte, sich in einen hoff¬ nungslosen Krieg zu stürzen, und daß dieser hoffnungslos war, war nicht zum wenigsten eben die Schuld derer, welche die Kraft der nationalen Be¬ wegung vollends in einem zügellosen Parteikampf verzehrten. Und dieselbe 48"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/387>, abgerufen am 26.08.2024.