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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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In den ersten drei Wochen freilich war diese Wohlthat nur in ganz klei¬
ner Dosis zu genießen; denn mit einer Ungenirtheit, die namentlich den in
Anstandssachen empfindlicheren Franzosen seltsam behagt haben mag, wüthete
der Zimmermann, um Querwände und Leisten zu ziehen. Für künftige Fälle
empfehlen wir der löblichen Schreinerzunft Münchens wenigstens zu ihren
Arbeiten während der Besuchsstunden einer Ausstellung zwei kleine mecha¬
nische Werkzeuge, Bohrer und Schraube, mit denen man geräuschlos ziemlich
dasselbe erreicht, was so unter einem Lärm geschah, bei welchem dem ohnehin
nervös gespannten Besucher Hören und Sehen verging -- für Bilderschau
keine geeignete und Hoffentlich noch weniger beabsichtigte Sinnesverfassung.

Von der Eigenthümlichkeit des einfallenden Lichtes leiden die Sculpturen,
die wir hier unberührt lassen, mehr als die Gemälde. Jene haben indeß
in der großen Mehrzahl den Vorzug voraus, daß sie je auf einem eigenen
Fleck Erde stehen und sich fürs Auge besser isoliren lassen, wogegen die
Bilder Rahmen an Rahmen von oben bis unten die Wände tapetenartig
bedecken, sodaß in die höchsten Reihen nur mit bewaffnetem Auge, in die
niedrigsten nur knieend einzudringen ist. Das sind Uebelstände, die ein em-
üs ridiWse verschuldet hat, über den sich der Wißbegierige aller Un¬
bequemlichkeit zum Trotz eher freuen als beklagen dürfte, wäre an dem
jetzigen Inventar der Ausstellung nur eine Spur von Admissionsurtheil wahr¬
nehmbar. Wenn die Jury des pariser "Salons" Makarts sieben Todsünden
abgewiesen hat, so ist das jedenfalls verkehrt, da man den Refus wohl mit
Recht auf den Gegenstand bezogen hat, denn Sittenpolizei ist in solchem
Falle das Publicum selber und als künstlerische Leistung hat jenes vielbe¬
rufene Bild ohne Frage ebenso gutes Recht, ausgestellt zu werden, wie eine
Masse französischer Equivoquen in Oel; aber in München hat man scheinbar
gar keine künstlerische Anforderung gestellt. Wenigstens ist der Maßstab so
niedrig genommen, daß dem Beschauer eine ungebührliche Abstractionsarbeit
aufgebürdet wird. Wir wissen freilich nicht -- und wünschen am wenigsten
zu schauen, was vielleicht hinter den Coulissen noch zurückgehalten sein mag,
aber Niemandem wird es billig dünken, wenn in eine immerhin solenne Ver¬
sammlung sich Dinge drängen , von denen manche in gewöhnlichen Local-
ausstellungen nicht zugelassen würden, und daß höchst mittelmäßiges Gut in
zahlreichen Exemplaren sich dre.it macht, wo selbst das Ausgezeichnete eng
zusammengeschichtet werden mußte. Freilich erläutert sich dies wohl aus einem
Grundfehler des Unternehmens, der darin besteht, daß die Jury nur aus
Münchener Künstlern zusammengesetzt ist;, und daß diese, da sie gewisser¬
maßen zugleich Concurrenten und Wirthe sind, jeden Schein der Parteilich¬
keit ängstlich vermeiden mußten, ist verständlich. Ergänzte sich das Comiti
dem Sinne der Ausstellung gemäß noch durch Vertreter anderer Hauptorte


In den ersten drei Wochen freilich war diese Wohlthat nur in ganz klei¬
ner Dosis zu genießen; denn mit einer Ungenirtheit, die namentlich den in
Anstandssachen empfindlicheren Franzosen seltsam behagt haben mag, wüthete
der Zimmermann, um Querwände und Leisten zu ziehen. Für künftige Fälle
empfehlen wir der löblichen Schreinerzunft Münchens wenigstens zu ihren
Arbeiten während der Besuchsstunden einer Ausstellung zwei kleine mecha¬
nische Werkzeuge, Bohrer und Schraube, mit denen man geräuschlos ziemlich
dasselbe erreicht, was so unter einem Lärm geschah, bei welchem dem ohnehin
nervös gespannten Besucher Hören und Sehen verging — für Bilderschau
keine geeignete und Hoffentlich noch weniger beabsichtigte Sinnesverfassung.

Von der Eigenthümlichkeit des einfallenden Lichtes leiden die Sculpturen,
die wir hier unberührt lassen, mehr als die Gemälde. Jene haben indeß
in der großen Mehrzahl den Vorzug voraus, daß sie je auf einem eigenen
Fleck Erde stehen und sich fürs Auge besser isoliren lassen, wogegen die
Bilder Rahmen an Rahmen von oben bis unten die Wände tapetenartig
bedecken, sodaß in die höchsten Reihen nur mit bewaffnetem Auge, in die
niedrigsten nur knieend einzudringen ist. Das sind Uebelstände, die ein em-
üs ridiWse verschuldet hat, über den sich der Wißbegierige aller Un¬
bequemlichkeit zum Trotz eher freuen als beklagen dürfte, wäre an dem
jetzigen Inventar der Ausstellung nur eine Spur von Admissionsurtheil wahr¬
nehmbar. Wenn die Jury des pariser „Salons" Makarts sieben Todsünden
abgewiesen hat, so ist das jedenfalls verkehrt, da man den Refus wohl mit
Recht auf den Gegenstand bezogen hat, denn Sittenpolizei ist in solchem
Falle das Publicum selber und als künstlerische Leistung hat jenes vielbe¬
rufene Bild ohne Frage ebenso gutes Recht, ausgestellt zu werden, wie eine
Masse französischer Equivoquen in Oel; aber in München hat man scheinbar
gar keine künstlerische Anforderung gestellt. Wenigstens ist der Maßstab so
niedrig genommen, daß dem Beschauer eine ungebührliche Abstractionsarbeit
aufgebürdet wird. Wir wissen freilich nicht — und wünschen am wenigsten
zu schauen, was vielleicht hinter den Coulissen noch zurückgehalten sein mag,
aber Niemandem wird es billig dünken, wenn in eine immerhin solenne Ver¬
sammlung sich Dinge drängen , von denen manche in gewöhnlichen Local-
ausstellungen nicht zugelassen würden, und daß höchst mittelmäßiges Gut in
zahlreichen Exemplaren sich dre.it macht, wo selbst das Ausgezeichnete eng
zusammengeschichtet werden mußte. Freilich erläutert sich dies wohl aus einem
Grundfehler des Unternehmens, der darin besteht, daß die Jury nur aus
Münchener Künstlern zusammengesetzt ist;, und daß diese, da sie gewisser¬
maßen zugleich Concurrenten und Wirthe sind, jeden Schein der Parteilich¬
keit ängstlich vermeiden mußten, ist verständlich. Ergänzte sich das Comiti
dem Sinne der Ausstellung gemäß noch durch Vertreter anderer Hauptorte


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[0370] In den ersten drei Wochen freilich war diese Wohlthat nur in ganz klei¬ ner Dosis zu genießen; denn mit einer Ungenirtheit, die namentlich den in Anstandssachen empfindlicheren Franzosen seltsam behagt haben mag, wüthete der Zimmermann, um Querwände und Leisten zu ziehen. Für künftige Fälle empfehlen wir der löblichen Schreinerzunft Münchens wenigstens zu ihren Arbeiten während der Besuchsstunden einer Ausstellung zwei kleine mecha¬ nische Werkzeuge, Bohrer und Schraube, mit denen man geräuschlos ziemlich dasselbe erreicht, was so unter einem Lärm geschah, bei welchem dem ohnehin nervös gespannten Besucher Hören und Sehen verging — für Bilderschau keine geeignete und Hoffentlich noch weniger beabsichtigte Sinnesverfassung. Von der Eigenthümlichkeit des einfallenden Lichtes leiden die Sculpturen, die wir hier unberührt lassen, mehr als die Gemälde. Jene haben indeß in der großen Mehrzahl den Vorzug voraus, daß sie je auf einem eigenen Fleck Erde stehen und sich fürs Auge besser isoliren lassen, wogegen die Bilder Rahmen an Rahmen von oben bis unten die Wände tapetenartig bedecken, sodaß in die höchsten Reihen nur mit bewaffnetem Auge, in die niedrigsten nur knieend einzudringen ist. Das sind Uebelstände, die ein em- üs ridiWse verschuldet hat, über den sich der Wißbegierige aller Un¬ bequemlichkeit zum Trotz eher freuen als beklagen dürfte, wäre an dem jetzigen Inventar der Ausstellung nur eine Spur von Admissionsurtheil wahr¬ nehmbar. Wenn die Jury des pariser „Salons" Makarts sieben Todsünden abgewiesen hat, so ist das jedenfalls verkehrt, da man den Refus wohl mit Recht auf den Gegenstand bezogen hat, denn Sittenpolizei ist in solchem Falle das Publicum selber und als künstlerische Leistung hat jenes vielbe¬ rufene Bild ohne Frage ebenso gutes Recht, ausgestellt zu werden, wie eine Masse französischer Equivoquen in Oel; aber in München hat man scheinbar gar keine künstlerische Anforderung gestellt. Wenigstens ist der Maßstab so niedrig genommen, daß dem Beschauer eine ungebührliche Abstractionsarbeit aufgebürdet wird. Wir wissen freilich nicht — und wünschen am wenigsten zu schauen, was vielleicht hinter den Coulissen noch zurückgehalten sein mag, aber Niemandem wird es billig dünken, wenn in eine immerhin solenne Ver¬ sammlung sich Dinge drängen , von denen manche in gewöhnlichen Local- ausstellungen nicht zugelassen würden, und daß höchst mittelmäßiges Gut in zahlreichen Exemplaren sich dre.it macht, wo selbst das Ausgezeichnete eng zusammengeschichtet werden mußte. Freilich erläutert sich dies wohl aus einem Grundfehler des Unternehmens, der darin besteht, daß die Jury nur aus Münchener Künstlern zusammengesetzt ist;, und daß diese, da sie gewisser¬ maßen zugleich Concurrenten und Wirthe sind, jeden Schein der Parteilich¬ keit ängstlich vermeiden mußten, ist verständlich. Ergänzte sich das Comiti dem Sinne der Ausstellung gemäß noch durch Vertreter anderer Hauptorte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/370>, abgerufen am 25.08.2024.