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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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seribirte. Die schwache und zügellose Armee befindet sich in der elendsten Lage. Daß
ein solches System auf die Dauer nicht durchzuführen ist und die Zukunft der
Regierung nur erschwert, hat sich schon jeht gezeigt. Die nach Cuba gesandten
Truppen haben nach Belieben ihre Führer ab- und eingesetzt und sind dabei außer
Stande gewesen, für die Bewältigung des Havanneseraufstandes das Geringste
zu thun. Obgleich man es öffentlich noch nicht wahr haben will, ist die
Perle der Antillen für Spanien so gut wie verloren und sind bereits Ver¬
handlungen über einen Verkauf an die Vereinigten Staaten im Gange.
Leicht möglich, daß auch dieser nicht zu Stande kommt und daß die
amerikanischen Staatsmänner das Stück wiederholen, das sie den Dänen mit
der Insel Se. Thomas gespielt haben. Hier ließ man es bis zur allgemeinen
Abstimmung kommen und, nachdem die bisherige Regierung sich durch diese
unmöglich gemacht hatte, wurden die Ratification des Geschäfts und die
Zahlung des Kaufpreises durch ein Votum des Senats unmöglich gemacht.
Man hat nur nöthig dieses Manoeuvre zu wiederholen und die reiche Insel,
deren Erträge die spanischen Finanzen bisher nothdürftig über Wasser hielten,
ist der Regierung von Madrid ohne jede Entschädigung verloren gegan¬
gen, -- ein Verlust, der politisch ebenso schwer wiegen würde, wie wirth¬
schaftlich.

Von den europäischen Parlamenten ist das italiänische das einzige, das
seine Verhandlungen durch den ganzen Sommer ununterbrochen fortgesetzt hat.
In England wurden die Sitzungen nach Erledigung der irischen Kirchenbill am
11. August durch eine Thronrede vertagt, welche von Dank gegen Lords und
Gemeine überfloß, obgleich die Letzteren noch vor Thoresschluß ihrem Verdruß
über das Zustandekommen des Cairns'schen Compromisses durch Abwerfung
der schottischen Kirchenbill Luft gemacht hatten. Für die nächste Session
stehen nicht minder schwere Kämpfe in Aussicht wie für die abgelaufene, und
wiederum ist es Irland, das mit der Forderung neuer Zugeständnisse an
seine Bevölkerung vor die Regierung tritt. Schon während der d'Jsraelyschen
Verwaltung wurde neben der Abschaffung der irischen Staatskirche ein Gesetz
zur Regelung der ländlichen Verhältnisse der grünen Insel verlangt. Nach¬
dem die Abschlagszahlung auf kirchlichem Gebiete wirklich geleistet worden,
tritt die zweite Forderung mit erhöhtem Nachdruck auf, denn von ihr ist
eine sehr viel directere Wirkung auf die von der UnVersöhnlichkeit der
Fenier gestörte Ruhe Irlands zu erwarten, als von der Entpfründung der
Staatskirche. Es handelt sich darum, den sogenannten tsnants g,Ä xarole,
d. h. den Zeitpächtern, welche jährlich durch die bloße Willkür der Grund¬
eigenthümer von ihren Wohnsitzen verdrängt werden können, Garantieen so¬
wohl gegen Ausweisung ohne Entschädigung ihrer Meliorationen und Auf-


seribirte. Die schwache und zügellose Armee befindet sich in der elendsten Lage. Daß
ein solches System auf die Dauer nicht durchzuführen ist und die Zukunft der
Regierung nur erschwert, hat sich schon jeht gezeigt. Die nach Cuba gesandten
Truppen haben nach Belieben ihre Führer ab- und eingesetzt und sind dabei außer
Stande gewesen, für die Bewältigung des Havanneseraufstandes das Geringste
zu thun. Obgleich man es öffentlich noch nicht wahr haben will, ist die
Perle der Antillen für Spanien so gut wie verloren und sind bereits Ver¬
handlungen über einen Verkauf an die Vereinigten Staaten im Gange.
Leicht möglich, daß auch dieser nicht zu Stande kommt und daß die
amerikanischen Staatsmänner das Stück wiederholen, das sie den Dänen mit
der Insel Se. Thomas gespielt haben. Hier ließ man es bis zur allgemeinen
Abstimmung kommen und, nachdem die bisherige Regierung sich durch diese
unmöglich gemacht hatte, wurden die Ratification des Geschäfts und die
Zahlung des Kaufpreises durch ein Votum des Senats unmöglich gemacht.
Man hat nur nöthig dieses Manoeuvre zu wiederholen und die reiche Insel,
deren Erträge die spanischen Finanzen bisher nothdürftig über Wasser hielten,
ist der Regierung von Madrid ohne jede Entschädigung verloren gegan¬
gen, — ein Verlust, der politisch ebenso schwer wiegen würde, wie wirth¬
schaftlich.

Von den europäischen Parlamenten ist das italiänische das einzige, das
seine Verhandlungen durch den ganzen Sommer ununterbrochen fortgesetzt hat.
In England wurden die Sitzungen nach Erledigung der irischen Kirchenbill am
11. August durch eine Thronrede vertagt, welche von Dank gegen Lords und
Gemeine überfloß, obgleich die Letzteren noch vor Thoresschluß ihrem Verdruß
über das Zustandekommen des Cairns'schen Compromisses durch Abwerfung
der schottischen Kirchenbill Luft gemacht hatten. Für die nächste Session
stehen nicht minder schwere Kämpfe in Aussicht wie für die abgelaufene, und
wiederum ist es Irland, das mit der Forderung neuer Zugeständnisse an
seine Bevölkerung vor die Regierung tritt. Schon während der d'Jsraelyschen
Verwaltung wurde neben der Abschaffung der irischen Staatskirche ein Gesetz
zur Regelung der ländlichen Verhältnisse der grünen Insel verlangt. Nach¬
dem die Abschlagszahlung auf kirchlichem Gebiete wirklich geleistet worden,
tritt die zweite Forderung mit erhöhtem Nachdruck auf, denn von ihr ist
eine sehr viel directere Wirkung auf die von der UnVersöhnlichkeit der
Fenier gestörte Ruhe Irlands zu erwarten, als von der Entpfründung der
Staatskirche. Es handelt sich darum, den sogenannten tsnants g,Ä xarole,
d. h. den Zeitpächtern, welche jährlich durch die bloße Willkür der Grund¬
eigenthümer von ihren Wohnsitzen verdrängt werden können, Garantieen so¬
wohl gegen Ausweisung ohne Entschädigung ihrer Meliorationen und Auf-


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[0366] seribirte. Die schwache und zügellose Armee befindet sich in der elendsten Lage. Daß ein solches System auf die Dauer nicht durchzuführen ist und die Zukunft der Regierung nur erschwert, hat sich schon jeht gezeigt. Die nach Cuba gesandten Truppen haben nach Belieben ihre Führer ab- und eingesetzt und sind dabei außer Stande gewesen, für die Bewältigung des Havanneseraufstandes das Geringste zu thun. Obgleich man es öffentlich noch nicht wahr haben will, ist die Perle der Antillen für Spanien so gut wie verloren und sind bereits Ver¬ handlungen über einen Verkauf an die Vereinigten Staaten im Gange. Leicht möglich, daß auch dieser nicht zu Stande kommt und daß die amerikanischen Staatsmänner das Stück wiederholen, das sie den Dänen mit der Insel Se. Thomas gespielt haben. Hier ließ man es bis zur allgemeinen Abstimmung kommen und, nachdem die bisherige Regierung sich durch diese unmöglich gemacht hatte, wurden die Ratification des Geschäfts und die Zahlung des Kaufpreises durch ein Votum des Senats unmöglich gemacht. Man hat nur nöthig dieses Manoeuvre zu wiederholen und die reiche Insel, deren Erträge die spanischen Finanzen bisher nothdürftig über Wasser hielten, ist der Regierung von Madrid ohne jede Entschädigung verloren gegan¬ gen, — ein Verlust, der politisch ebenso schwer wiegen würde, wie wirth¬ schaftlich. Von den europäischen Parlamenten ist das italiänische das einzige, das seine Verhandlungen durch den ganzen Sommer ununterbrochen fortgesetzt hat. In England wurden die Sitzungen nach Erledigung der irischen Kirchenbill am 11. August durch eine Thronrede vertagt, welche von Dank gegen Lords und Gemeine überfloß, obgleich die Letzteren noch vor Thoresschluß ihrem Verdruß über das Zustandekommen des Cairns'schen Compromisses durch Abwerfung der schottischen Kirchenbill Luft gemacht hatten. Für die nächste Session stehen nicht minder schwere Kämpfe in Aussicht wie für die abgelaufene, und wiederum ist es Irland, das mit der Forderung neuer Zugeständnisse an seine Bevölkerung vor die Regierung tritt. Schon während der d'Jsraelyschen Verwaltung wurde neben der Abschaffung der irischen Staatskirche ein Gesetz zur Regelung der ländlichen Verhältnisse der grünen Insel verlangt. Nach¬ dem die Abschlagszahlung auf kirchlichem Gebiete wirklich geleistet worden, tritt die zweite Forderung mit erhöhtem Nachdruck auf, denn von ihr ist eine sehr viel directere Wirkung auf die von der UnVersöhnlichkeit der Fenier gestörte Ruhe Irlands zu erwarten, als von der Entpfründung der Staatskirche. Es handelt sich darum, den sogenannten tsnants g,Ä xarole, d. h. den Zeitpächtern, welche jährlich durch die bloße Willkür der Grund¬ eigenthümer von ihren Wohnsitzen verdrängt werden können, Garantieen so¬ wohl gegen Ausweisung ohne Entschädigung ihrer Meliorationen und Auf-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/366>, abgerufen am 25.08.2024.