Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

machte. Möglich, daß in dieser letzteren Richtung mit der Zeit etwas er-
reicht wird -- die Wünsche für Decentralisation und eine Art Selbstbestim¬
mung der Gemeinden sind taube Nüsse. Keine der Regierungen, unter denen
Frankreich seit den Tagen der großen Revolution gestanden, hat auch nur
Miene gemacht, die Vortheile aus den Händen zu geben, welche ihr aus dem
Centralisationssystem erwuchsen, und das zweite Kaiserreich ist am wenig¬
sten dazu angethan, Concessionen zu machen, von denen es weiß, daß sie
ihm nicht abgerungen werden können, weil die Mehrzahl der Franzosen trotz
Toqueville heute ebenso wenig Verständniß für die Gemeindefreiheit hat. wie
vor dreißig und vor sechzig Jahren.

Die an der südlichen Grenze Frankreichs versuchten Karlistenerhebungen,
denen die französische Regierung Anfangs passiv zugesehen, haben damit ge¬
endet, daß die noch nicht über die Pyrenäen gegangenen Bandenchefs inter-
nirt wurden, um das Kaiserthum von dem Verdacht der Unterstützung eines
aussichtslosen Aufstandes zu reinigen. Im Uebrigen hat diese Karlistener¬
hebung einen Verlauf genommen, der anderen Unternehmungen dieser Art
ziemlich ähnlich sieht. Anfangs coursirten übertriebene Gerüchte von dem
Erscheinen ganzer Karlistenarmeen und der Lieferung förmlicher Schlachten;
dann hieß es. an der ganzen Sache sei überhaupt Nichts wahr, als daß ein
mißglückter Versuch zur Ueberrumpelung von Pampelona gemacht worden
und schließlich hat sich herausgestellt, daß in der That eine ganze Reihe
kleinerer Gefechte gegen Karlistenchefs geliefert worden ist. Obgleich von Hause
aus zweifellos war, daß die provisorische Regierung dieser verfrühten und
künstlichem Emeute ohne Mühe Herr werden werde, scheint es doch, als ob die
Ruhe in den Grenzprovinzen noch nicht völlig hergestellt ist, da bis in die
letzten Tage von der Bewältigung einzelner Nachzügler berichtet wurde. --
Für das innere Leben des spanischen Staats ist dieser Pulses so gleichgültig
geblieben, daß die Spannung zwischen Monarchisten und Republikanern für
keinen einzigen Tag ausgesetzt hat und daß die glückliche Bewältigung des
karlistischen Einfalls der Regierung kaum als Verdienst angerechnet worden ist.
Wenn diese Regierung sich trotz der schwindenden Aussicht auf die Auffindung
eines Königs und trotz der raschen Ausbreitung der namentlich in den größeren
Städten höchst einflußreichen republikanischen Liga in der Volksgunst noch
immer leidlich erhält, so hat sie das einem Umstände von höchst zweifelhaftem
und noch dazu schwindenden Werth zuzuschreiben: um die Massen bei guter
Laune zu erhalten, läßt man den Staatsschatz darben und verzichtet man
darauf, die Armee zu vermehren und kampffähig zu erhalten. Die Verbrauchs-
steuer ist ohne genügendes Aequivalent abgeschafft worden und an vielen
Orten bezahlen die Municipalitäten die Stellvertreter für kriegsnnlustige Cor-


machte. Möglich, daß in dieser letzteren Richtung mit der Zeit etwas er-
reicht wird — die Wünsche für Decentralisation und eine Art Selbstbestim¬
mung der Gemeinden sind taube Nüsse. Keine der Regierungen, unter denen
Frankreich seit den Tagen der großen Revolution gestanden, hat auch nur
Miene gemacht, die Vortheile aus den Händen zu geben, welche ihr aus dem
Centralisationssystem erwuchsen, und das zweite Kaiserreich ist am wenig¬
sten dazu angethan, Concessionen zu machen, von denen es weiß, daß sie
ihm nicht abgerungen werden können, weil die Mehrzahl der Franzosen trotz
Toqueville heute ebenso wenig Verständniß für die Gemeindefreiheit hat. wie
vor dreißig und vor sechzig Jahren.

Die an der südlichen Grenze Frankreichs versuchten Karlistenerhebungen,
denen die französische Regierung Anfangs passiv zugesehen, haben damit ge¬
endet, daß die noch nicht über die Pyrenäen gegangenen Bandenchefs inter-
nirt wurden, um das Kaiserthum von dem Verdacht der Unterstützung eines
aussichtslosen Aufstandes zu reinigen. Im Uebrigen hat diese Karlistener¬
hebung einen Verlauf genommen, der anderen Unternehmungen dieser Art
ziemlich ähnlich sieht. Anfangs coursirten übertriebene Gerüchte von dem
Erscheinen ganzer Karlistenarmeen und der Lieferung förmlicher Schlachten;
dann hieß es. an der ganzen Sache sei überhaupt Nichts wahr, als daß ein
mißglückter Versuch zur Ueberrumpelung von Pampelona gemacht worden
und schließlich hat sich herausgestellt, daß in der That eine ganze Reihe
kleinerer Gefechte gegen Karlistenchefs geliefert worden ist. Obgleich von Hause
aus zweifellos war, daß die provisorische Regierung dieser verfrühten und
künstlichem Emeute ohne Mühe Herr werden werde, scheint es doch, als ob die
Ruhe in den Grenzprovinzen noch nicht völlig hergestellt ist, da bis in die
letzten Tage von der Bewältigung einzelner Nachzügler berichtet wurde. —
Für das innere Leben des spanischen Staats ist dieser Pulses so gleichgültig
geblieben, daß die Spannung zwischen Monarchisten und Republikanern für
keinen einzigen Tag ausgesetzt hat und daß die glückliche Bewältigung des
karlistischen Einfalls der Regierung kaum als Verdienst angerechnet worden ist.
Wenn diese Regierung sich trotz der schwindenden Aussicht auf die Auffindung
eines Königs und trotz der raschen Ausbreitung der namentlich in den größeren
Städten höchst einflußreichen republikanischen Liga in der Volksgunst noch
immer leidlich erhält, so hat sie das einem Umstände von höchst zweifelhaftem
und noch dazu schwindenden Werth zuzuschreiben: um die Massen bei guter
Laune zu erhalten, läßt man den Staatsschatz darben und verzichtet man
darauf, die Armee zu vermehren und kampffähig zu erhalten. Die Verbrauchs-
steuer ist ohne genügendes Aequivalent abgeschafft worden und an vielen
Orten bezahlen die Municipalitäten die Stellvertreter für kriegsnnlustige Cor-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0365" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/121586"/>
          <p xml:id="ID_1134" prev="#ID_1133"> machte. Möglich, daß in dieser letzteren Richtung mit der Zeit etwas er-<lb/>
reicht wird &#x2014; die Wünsche für Decentralisation und eine Art Selbstbestim¬<lb/>
mung der Gemeinden sind taube Nüsse. Keine der Regierungen, unter denen<lb/>
Frankreich seit den Tagen der großen Revolution gestanden, hat auch nur<lb/>
Miene gemacht, die Vortheile aus den Händen zu geben, welche ihr aus dem<lb/>
Centralisationssystem erwuchsen, und das zweite Kaiserreich ist am wenig¬<lb/>
sten dazu angethan, Concessionen zu machen, von denen es weiß, daß sie<lb/>
ihm nicht abgerungen werden können, weil die Mehrzahl der Franzosen trotz<lb/>
Toqueville heute ebenso wenig Verständniß für die Gemeindefreiheit hat. wie<lb/>
vor dreißig und vor sechzig Jahren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1135" next="#ID_1136"> Die an der südlichen Grenze Frankreichs versuchten Karlistenerhebungen,<lb/>
denen die französische Regierung Anfangs passiv zugesehen, haben damit ge¬<lb/>
endet, daß die noch nicht über die Pyrenäen gegangenen Bandenchefs inter-<lb/>
nirt wurden, um das Kaiserthum von dem Verdacht der Unterstützung eines<lb/>
aussichtslosen Aufstandes zu reinigen. Im Uebrigen hat diese Karlistener¬<lb/>
hebung einen Verlauf genommen, der anderen Unternehmungen dieser Art<lb/>
ziemlich ähnlich sieht. Anfangs coursirten übertriebene Gerüchte von dem<lb/>
Erscheinen ganzer Karlistenarmeen und der Lieferung förmlicher Schlachten;<lb/>
dann hieß es. an der ganzen Sache sei überhaupt Nichts wahr, als daß ein<lb/>
mißglückter Versuch zur Ueberrumpelung von Pampelona gemacht worden<lb/>
und schließlich hat sich herausgestellt, daß in der That eine ganze Reihe<lb/>
kleinerer Gefechte gegen Karlistenchefs geliefert worden ist. Obgleich von Hause<lb/>
aus zweifellos war, daß die provisorische Regierung dieser verfrühten und<lb/>
künstlichem Emeute ohne Mühe Herr werden werde, scheint es doch, als ob die<lb/>
Ruhe in den Grenzprovinzen noch nicht völlig hergestellt ist, da bis in die<lb/>
letzten Tage von der Bewältigung einzelner Nachzügler berichtet wurde. &#x2014;<lb/>
Für das innere Leben des spanischen Staats ist dieser Pulses so gleichgültig<lb/>
geblieben, daß die Spannung zwischen Monarchisten und Republikanern für<lb/>
keinen einzigen Tag ausgesetzt hat und daß die glückliche Bewältigung des<lb/>
karlistischen Einfalls der Regierung kaum als Verdienst angerechnet worden ist.<lb/>
Wenn diese Regierung sich trotz der schwindenden Aussicht auf die Auffindung<lb/>
eines Königs und trotz der raschen Ausbreitung der namentlich in den größeren<lb/>
Städten höchst einflußreichen republikanischen Liga in der Volksgunst noch<lb/>
immer leidlich erhält, so hat sie das einem Umstände von höchst zweifelhaftem<lb/>
und noch dazu schwindenden Werth zuzuschreiben: um die Massen bei guter<lb/>
Laune zu erhalten, läßt man den Staatsschatz darben und verzichtet man<lb/>
darauf, die Armee zu vermehren und kampffähig zu erhalten. Die Verbrauchs-<lb/>
steuer ist ohne genügendes Aequivalent abgeschafft worden und an vielen<lb/>
Orten bezahlen die Municipalitäten die Stellvertreter für kriegsnnlustige Cor-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0365] machte. Möglich, daß in dieser letzteren Richtung mit der Zeit etwas er- reicht wird — die Wünsche für Decentralisation und eine Art Selbstbestim¬ mung der Gemeinden sind taube Nüsse. Keine der Regierungen, unter denen Frankreich seit den Tagen der großen Revolution gestanden, hat auch nur Miene gemacht, die Vortheile aus den Händen zu geben, welche ihr aus dem Centralisationssystem erwuchsen, und das zweite Kaiserreich ist am wenig¬ sten dazu angethan, Concessionen zu machen, von denen es weiß, daß sie ihm nicht abgerungen werden können, weil die Mehrzahl der Franzosen trotz Toqueville heute ebenso wenig Verständniß für die Gemeindefreiheit hat. wie vor dreißig und vor sechzig Jahren. Die an der südlichen Grenze Frankreichs versuchten Karlistenerhebungen, denen die französische Regierung Anfangs passiv zugesehen, haben damit ge¬ endet, daß die noch nicht über die Pyrenäen gegangenen Bandenchefs inter- nirt wurden, um das Kaiserthum von dem Verdacht der Unterstützung eines aussichtslosen Aufstandes zu reinigen. Im Uebrigen hat diese Karlistener¬ hebung einen Verlauf genommen, der anderen Unternehmungen dieser Art ziemlich ähnlich sieht. Anfangs coursirten übertriebene Gerüchte von dem Erscheinen ganzer Karlistenarmeen und der Lieferung förmlicher Schlachten; dann hieß es. an der ganzen Sache sei überhaupt Nichts wahr, als daß ein mißglückter Versuch zur Ueberrumpelung von Pampelona gemacht worden und schließlich hat sich herausgestellt, daß in der That eine ganze Reihe kleinerer Gefechte gegen Karlistenchefs geliefert worden ist. Obgleich von Hause aus zweifellos war, daß die provisorische Regierung dieser verfrühten und künstlichem Emeute ohne Mühe Herr werden werde, scheint es doch, als ob die Ruhe in den Grenzprovinzen noch nicht völlig hergestellt ist, da bis in die letzten Tage von der Bewältigung einzelner Nachzügler berichtet wurde. — Für das innere Leben des spanischen Staats ist dieser Pulses so gleichgültig geblieben, daß die Spannung zwischen Monarchisten und Republikanern für keinen einzigen Tag ausgesetzt hat und daß die glückliche Bewältigung des karlistischen Einfalls der Regierung kaum als Verdienst angerechnet worden ist. Wenn diese Regierung sich trotz der schwindenden Aussicht auf die Auffindung eines Königs und trotz der raschen Ausbreitung der namentlich in den größeren Städten höchst einflußreichen republikanischen Liga in der Volksgunst noch immer leidlich erhält, so hat sie das einem Umstände von höchst zweifelhaftem und noch dazu schwindenden Werth zuzuschreiben: um die Massen bei guter Laune zu erhalten, läßt man den Staatsschatz darben und verzichtet man darauf, die Armee zu vermehren und kampffähig zu erhalten. Die Verbrauchs- steuer ist ohne genügendes Aequivalent abgeschafft worden und an vielen Orten bezahlen die Municipalitäten die Stellvertreter für kriegsnnlustige Cor-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/365
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/365>, abgerufen am 25.08.2024.