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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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Aegypten werde größere Dimensionen annehmen und zu einem förmlichen
Bruch führen; türkenfeindliche Heißsporne hatten bereits von einem Sturz
der Pforte durch den mächtigen Vasallen geträumt und diesem die Rolle
vindicirt, welche das ohnmächtige Griechenland nicht durchzuführen im Stande
gewesen war. Aber wie sich unschwer vorhersehen ließ, sind diese Erwar¬
tungen Lügen gestraft worden, und hat der unter dem Einfluß der West¬
mächte stehende Khedive eingelenkt und dadurch den Machinationen seines
ehrgeizigen und feindlichen Bruders Fazit-Mustapha die Spitze abgebrochen.
Auch in Constantinopel hatten die Cabinette von London und Paris daran
erinnert, daß die letzte Pariser Conferenz ein Glücksfall gewesen sei, auf dessen
Wiederkehr nicht gerechnet werden könne und der Divan ist einsichtig genug
gewesen, diesen Vorstellungen Gehör zu leihen und die gute Meinung seiner
Rathgeber auf keine neue Probe zu stellen.

Frankreich vor Allem hat das lebhafteste Interesse daran, die
Ruhe im Orient aufrechtzuerhalten. Seit der verhängnißuollen Bot¬
schaft des Kaisers an das corxs loZiLla-tit' sind die Dinge in ein
Rollen gekommen, dem sich nicht mehr gebieten läßt und das wenig¬
stens zunächst durch keine auswärtige Diversion aufgehalten werden
kann. Obgleich die Machtstellung, welche Rouher auch in seinem Amt
als Senatspräsident zu behaupten weiß, für die neuen Minister ebensowenig
ermuthigend und Vertrauen einflößend ist, wie für die liberalen Parteien,
weiß man doch allenthalben, daß der gethane Schritt sich nicht mehr zurück¬
thun läßt und daß die Ausführung der verheißenen Reformen zur unbe¬
dingten Nothwendigkeit geworden ist. Daraus ist zugleich zu erklären, daß die
fieberhafte Unruhe der Opposition, welche Anfangs Miene machte rücksichtslos
fortzustürmen und die erzielten Resultate am Wege liegen zu lassen, für den
Augenblick einer besonneneren Stimmung Platz gemacht und daß man es sich
über sich gewonnen hat, zunächst den Verlauf und Abschluß der Verhandlungen
des Senats abzuwarten. Die am Napoleonstage erlassene Amnestie hat das
Ihrige dazu beigetragen, diese Stimmung zu befestigen, und weitaus die
größte Zahl der liberalen und demokratischen Parteiorgane hat die versöhn¬
liche Absicht der Regierung anerkannt^ut acceptirt. Die Feier des Is. August
ist ungewöhnlich still und geräuschlos verlaufen, obgleich sie dieses Mal
von außergewöhnlicher Bedeutung war und es der Regierung wohl nahe
gelegen hätte, den hundertsten Geburtstag des Nationalhelden zur Auffrischung
der dynastischen Gefühle des Volks zu benutzen. Der einzige Versuch zu einer
Kundgebung dieser Art. ein pathetischer Erlaß des Commandirenden von
Chalons, General Bourbaki (eines geborenen Griechen !), ist ohne Widerhall ver¬
klungen, in Frankreich ignorirt, im Auslande belächelt worden. Die seit dem


Aegypten werde größere Dimensionen annehmen und zu einem förmlichen
Bruch führen; türkenfeindliche Heißsporne hatten bereits von einem Sturz
der Pforte durch den mächtigen Vasallen geträumt und diesem die Rolle
vindicirt, welche das ohnmächtige Griechenland nicht durchzuführen im Stande
gewesen war. Aber wie sich unschwer vorhersehen ließ, sind diese Erwar¬
tungen Lügen gestraft worden, und hat der unter dem Einfluß der West¬
mächte stehende Khedive eingelenkt und dadurch den Machinationen seines
ehrgeizigen und feindlichen Bruders Fazit-Mustapha die Spitze abgebrochen.
Auch in Constantinopel hatten die Cabinette von London und Paris daran
erinnert, daß die letzte Pariser Conferenz ein Glücksfall gewesen sei, auf dessen
Wiederkehr nicht gerechnet werden könne und der Divan ist einsichtig genug
gewesen, diesen Vorstellungen Gehör zu leihen und die gute Meinung seiner
Rathgeber auf keine neue Probe zu stellen.

Frankreich vor Allem hat das lebhafteste Interesse daran, die
Ruhe im Orient aufrechtzuerhalten. Seit der verhängnißuollen Bot¬
schaft des Kaisers an das corxs loZiLla-tit' sind die Dinge in ein
Rollen gekommen, dem sich nicht mehr gebieten läßt und das wenig¬
stens zunächst durch keine auswärtige Diversion aufgehalten werden
kann. Obgleich die Machtstellung, welche Rouher auch in seinem Amt
als Senatspräsident zu behaupten weiß, für die neuen Minister ebensowenig
ermuthigend und Vertrauen einflößend ist, wie für die liberalen Parteien,
weiß man doch allenthalben, daß der gethane Schritt sich nicht mehr zurück¬
thun läßt und daß die Ausführung der verheißenen Reformen zur unbe¬
dingten Nothwendigkeit geworden ist. Daraus ist zugleich zu erklären, daß die
fieberhafte Unruhe der Opposition, welche Anfangs Miene machte rücksichtslos
fortzustürmen und die erzielten Resultate am Wege liegen zu lassen, für den
Augenblick einer besonneneren Stimmung Platz gemacht und daß man es sich
über sich gewonnen hat, zunächst den Verlauf und Abschluß der Verhandlungen
des Senats abzuwarten. Die am Napoleonstage erlassene Amnestie hat das
Ihrige dazu beigetragen, diese Stimmung zu befestigen, und weitaus die
größte Zahl der liberalen und demokratischen Parteiorgane hat die versöhn¬
liche Absicht der Regierung anerkannt^ut acceptirt. Die Feier des Is. August
ist ungewöhnlich still und geräuschlos verlaufen, obgleich sie dieses Mal
von außergewöhnlicher Bedeutung war und es der Regierung wohl nahe
gelegen hätte, den hundertsten Geburtstag des Nationalhelden zur Auffrischung
der dynastischen Gefühle des Volks zu benutzen. Der einzige Versuch zu einer
Kundgebung dieser Art. ein pathetischer Erlaß des Commandirenden von
Chalons, General Bourbaki (eines geborenen Griechen !), ist ohne Widerhall ver¬
klungen, in Frankreich ignorirt, im Auslande belächelt worden. Die seit dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/363>, abgerufen am 25.08.2024.