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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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In den Oestreich benachbarten östlichen und südöstlichen Donauländern
ist die Ruhe auch während des abgelaufenen Monats nicht gestört worden.
Die Nachricht von einem in der Herzegowina ausgebrochenen Aufstande, an
dessen Spitze der vor einigen Jahren nach Odessa geflüchtete slawische Agitator
Luka Wulkowitsch stehen soll, hat sich nicht bestätigt, sondern läßt sich auf das
Manifest zurückführen, das Wulkowitsch vor Kurzem an seine böhmischen Lands¬
leute erlassen hat. um Feindschaft und Mißtrauen gegen Oestreich und Ungarn
und Vertrauen zu Rußland zu predigen, das der nächsten südslawischen Er¬
hebung gegen die Pforte seine Unterstützung sicher nicht versagen werde. --
In Rumänien wird eifrig an der Verbesserung der Communicationsmittel
durch neue Canäle und Eisenbahnen gearbeitet, das Ministerium Ghika-
Cogolnitscheano hat seinen Einfluß befestigt, bei den Wahlen zum Senat
gesiegt und den Agitationen der rothen Partei und ihres Führers Jan Bra-
tiano bis jetzt energisch Stand gehalten. Die Schlägereien an der wallachisch-
ungarischen Grenze sind ohne Bedeutung, obgleich der Magyarenhaß der ru¬
mänischen Demokratie Vorgänge dieser Art mit Vorliebe zur Schürung der
Volksleidenschaften und zur Herbeiführung von Conflicten auszubeuten gewohnt
ist. Fürst Carl hat dem in der Krim weilenden Kaiser von Rußland einen
Besuch gemacht, um seine guten Beziehungen zu diesem mächtigen Nachbarn
zu befestigen. Das Verhältniß Rußlands zu der in Jassy und Bukarest
geschaffenen neuen Ordnung der Dinge ist bis jetzt kein besonders freund¬
liches gewesen. Rußland, dessen traditionelle Politik Lahmheit und Schwäche
des Rumänenstaats verlangt, ist der Berufung des hohenzollernschen Prinzen
auf den Hospodarenthron von Hause aus nicht geneigt gewesen. Die auch in
der Hofsphäre einflußreiche Moskaner Nationalpartei ließ sich die Sache indessen
noch gefallen, so lange Bratiano an der. Spitze der Geschäfte stand. Als
dieser turbulente Staatsmann aber durch Preußens Einfluß zu Fall gebracht
wurde, brach ein Sturm der Entrüstung gegen den "preußischen Garde-Officier"
und dessen "weiße" Rathgeber aus, welche sich in die Netze westeuropäischer
Intriguen ziehen ließen und mit dem Sultan Frieden machten, bloß weil,
Preußen den Wünschen der Maygaren Rechnung zu tragen für opportun
halte. Daß Fürst Carl eine Einladung nach Livadia erhalten und ange¬
nommen und der Krieg der russischen Presse gegen seine Rathgeber ein
Ende genommen hat. ist eine neue Bürgschaft für Rußlands friedliche Ab¬
sichten.

Während Kaiser Alexander an den Ufern des schwarzen Meeres ver¬
weilt, ist seine Regierung nach wie vor mit den beiden Hauptzielen ihrer
inneren Politik, der Russification der westlichen Grenzländer und der weiteren
Ausdehnung des Eisenbahnnetzes beschäftigt. Ein heftiger Kampf ist um die


Grenzboten III. 1869, 45

In den Oestreich benachbarten östlichen und südöstlichen Donauländern
ist die Ruhe auch während des abgelaufenen Monats nicht gestört worden.
Die Nachricht von einem in der Herzegowina ausgebrochenen Aufstande, an
dessen Spitze der vor einigen Jahren nach Odessa geflüchtete slawische Agitator
Luka Wulkowitsch stehen soll, hat sich nicht bestätigt, sondern läßt sich auf das
Manifest zurückführen, das Wulkowitsch vor Kurzem an seine böhmischen Lands¬
leute erlassen hat. um Feindschaft und Mißtrauen gegen Oestreich und Ungarn
und Vertrauen zu Rußland zu predigen, das der nächsten südslawischen Er¬
hebung gegen die Pforte seine Unterstützung sicher nicht versagen werde. —
In Rumänien wird eifrig an der Verbesserung der Communicationsmittel
durch neue Canäle und Eisenbahnen gearbeitet, das Ministerium Ghika-
Cogolnitscheano hat seinen Einfluß befestigt, bei den Wahlen zum Senat
gesiegt und den Agitationen der rothen Partei und ihres Führers Jan Bra-
tiano bis jetzt energisch Stand gehalten. Die Schlägereien an der wallachisch-
ungarischen Grenze sind ohne Bedeutung, obgleich der Magyarenhaß der ru¬
mänischen Demokratie Vorgänge dieser Art mit Vorliebe zur Schürung der
Volksleidenschaften und zur Herbeiführung von Conflicten auszubeuten gewohnt
ist. Fürst Carl hat dem in der Krim weilenden Kaiser von Rußland einen
Besuch gemacht, um seine guten Beziehungen zu diesem mächtigen Nachbarn
zu befestigen. Das Verhältniß Rußlands zu der in Jassy und Bukarest
geschaffenen neuen Ordnung der Dinge ist bis jetzt kein besonders freund¬
liches gewesen. Rußland, dessen traditionelle Politik Lahmheit und Schwäche
des Rumänenstaats verlangt, ist der Berufung des hohenzollernschen Prinzen
auf den Hospodarenthron von Hause aus nicht geneigt gewesen. Die auch in
der Hofsphäre einflußreiche Moskaner Nationalpartei ließ sich die Sache indessen
noch gefallen, so lange Bratiano an der. Spitze der Geschäfte stand. Als
dieser turbulente Staatsmann aber durch Preußens Einfluß zu Fall gebracht
wurde, brach ein Sturm der Entrüstung gegen den „preußischen Garde-Officier"
und dessen „weiße" Rathgeber aus, welche sich in die Netze westeuropäischer
Intriguen ziehen ließen und mit dem Sultan Frieden machten, bloß weil,
Preußen den Wünschen der Maygaren Rechnung zu tragen für opportun
halte. Daß Fürst Carl eine Einladung nach Livadia erhalten und ange¬
nommen und der Krieg der russischen Presse gegen seine Rathgeber ein
Ende genommen hat. ist eine neue Bürgschaft für Rußlands friedliche Ab¬
sichten.

Während Kaiser Alexander an den Ufern des schwarzen Meeres ver¬
weilt, ist seine Regierung nach wie vor mit den beiden Hauptzielen ihrer
inneren Politik, der Russification der westlichen Grenzländer und der weiteren
Ausdehnung des Eisenbahnnetzes beschäftigt. Ein heftiger Kampf ist um die


Grenzboten III. 1869, 45
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[0361] In den Oestreich benachbarten östlichen und südöstlichen Donauländern ist die Ruhe auch während des abgelaufenen Monats nicht gestört worden. Die Nachricht von einem in der Herzegowina ausgebrochenen Aufstande, an dessen Spitze der vor einigen Jahren nach Odessa geflüchtete slawische Agitator Luka Wulkowitsch stehen soll, hat sich nicht bestätigt, sondern läßt sich auf das Manifest zurückführen, das Wulkowitsch vor Kurzem an seine böhmischen Lands¬ leute erlassen hat. um Feindschaft und Mißtrauen gegen Oestreich und Ungarn und Vertrauen zu Rußland zu predigen, das der nächsten südslawischen Er¬ hebung gegen die Pforte seine Unterstützung sicher nicht versagen werde. — In Rumänien wird eifrig an der Verbesserung der Communicationsmittel durch neue Canäle und Eisenbahnen gearbeitet, das Ministerium Ghika- Cogolnitscheano hat seinen Einfluß befestigt, bei den Wahlen zum Senat gesiegt und den Agitationen der rothen Partei und ihres Führers Jan Bra- tiano bis jetzt energisch Stand gehalten. Die Schlägereien an der wallachisch- ungarischen Grenze sind ohne Bedeutung, obgleich der Magyarenhaß der ru¬ mänischen Demokratie Vorgänge dieser Art mit Vorliebe zur Schürung der Volksleidenschaften und zur Herbeiführung von Conflicten auszubeuten gewohnt ist. Fürst Carl hat dem in der Krim weilenden Kaiser von Rußland einen Besuch gemacht, um seine guten Beziehungen zu diesem mächtigen Nachbarn zu befestigen. Das Verhältniß Rußlands zu der in Jassy und Bukarest geschaffenen neuen Ordnung der Dinge ist bis jetzt kein besonders freund¬ liches gewesen. Rußland, dessen traditionelle Politik Lahmheit und Schwäche des Rumänenstaats verlangt, ist der Berufung des hohenzollernschen Prinzen auf den Hospodarenthron von Hause aus nicht geneigt gewesen. Die auch in der Hofsphäre einflußreiche Moskaner Nationalpartei ließ sich die Sache indessen noch gefallen, so lange Bratiano an der. Spitze der Geschäfte stand. Als dieser turbulente Staatsmann aber durch Preußens Einfluß zu Fall gebracht wurde, brach ein Sturm der Entrüstung gegen den „preußischen Garde-Officier" und dessen „weiße" Rathgeber aus, welche sich in die Netze westeuropäischer Intriguen ziehen ließen und mit dem Sultan Frieden machten, bloß weil, Preußen den Wünschen der Maygaren Rechnung zu tragen für opportun halte. Daß Fürst Carl eine Einladung nach Livadia erhalten und ange¬ nommen und der Krieg der russischen Presse gegen seine Rathgeber ein Ende genommen hat. ist eine neue Bürgschaft für Rußlands friedliche Ab¬ sichten. Während Kaiser Alexander an den Ufern des schwarzen Meeres ver¬ weilt, ist seine Regierung nach wie vor mit den beiden Hauptzielen ihrer inneren Politik, der Russification der westlichen Grenzländer und der weiteren Ausdehnung des Eisenbahnnetzes beschäftigt. Ein heftiger Kampf ist um die Grenzboten III. 1869, 45

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/361>, abgerufen am 25.08.2024.