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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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AanKe's WaUenflem.

Geschichte Wallenstein's von Leopold v, Ranke. Leipzig, Duncker und Humblot.
1869 gr. 8. IX. u. 532 Seiten.

Von den Persönlichkeiten, welche uns die Geschichte des dreißigjährigen
Krieges vor Augen stellt, ist Wallenstein zwar nicht die bedeutendste und
liebenswürdigste -- denn diese Auszeichnung kann nur Gustav Adolf zuer¬
kannt werden -- wohl aber bei seiner räthselhaften Natur der interessanteste
Charakter. Schon seine Zeitgenossen hat er so verschiedenartig erregt, bald
zur Bewunderung und Liebe, bald zur Furcht und zum Haß, und keinem ist
so vieles anvertraut, keinem so arg mißtraut worden, wie dem Herzog von
Friedland. In den die unbeholfene Geschichtsschreibung des 17. und 18. Jahr¬
hunderts bestimmenden zum Theil officiellen Relationen und Beurtheilungen,
die nach seinem Tode erschienen, war er einfach der ehrgeizige Emporkömm¬
ling, der als Rebell gegen seinen Kaiser gerichtet worden war. Stille Sym¬
pathien für ihn regten sich höchstens noch hier und da nach dunkeler Tradi¬
tion in Böhmen. Gleich mir der Entwickelung einer eleganten deutschen Ge¬
schichtschreibung zu Ende des vorigen Jahrhunderts wurde Wallenstein durch
die nach den damals bekannten Quellen ziemlich getreue geistvolle Darstellung
Schillers in seinem dreißigjährigen Kriege, sowie durch die poetische Um¬
bildung des Charakters des Helden in dem berühmten Drama in größeren
Kreisen populär. Dann folgte seine einseitige Verherrlichung durch Förster, von
dem nur noch die urkundlichen Mittheilungen von Werth sind. Damals machten
der unhistorische Liberalismus der Zeit und die berechtigte Antipathie gegen
Ferdinands II. spanisch-katholische Tendenzen Förster auf einige Zeit zu einer
historischen Autorität. Die Reaction konnte nicht ausbleiben, theils die be¬
rechtigte in der Eröffnung einer Menge der wichtigsten unbekannten Quellen
aus den Archiven von München, Wien, Dresden, Brüssel :c., wodurch
Förster in den meisten seiner Behauptungen auf eine für den Herzog sehr
bedenkliche Weise widerlegt wurde, theils die einseitige parteiische, deren Ver¬
treter in katholische loyalem Eifer befangen und fanatisch für die historische
Vernichtung Wallensteins eintraten, wie Arelim und Hurter. Allmälig trat
die leidenschaftliche Beurtheilung mehr zurück, das historische Urtheil klärte
sich ab. Man erkannte von einem höheren historischen Standpunkte aus
des Herzogs Begabung, die Bedeutung und Berechtigung mancher seiner In¬
tentionen an, betrachtete aber seinen Untergang als die Folge seiner Schuld,
weil er unter dem Scheine höherer Interessen herzlos immer nur für sich
gearbeitet und weder genügend klug noch genügend kräftig nach dem Ziele


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AanKe's WaUenflem.

Geschichte Wallenstein's von Leopold v, Ranke. Leipzig, Duncker und Humblot.
1869 gr. 8. IX. u. 532 Seiten.

Von den Persönlichkeiten, welche uns die Geschichte des dreißigjährigen
Krieges vor Augen stellt, ist Wallenstein zwar nicht die bedeutendste und
liebenswürdigste — denn diese Auszeichnung kann nur Gustav Adolf zuer¬
kannt werden — wohl aber bei seiner räthselhaften Natur der interessanteste
Charakter. Schon seine Zeitgenossen hat er so verschiedenartig erregt, bald
zur Bewunderung und Liebe, bald zur Furcht und zum Haß, und keinem ist
so vieles anvertraut, keinem so arg mißtraut worden, wie dem Herzog von
Friedland. In den die unbeholfene Geschichtsschreibung des 17. und 18. Jahr¬
hunderts bestimmenden zum Theil officiellen Relationen und Beurtheilungen,
die nach seinem Tode erschienen, war er einfach der ehrgeizige Emporkömm¬
ling, der als Rebell gegen seinen Kaiser gerichtet worden war. Stille Sym¬
pathien für ihn regten sich höchstens noch hier und da nach dunkeler Tradi¬
tion in Böhmen. Gleich mir der Entwickelung einer eleganten deutschen Ge¬
schichtschreibung zu Ende des vorigen Jahrhunderts wurde Wallenstein durch
die nach den damals bekannten Quellen ziemlich getreue geistvolle Darstellung
Schillers in seinem dreißigjährigen Kriege, sowie durch die poetische Um¬
bildung des Charakters des Helden in dem berühmten Drama in größeren
Kreisen populär. Dann folgte seine einseitige Verherrlichung durch Förster, von
dem nur noch die urkundlichen Mittheilungen von Werth sind. Damals machten
der unhistorische Liberalismus der Zeit und die berechtigte Antipathie gegen
Ferdinands II. spanisch-katholische Tendenzen Förster auf einige Zeit zu einer
historischen Autorität. Die Reaction konnte nicht ausbleiben, theils die be¬
rechtigte in der Eröffnung einer Menge der wichtigsten unbekannten Quellen
aus den Archiven von München, Wien, Dresden, Brüssel :c., wodurch
Förster in den meisten seiner Behauptungen auf eine für den Herzog sehr
bedenkliche Weise widerlegt wurde, theils die einseitige parteiische, deren Ver¬
treter in katholische loyalem Eifer befangen und fanatisch für die historische
Vernichtung Wallensteins eintraten, wie Arelim und Hurter. Allmälig trat
die leidenschaftliche Beurtheilung mehr zurück, das historische Urtheil klärte
sich ab. Man erkannte von einem höheren historischen Standpunkte aus
des Herzogs Begabung, die Bedeutung und Berechtigung mancher seiner In¬
tentionen an, betrachtete aber seinen Untergang als die Folge seiner Schuld,
weil er unter dem Scheine höherer Interessen herzlos immer nur für sich
gearbeitet und weder genügend klug noch genügend kräftig nach dem Ziele


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/35>, abgerufen am 25.08.2024.