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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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Nur gegen ein Scparatbündniß mit Brandenburg, zu dem natürlich allen
anderen Ständen der Zutritt offen zu lassen wäre, sperrten sich die Braun¬
schweiger; sie wollten, daß alle Alliancebesteebungen sich innerhalb der Kreis¬
verfassung bewegten, daß man den westphälischen und den sächsischen Kreis
kräftig organisire und dann eine Verbindung zwischen diesen beiden Kreisen
herzustellen suche. Für wie wenig entwickelungsfähig Waldeck aber die be¬
stehenden Reichsinstitutionen hielt, haben wir schon gesehen. Man mochte
an dieselben immerhin anknüpfen. Das wahre Ziel seiner Politik war aber
auf Separatbündnisse gerichtet, die (wie Erdmannsdörffer besonders in dem
letzten, Waldecks Bestrebungen mit Friedrichs des Großen Unionspolitik
scharfsinnig vergleichenden Schlußabschnitt des fünften Kapitels ausführt)
allmälig zu einer festen Union unter Brandenburgs Leitung zusammenwachsen
sollten. Daß dies der letzte Gedanke der brandenburgischen Politik sei, ahnte
man, trotz Waldecks überaus vorsichtiger Zurückhaltung, an den welfischen
Höfen wohl, und daher auch das Sträuben gegen eine Maßregel, von der
man fürchtete, daß sie Brandenburg den Weg zu einer gebietenden Stellung
in Norddeutschland bahnen würde. Nach langen Verhandlungen gelingt es
endlich auf den Conferenzen zu Goslar im Juni 1654, durch die Drohung
mit einer brandenburgisch-französisch-schwedischen Alliance die Sprödigkeit
der Braunschweiger zu überwinden und sie zu einer jedoch nur für die
Reichslande des Kurfürsten geltenden und auch die Jülichschen Händel
ausnehmenden Alliance zu bewegen, der auch Kur-Köln bald darauf beitritt.

Welche Aussichten eröffnete unter diesen Umständen der am 9. Juli 1654
erfolgte Tod des jungen Königs Ferdinand! Jetzt war der Augenblick ge¬
kommen, den Kampf gegen Habsburg aufzunehmen. Man einigte sich mit
Köln leicht dahin, daß die Königswahl in der Schwebe gehalten und daß
die Verbündeten nur nach vorhergegangener Verständigung in dieser Ange¬
legenheit vorgehen sollten. Wie die Sachen lagen, konnte Waldeck sich der
Hoffnung hingeben, die Wahl auf den Kurfürsten von Baiern zu lenken und
damit zu einer völligen Neugestaltung der Neichsverhältnisse den Anstoß zu
geben, als der lang erwartete Ausbruch des großen Krieges zwischen Schwe¬
den und Polen die Thätigkeit des Kurfürsten auf einen neuen Schauplatz
rief und ihn nöthigte, alle seine Kräfte zusammenzuraffen, um allen Er¬
fordernissen der Situation gerecht zusein. Ein falscher Schritt, eine Ueber-
eilung konnte mit dem Verlust der östlichen Besitzungen gebüßt werden.
Durch kluge, dem Gange der Ereignisse sich auschmiegende, die militärischen
Kräfte des Staates geschickt verwerthende Politik konnte der Kurfürst hoffen,
Preußen von der polnischen Lehnshoheit zu befreien. Es stand Großes auf
dem Spiele, aber es war auch Großes zu gewinnen: der unberechenbare
Vortheil einer souveränen Stellung. Der Kurfürst hat die Souveränetät


Nur gegen ein Scparatbündniß mit Brandenburg, zu dem natürlich allen
anderen Ständen der Zutritt offen zu lassen wäre, sperrten sich die Braun¬
schweiger; sie wollten, daß alle Alliancebesteebungen sich innerhalb der Kreis¬
verfassung bewegten, daß man den westphälischen und den sächsischen Kreis
kräftig organisire und dann eine Verbindung zwischen diesen beiden Kreisen
herzustellen suche. Für wie wenig entwickelungsfähig Waldeck aber die be¬
stehenden Reichsinstitutionen hielt, haben wir schon gesehen. Man mochte
an dieselben immerhin anknüpfen. Das wahre Ziel seiner Politik war aber
auf Separatbündnisse gerichtet, die (wie Erdmannsdörffer besonders in dem
letzten, Waldecks Bestrebungen mit Friedrichs des Großen Unionspolitik
scharfsinnig vergleichenden Schlußabschnitt des fünften Kapitels ausführt)
allmälig zu einer festen Union unter Brandenburgs Leitung zusammenwachsen
sollten. Daß dies der letzte Gedanke der brandenburgischen Politik sei, ahnte
man, trotz Waldecks überaus vorsichtiger Zurückhaltung, an den welfischen
Höfen wohl, und daher auch das Sträuben gegen eine Maßregel, von der
man fürchtete, daß sie Brandenburg den Weg zu einer gebietenden Stellung
in Norddeutschland bahnen würde. Nach langen Verhandlungen gelingt es
endlich auf den Conferenzen zu Goslar im Juni 1654, durch die Drohung
mit einer brandenburgisch-französisch-schwedischen Alliance die Sprödigkeit
der Braunschweiger zu überwinden und sie zu einer jedoch nur für die
Reichslande des Kurfürsten geltenden und auch die Jülichschen Händel
ausnehmenden Alliance zu bewegen, der auch Kur-Köln bald darauf beitritt.

Welche Aussichten eröffnete unter diesen Umständen der am 9. Juli 1654
erfolgte Tod des jungen Königs Ferdinand! Jetzt war der Augenblick ge¬
kommen, den Kampf gegen Habsburg aufzunehmen. Man einigte sich mit
Köln leicht dahin, daß die Königswahl in der Schwebe gehalten und daß
die Verbündeten nur nach vorhergegangener Verständigung in dieser Ange¬
legenheit vorgehen sollten. Wie die Sachen lagen, konnte Waldeck sich der
Hoffnung hingeben, die Wahl auf den Kurfürsten von Baiern zu lenken und
damit zu einer völligen Neugestaltung der Neichsverhältnisse den Anstoß zu
geben, als der lang erwartete Ausbruch des großen Krieges zwischen Schwe¬
den und Polen die Thätigkeit des Kurfürsten auf einen neuen Schauplatz
rief und ihn nöthigte, alle seine Kräfte zusammenzuraffen, um allen Er¬
fordernissen der Situation gerecht zusein. Ein falscher Schritt, eine Ueber-
eilung konnte mit dem Verlust der östlichen Besitzungen gebüßt werden.
Durch kluge, dem Gange der Ereignisse sich auschmiegende, die militärischen
Kräfte des Staates geschickt verwerthende Politik konnte der Kurfürst hoffen,
Preußen von der polnischen Lehnshoheit zu befreien. Es stand Großes auf
dem Spiele, aber es war auch Großes zu gewinnen: der unberechenbare
Vortheil einer souveränen Stellung. Der Kurfürst hat die Souveränetät


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[0341] Nur gegen ein Scparatbündniß mit Brandenburg, zu dem natürlich allen anderen Ständen der Zutritt offen zu lassen wäre, sperrten sich die Braun¬ schweiger; sie wollten, daß alle Alliancebesteebungen sich innerhalb der Kreis¬ verfassung bewegten, daß man den westphälischen und den sächsischen Kreis kräftig organisire und dann eine Verbindung zwischen diesen beiden Kreisen herzustellen suche. Für wie wenig entwickelungsfähig Waldeck aber die be¬ stehenden Reichsinstitutionen hielt, haben wir schon gesehen. Man mochte an dieselben immerhin anknüpfen. Das wahre Ziel seiner Politik war aber auf Separatbündnisse gerichtet, die (wie Erdmannsdörffer besonders in dem letzten, Waldecks Bestrebungen mit Friedrichs des Großen Unionspolitik scharfsinnig vergleichenden Schlußabschnitt des fünften Kapitels ausführt) allmälig zu einer festen Union unter Brandenburgs Leitung zusammenwachsen sollten. Daß dies der letzte Gedanke der brandenburgischen Politik sei, ahnte man, trotz Waldecks überaus vorsichtiger Zurückhaltung, an den welfischen Höfen wohl, und daher auch das Sträuben gegen eine Maßregel, von der man fürchtete, daß sie Brandenburg den Weg zu einer gebietenden Stellung in Norddeutschland bahnen würde. Nach langen Verhandlungen gelingt es endlich auf den Conferenzen zu Goslar im Juni 1654, durch die Drohung mit einer brandenburgisch-französisch-schwedischen Alliance die Sprödigkeit der Braunschweiger zu überwinden und sie zu einer jedoch nur für die Reichslande des Kurfürsten geltenden und auch die Jülichschen Händel ausnehmenden Alliance zu bewegen, der auch Kur-Köln bald darauf beitritt. Welche Aussichten eröffnete unter diesen Umständen der am 9. Juli 1654 erfolgte Tod des jungen Königs Ferdinand! Jetzt war der Augenblick ge¬ kommen, den Kampf gegen Habsburg aufzunehmen. Man einigte sich mit Köln leicht dahin, daß die Königswahl in der Schwebe gehalten und daß die Verbündeten nur nach vorhergegangener Verständigung in dieser Ange¬ legenheit vorgehen sollten. Wie die Sachen lagen, konnte Waldeck sich der Hoffnung hingeben, die Wahl auf den Kurfürsten von Baiern zu lenken und damit zu einer völligen Neugestaltung der Neichsverhältnisse den Anstoß zu geben, als der lang erwartete Ausbruch des großen Krieges zwischen Schwe¬ den und Polen die Thätigkeit des Kurfürsten auf einen neuen Schauplatz rief und ihn nöthigte, alle seine Kräfte zusammenzuraffen, um allen Er¬ fordernissen der Situation gerecht zusein. Ein falscher Schritt, eine Ueber- eilung konnte mit dem Verlust der östlichen Besitzungen gebüßt werden. Durch kluge, dem Gange der Ereignisse sich auschmiegende, die militärischen Kräfte des Staates geschickt verwerthende Politik konnte der Kurfürst hoffen, Preußen von der polnischen Lehnshoheit zu befreien. Es stand Großes auf dem Spiele, aber es war auch Großes zu gewinnen: der unberechenbare Vortheil einer souveränen Stellung. Der Kurfürst hat die Souveränetät

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/341>, abgerufen am 22.07.2024.