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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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Waldeck jetzt stellte. Hohenzollern gegen Habsburg, das war der wahre
Gegensatz, den man mit dem scharfblickender Instinkt des Hasses schon seit
einem Jahrhundert in Wien geahnt hatte, der in jeder bedeutenden Entwicke¬
lungsepoche des norddeutschen Staates schärfer und schärfer hervortrat, um
den die Geschicke Deutschlands sich zu drehen begannen.

Auch in den meisten anderen Punkten, wie z. B. in Betreff der For¬
derung einer paritätischen Besetzung des Neichshosraths wurde ein positiver
Erfolg nicht erzielt. Die Verhandlungen mußten unfruchtbar bleiben, weil die
Gegensätze innerhalb der Verfassung unlösbar waren. Waldeck wagte den
Versuch, die oppositionellen Elemente außerhalb des Reichstags zu einheit¬
lichem Wirken zusammenzufassen, dem Hause Habsburg eine Fürsten Union
unter der Leitung Brandenburgs entgegenzusetzen. Die Geschichte dieser Unions¬
politik gehört zu den bedeutendsten Srücken des Erdmannsdörfferschen Buchs.
Ist es auch unmöglich, in der Kürze die meisterhafte Darstellung der überaus ver¬
wickelten Verhältnisse, aus denen sich die Unionspolitik herausgearbeitet hat, durch
alle Einzelheiten zu verfolgen, so können wir doch die Hauptpunkte bezeichnen,
an welche der Kurfürst und Waldeck anknüpften, um den Gefahren der Lage
nicht durch matte Vertheidigung auszuweichen, sondern durch eine kühne, ent¬
schlossene, vorwärts drängende und schöpferische Politik zu begegnen.

Von den spanischen Niederlanden wurde die Sicherheit der branden¬
burgischen Besitzungen am Rhein, wie die aller westlichen Reichslande durch
den Herzog von Lothringen, den spanischen Parteigänger, bedroht, der in dem
Maße dreister auftrat, je schimpflicher sich die Schwäche des Reiches docu-
mentirte. In Norddeutschland strebte Schweden und, wie das Hildesheimer
Bündniß beweist, nicht ohne Erfolg nach der Rolle der leitenden Macht.
Gegen den spanischen Freibeuter mußte Brandenburg offen Front machen.
Mit Schweden, das dem Lothringer auch ohne förmliches Bündniß aufs
Beste in die Hand arbeitete, ward ein äußerlich gutes Einvernehmen gepflegt,
ein Gebot der Klugheit, obgleich gerade die nordische Großmacht das Wachsen
des brandenburgischen Einflusses in Norddeutschland mit der argwöhnischsten
Aufmerksamkeit überwachte. Dazu kam der unruhige Ehrgeiz des Pfalz¬
grafen von Neuburg, der durch eine Art von Staatsstreich den westfäli¬
schen Kreis dem unbedingtesten Einfluß der katholischen Stände unterworfen
hatte, und der, während er selbst mit dem Lothringer und Spanier conspirirte,
durch Köln mit den niederländischen Staaten Verbindung anzuknüpfen suchte.

In dieser gefährlichen Jsolirung forderte der Kurfürst im December 16S3,
also noch während des Reichstags, von den Mitgliedern des Geheimraths-
collegs ein Gutachten, ob in der gegenwärtigen Lage der Abschluß engerer
Alliancen rathsam sei? Dieser Aufforderung kommt Waldeck in einem im
Arolsener Archiv aufbewahrten merkwürdigen Memorial nach, in welchem er


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Waldeck jetzt stellte. Hohenzollern gegen Habsburg, das war der wahre
Gegensatz, den man mit dem scharfblickender Instinkt des Hasses schon seit
einem Jahrhundert in Wien geahnt hatte, der in jeder bedeutenden Entwicke¬
lungsepoche des norddeutschen Staates schärfer und schärfer hervortrat, um
den die Geschicke Deutschlands sich zu drehen begannen.

Auch in den meisten anderen Punkten, wie z. B. in Betreff der For¬
derung einer paritätischen Besetzung des Neichshosraths wurde ein positiver
Erfolg nicht erzielt. Die Verhandlungen mußten unfruchtbar bleiben, weil die
Gegensätze innerhalb der Verfassung unlösbar waren. Waldeck wagte den
Versuch, die oppositionellen Elemente außerhalb des Reichstags zu einheit¬
lichem Wirken zusammenzufassen, dem Hause Habsburg eine Fürsten Union
unter der Leitung Brandenburgs entgegenzusetzen. Die Geschichte dieser Unions¬
politik gehört zu den bedeutendsten Srücken des Erdmannsdörfferschen Buchs.
Ist es auch unmöglich, in der Kürze die meisterhafte Darstellung der überaus ver¬
wickelten Verhältnisse, aus denen sich die Unionspolitik herausgearbeitet hat, durch
alle Einzelheiten zu verfolgen, so können wir doch die Hauptpunkte bezeichnen,
an welche der Kurfürst und Waldeck anknüpften, um den Gefahren der Lage
nicht durch matte Vertheidigung auszuweichen, sondern durch eine kühne, ent¬
schlossene, vorwärts drängende und schöpferische Politik zu begegnen.

Von den spanischen Niederlanden wurde die Sicherheit der branden¬
burgischen Besitzungen am Rhein, wie die aller westlichen Reichslande durch
den Herzog von Lothringen, den spanischen Parteigänger, bedroht, der in dem
Maße dreister auftrat, je schimpflicher sich die Schwäche des Reiches docu-
mentirte. In Norddeutschland strebte Schweden und, wie das Hildesheimer
Bündniß beweist, nicht ohne Erfolg nach der Rolle der leitenden Macht.
Gegen den spanischen Freibeuter mußte Brandenburg offen Front machen.
Mit Schweden, das dem Lothringer auch ohne förmliches Bündniß aufs
Beste in die Hand arbeitete, ward ein äußerlich gutes Einvernehmen gepflegt,
ein Gebot der Klugheit, obgleich gerade die nordische Großmacht das Wachsen
des brandenburgischen Einflusses in Norddeutschland mit der argwöhnischsten
Aufmerksamkeit überwachte. Dazu kam der unruhige Ehrgeiz des Pfalz¬
grafen von Neuburg, der durch eine Art von Staatsstreich den westfäli¬
schen Kreis dem unbedingtesten Einfluß der katholischen Stände unterworfen
hatte, und der, während er selbst mit dem Lothringer und Spanier conspirirte,
durch Köln mit den niederländischen Staaten Verbindung anzuknüpfen suchte.

In dieser gefährlichen Jsolirung forderte der Kurfürst im December 16S3,
also noch während des Reichstags, von den Mitgliedern des Geheimraths-
collegs ein Gutachten, ob in der gegenwärtigen Lage der Abschluß engerer
Alliancen rathsam sei? Dieser Aufforderung kommt Waldeck in einem im
Arolsener Archiv aufbewahrten merkwürdigen Memorial nach, in welchem er


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[0339] Waldeck jetzt stellte. Hohenzollern gegen Habsburg, das war der wahre Gegensatz, den man mit dem scharfblickender Instinkt des Hasses schon seit einem Jahrhundert in Wien geahnt hatte, der in jeder bedeutenden Entwicke¬ lungsepoche des norddeutschen Staates schärfer und schärfer hervortrat, um den die Geschicke Deutschlands sich zu drehen begannen. Auch in den meisten anderen Punkten, wie z. B. in Betreff der For¬ derung einer paritätischen Besetzung des Neichshosraths wurde ein positiver Erfolg nicht erzielt. Die Verhandlungen mußten unfruchtbar bleiben, weil die Gegensätze innerhalb der Verfassung unlösbar waren. Waldeck wagte den Versuch, die oppositionellen Elemente außerhalb des Reichstags zu einheit¬ lichem Wirken zusammenzufassen, dem Hause Habsburg eine Fürsten Union unter der Leitung Brandenburgs entgegenzusetzen. Die Geschichte dieser Unions¬ politik gehört zu den bedeutendsten Srücken des Erdmannsdörfferschen Buchs. Ist es auch unmöglich, in der Kürze die meisterhafte Darstellung der überaus ver¬ wickelten Verhältnisse, aus denen sich die Unionspolitik herausgearbeitet hat, durch alle Einzelheiten zu verfolgen, so können wir doch die Hauptpunkte bezeichnen, an welche der Kurfürst und Waldeck anknüpften, um den Gefahren der Lage nicht durch matte Vertheidigung auszuweichen, sondern durch eine kühne, ent¬ schlossene, vorwärts drängende und schöpferische Politik zu begegnen. Von den spanischen Niederlanden wurde die Sicherheit der branden¬ burgischen Besitzungen am Rhein, wie die aller westlichen Reichslande durch den Herzog von Lothringen, den spanischen Parteigänger, bedroht, der in dem Maße dreister auftrat, je schimpflicher sich die Schwäche des Reiches docu- mentirte. In Norddeutschland strebte Schweden und, wie das Hildesheimer Bündniß beweist, nicht ohne Erfolg nach der Rolle der leitenden Macht. Gegen den spanischen Freibeuter mußte Brandenburg offen Front machen. Mit Schweden, das dem Lothringer auch ohne förmliches Bündniß aufs Beste in die Hand arbeitete, ward ein äußerlich gutes Einvernehmen gepflegt, ein Gebot der Klugheit, obgleich gerade die nordische Großmacht das Wachsen des brandenburgischen Einflusses in Norddeutschland mit der argwöhnischsten Aufmerksamkeit überwachte. Dazu kam der unruhige Ehrgeiz des Pfalz¬ grafen von Neuburg, der durch eine Art von Staatsstreich den westfäli¬ schen Kreis dem unbedingtesten Einfluß der katholischen Stände unterworfen hatte, und der, während er selbst mit dem Lothringer und Spanier conspirirte, durch Köln mit den niederländischen Staaten Verbindung anzuknüpfen suchte. In dieser gefährlichen Jsolirung forderte der Kurfürst im December 16S3, also noch während des Reichstags, von den Mitgliedern des Geheimraths- collegs ein Gutachten, ob in der gegenwärtigen Lage der Abschluß engerer Alliancen rathsam sei? Dieser Aufforderung kommt Waldeck in einem im Arolsener Archiv aufbewahrten merkwürdigen Memorial nach, in welchem er 42*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/339>, abgerufen am 22.07.2024.