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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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Fürstenpartei einzutreten, daß er vielmehr eine mittlere Stellung zwischen
dieser und der Kurfürstenpartei suchen mußte. Auf die Forderung, wonach
Kursinsten und Fürsten auf dem Deputationstage nur ein Collegium mit
gleicher Stimmberechtigung aller Mitglieder bilden sollten, konnte man nicht
eingehen, ohne die bevorrechtete Stellung der Kurfürsten aufzuheben. Das war
ebenso gegen des Kurfürsten wie gegen Waldeck's Meinung, Die Vorrechte,
welche durch die Reichsgesehe von der Goldenen Bulle an festgestellt wurden
(so spricht sich der Kurfürst in einer an Blumenthal gerichteten Instruction
aus), sind unantastbar; die Borrechte dagegen, welche die Kurfürsten nur in
Kraft und Conseguenz der Hauptprivilegien besitzen, sind disputabel. Eine
Reihe dieser Privilegien gibt der Kurfürst ohne Weiteres preis, namentlich
das Vorrecht, daß die sonst durchgeführte Parität bei dem Kurfürstencolleg
nicht gefordert wird. Ueber diesen letzten Punkt (und mit vollem Rechte
sieht Erdmannsdörffer darin einen wichtigen, principiellen Sieg der Oppo¬
sition) kam ein, wenn auch nicht definitiver, doch vorläufiger Ausgleich dahin
zu Stande, daß bei dem nächsten Deputationstage die drei evangelischen Kur¬
fürsten vier Stimmen führen sollten; die radicale Lösung durch Gründung
einer neuen evangelischen Kur hatte sich nicht durchsetzen lassen.

Nicht minder bedeutend war der Erfolg der Opposition in der Reichs¬
steuerfrage, über deren Wichtigkeit sich Waldeck in einem Briefe an Som-
melscyk schneidend klar ausläßt, wenn er als das ganze Geheimniß der Ab¬
wehr gegen die Habsburgische Politik bezeichnet: garäsi- ig, äireetion <Zös
al'inLS se tenir ig, Kourse Iiors nich iratus Ä6 I'carvi'LUl'. Zum verfassungs¬
mäßigen Abschluß dieser Angelegenheit, wie ihn Waldeck durch Einführung
einer ständischen Controle über die bewilligten Römermonate zu erreichen
wünschte, gelangte man allerdings auch hier nicht. Aber man hinderte doch
den Kaiser, seine Absicht in Betreff der bindenden Beschlüsse der Reichs-
mäjorität durchzusetzen. Und damit war denn doch viel gewonnen. Es war
der Hauptangriff der östreichischen Partei abgewehrt: freilich nur ein nega¬
tives Resultat; aber konnte man denn überhaupt darauf rechnen, vom Dorn¬
busch Trauben zu gewinnen? war die Reichsverfassung, in der veraltete,
abgelebte Institutionen unvermittelt neben den kräftig emporstrebenden Terri¬
torialgewalten lagen, einer die nationalen Bedürfnisse befriedigenden Reform
fähig? So wenig, wie in den sechziger Jahren unseres Jahrhunderts der
Bundestag. Die Reichsverfassung mochte als äußeres Band fortbestehen:
eine Regeneration des Vaterlandes ließ sich nur durch Anknüpfung an die
lebenskräftige Fürstengewalt erzielen. Ohne Rücksicht aus die bestehende Ver¬
fassung, ja im Gegensatz zu ihr durch Vereinigung zunächst der norddeutschen
Territorien unter Brandenburgs Leitung den Grund zu einem neuen ent¬
wickelungsfähigen Organismus zu legen, das war die Aufgabe, die sich


Fürstenpartei einzutreten, daß er vielmehr eine mittlere Stellung zwischen
dieser und der Kurfürstenpartei suchen mußte. Auf die Forderung, wonach
Kursinsten und Fürsten auf dem Deputationstage nur ein Collegium mit
gleicher Stimmberechtigung aller Mitglieder bilden sollten, konnte man nicht
eingehen, ohne die bevorrechtete Stellung der Kurfürsten aufzuheben. Das war
ebenso gegen des Kurfürsten wie gegen Waldeck's Meinung, Die Vorrechte,
welche durch die Reichsgesehe von der Goldenen Bulle an festgestellt wurden
(so spricht sich der Kurfürst in einer an Blumenthal gerichteten Instruction
aus), sind unantastbar; die Borrechte dagegen, welche die Kurfürsten nur in
Kraft und Conseguenz der Hauptprivilegien besitzen, sind disputabel. Eine
Reihe dieser Privilegien gibt der Kurfürst ohne Weiteres preis, namentlich
das Vorrecht, daß die sonst durchgeführte Parität bei dem Kurfürstencolleg
nicht gefordert wird. Ueber diesen letzten Punkt (und mit vollem Rechte
sieht Erdmannsdörffer darin einen wichtigen, principiellen Sieg der Oppo¬
sition) kam ein, wenn auch nicht definitiver, doch vorläufiger Ausgleich dahin
zu Stande, daß bei dem nächsten Deputationstage die drei evangelischen Kur¬
fürsten vier Stimmen führen sollten; die radicale Lösung durch Gründung
einer neuen evangelischen Kur hatte sich nicht durchsetzen lassen.

Nicht minder bedeutend war der Erfolg der Opposition in der Reichs¬
steuerfrage, über deren Wichtigkeit sich Waldeck in einem Briefe an Som-
melscyk schneidend klar ausläßt, wenn er als das ganze Geheimniß der Ab¬
wehr gegen die Habsburgische Politik bezeichnet: garäsi- ig, äireetion <Zös
al'inLS se tenir ig, Kourse Iiors nich iratus Ä6 I'carvi'LUl'. Zum verfassungs¬
mäßigen Abschluß dieser Angelegenheit, wie ihn Waldeck durch Einführung
einer ständischen Controle über die bewilligten Römermonate zu erreichen
wünschte, gelangte man allerdings auch hier nicht. Aber man hinderte doch
den Kaiser, seine Absicht in Betreff der bindenden Beschlüsse der Reichs-
mäjorität durchzusetzen. Und damit war denn doch viel gewonnen. Es war
der Hauptangriff der östreichischen Partei abgewehrt: freilich nur ein nega¬
tives Resultat; aber konnte man denn überhaupt darauf rechnen, vom Dorn¬
busch Trauben zu gewinnen? war die Reichsverfassung, in der veraltete,
abgelebte Institutionen unvermittelt neben den kräftig emporstrebenden Terri¬
torialgewalten lagen, einer die nationalen Bedürfnisse befriedigenden Reform
fähig? So wenig, wie in den sechziger Jahren unseres Jahrhunderts der
Bundestag. Die Reichsverfassung mochte als äußeres Band fortbestehen:
eine Regeneration des Vaterlandes ließ sich nur durch Anknüpfung an die
lebenskräftige Fürstengewalt erzielen. Ohne Rücksicht aus die bestehende Ver¬
fassung, ja im Gegensatz zu ihr durch Vereinigung zunächst der norddeutschen
Territorien unter Brandenburgs Leitung den Grund zu einem neuen ent¬
wickelungsfähigen Organismus zu legen, das war die Aufgabe, die sich


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[0338] Fürstenpartei einzutreten, daß er vielmehr eine mittlere Stellung zwischen dieser und der Kurfürstenpartei suchen mußte. Auf die Forderung, wonach Kursinsten und Fürsten auf dem Deputationstage nur ein Collegium mit gleicher Stimmberechtigung aller Mitglieder bilden sollten, konnte man nicht eingehen, ohne die bevorrechtete Stellung der Kurfürsten aufzuheben. Das war ebenso gegen des Kurfürsten wie gegen Waldeck's Meinung, Die Vorrechte, welche durch die Reichsgesehe von der Goldenen Bulle an festgestellt wurden (so spricht sich der Kurfürst in einer an Blumenthal gerichteten Instruction aus), sind unantastbar; die Borrechte dagegen, welche die Kurfürsten nur in Kraft und Conseguenz der Hauptprivilegien besitzen, sind disputabel. Eine Reihe dieser Privilegien gibt der Kurfürst ohne Weiteres preis, namentlich das Vorrecht, daß die sonst durchgeführte Parität bei dem Kurfürstencolleg nicht gefordert wird. Ueber diesen letzten Punkt (und mit vollem Rechte sieht Erdmannsdörffer darin einen wichtigen, principiellen Sieg der Oppo¬ sition) kam ein, wenn auch nicht definitiver, doch vorläufiger Ausgleich dahin zu Stande, daß bei dem nächsten Deputationstage die drei evangelischen Kur¬ fürsten vier Stimmen führen sollten; die radicale Lösung durch Gründung einer neuen evangelischen Kur hatte sich nicht durchsetzen lassen. Nicht minder bedeutend war der Erfolg der Opposition in der Reichs¬ steuerfrage, über deren Wichtigkeit sich Waldeck in einem Briefe an Som- melscyk schneidend klar ausläßt, wenn er als das ganze Geheimniß der Ab¬ wehr gegen die Habsburgische Politik bezeichnet: garäsi- ig, äireetion <Zös al'inLS se tenir ig, Kourse Iiors nich iratus Ä6 I'carvi'LUl'. Zum verfassungs¬ mäßigen Abschluß dieser Angelegenheit, wie ihn Waldeck durch Einführung einer ständischen Controle über die bewilligten Römermonate zu erreichen wünschte, gelangte man allerdings auch hier nicht. Aber man hinderte doch den Kaiser, seine Absicht in Betreff der bindenden Beschlüsse der Reichs- mäjorität durchzusetzen. Und damit war denn doch viel gewonnen. Es war der Hauptangriff der östreichischen Partei abgewehrt: freilich nur ein nega¬ tives Resultat; aber konnte man denn überhaupt darauf rechnen, vom Dorn¬ busch Trauben zu gewinnen? war die Reichsverfassung, in der veraltete, abgelebte Institutionen unvermittelt neben den kräftig emporstrebenden Terri¬ torialgewalten lagen, einer die nationalen Bedürfnisse befriedigenden Reform fähig? So wenig, wie in den sechziger Jahren unseres Jahrhunderts der Bundestag. Die Reichsverfassung mochte als äußeres Band fortbestehen: eine Regeneration des Vaterlandes ließ sich nur durch Anknüpfung an die lebenskräftige Fürstengewalt erzielen. Ohne Rücksicht aus die bestehende Ver¬ fassung, ja im Gegensatz zu ihr durch Vereinigung zunächst der norddeutschen Territorien unter Brandenburgs Leitung den Grund zu einem neuen ent¬ wickelungsfähigen Organismus zu legen, das war die Aufgabe, die sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/338>, abgerufen am 22.07.2024.