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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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Der kaiserliche Hof trug sich mit großartigen Restaurationsgedanken:
er suchte die durch den westphälischen Frieden herbeigeführte Lockerung des
Reichsverbandes zur Wiederaufrichtung der Habsburgischen Herrschaft über
das Reich zu benutzen. Durch die Aufnahme einer Anzahl böhmischer Adeliger
in das Fürstencollegium hoffte er, in diesem der kaiserlichen Partei ein ent¬
schiedenes Uebergewicht zu sichern. Um über die Finanzmittel des Reichs
die Verfügung zu erhalten, verlangte er, daß bei Geldbewilligungen auch
die verneinenden Stimmen durch die bejahende Majorität gebunden sein
sollten: ein scheinbar durchaus billiges Verlangen, welches jedoch den Ver¬
hältnissen in keiner Weise entsprach, da das Reich jeder Einwirkung auf die
Verwendung der bewilligten Gelder entbehrte, und man also mit Sicherheit
darauf rechnen konnte, daß alle Geldsummen, die nach Wien gingen, den
Territorien, in denen sich alle wirklich produktive Kraft der Nation gesam¬
melt hatte, entzogen werden würden, nur um dem Habsburgischen Haus¬
interesse zu dienen, und zum Theil wohl gar zur Corruption der Reichstags¬
gesandten verwendet zu werden. Die fürstliche Opposition hiergegen war
also ebenso berechtigt, wie die Klage über die mangelnde Parität im Kur¬
fürsten collegium. Man stund einem System gegenüber, welches mit Hilfe
der Verfassung die absolute Herrschaft des ErzHauses begründen und zugleich
den Protestantismus nach Möglichkeit schädigen und beschränken wollte. Da
nun zugleich die besonderen Wünsche Brandenburgs, wie Blumenthal selbst
zugestehen mußte, nicht die mindeste Berücksichtigung von Seiten des Kaisers
fanden, so faßte der Kurfürst den raschen Entschluß, mit der bisherigen Po¬
litik zu brechen und der Opposition sich anzunähern: ein Entschluß, durch
den die Lage der Dinge völlig geändert wurde. Der Umschlag war die un¬
mittelbare Folge einer Unterredung des Kurfürsten mit den Grafen Waldeck.
Kaum war der Rathschluß gefaßt, so ergingen auch, außer den Jnstructionen
an die Gesandten, Schreiben an den Kaiser, das Kurfürstencollegium und den
Kurfürsten von Sachsen, in dem diese aufgefordert wurden, sich den billigen
Forderungen der Fürstenpartei, so weit dieselben in dem Friedensinstrument
begründet und den berechtigten Interessen des Kurfürstencollegs nicht zu¬
wider seien, zu fügen, namentlich in Beziehung auf die Steuersragen und
die Parität.

Von diesen Augenblick an konnte Waldeck als leitender Minister gelten,
sein Sieg über Blumenthal war entschieden, und mit ihm nimmt die bran¬
denburgische Politik den gewaltigen Aufschwung, der dem Staate während
der ganzen Dauer der Regierung des Kurfürsten seinen Platz in Mitten der
großen Bewegungen anweist, die den Welttheil erschütterten.

Die Schwierigkeit der Wendung lag nun vor Allem darin, daß der
Kurfürst nicht daran denken konnte, ohne Weiteres für alle Forderungen der


Grenzboten III. 18KV. 42

Der kaiserliche Hof trug sich mit großartigen Restaurationsgedanken:
er suchte die durch den westphälischen Frieden herbeigeführte Lockerung des
Reichsverbandes zur Wiederaufrichtung der Habsburgischen Herrschaft über
das Reich zu benutzen. Durch die Aufnahme einer Anzahl böhmischer Adeliger
in das Fürstencollegium hoffte er, in diesem der kaiserlichen Partei ein ent¬
schiedenes Uebergewicht zu sichern. Um über die Finanzmittel des Reichs
die Verfügung zu erhalten, verlangte er, daß bei Geldbewilligungen auch
die verneinenden Stimmen durch die bejahende Majorität gebunden sein
sollten: ein scheinbar durchaus billiges Verlangen, welches jedoch den Ver¬
hältnissen in keiner Weise entsprach, da das Reich jeder Einwirkung auf die
Verwendung der bewilligten Gelder entbehrte, und man also mit Sicherheit
darauf rechnen konnte, daß alle Geldsummen, die nach Wien gingen, den
Territorien, in denen sich alle wirklich produktive Kraft der Nation gesam¬
melt hatte, entzogen werden würden, nur um dem Habsburgischen Haus¬
interesse zu dienen, und zum Theil wohl gar zur Corruption der Reichstags¬
gesandten verwendet zu werden. Die fürstliche Opposition hiergegen war
also ebenso berechtigt, wie die Klage über die mangelnde Parität im Kur¬
fürsten collegium. Man stund einem System gegenüber, welches mit Hilfe
der Verfassung die absolute Herrschaft des ErzHauses begründen und zugleich
den Protestantismus nach Möglichkeit schädigen und beschränken wollte. Da
nun zugleich die besonderen Wünsche Brandenburgs, wie Blumenthal selbst
zugestehen mußte, nicht die mindeste Berücksichtigung von Seiten des Kaisers
fanden, so faßte der Kurfürst den raschen Entschluß, mit der bisherigen Po¬
litik zu brechen und der Opposition sich anzunähern: ein Entschluß, durch
den die Lage der Dinge völlig geändert wurde. Der Umschlag war die un¬
mittelbare Folge einer Unterredung des Kurfürsten mit den Grafen Waldeck.
Kaum war der Rathschluß gefaßt, so ergingen auch, außer den Jnstructionen
an die Gesandten, Schreiben an den Kaiser, das Kurfürstencollegium und den
Kurfürsten von Sachsen, in dem diese aufgefordert wurden, sich den billigen
Forderungen der Fürstenpartei, so weit dieselben in dem Friedensinstrument
begründet und den berechtigten Interessen des Kurfürstencollegs nicht zu¬
wider seien, zu fügen, namentlich in Beziehung auf die Steuersragen und
die Parität.

Von diesen Augenblick an konnte Waldeck als leitender Minister gelten,
sein Sieg über Blumenthal war entschieden, und mit ihm nimmt die bran¬
denburgische Politik den gewaltigen Aufschwung, der dem Staate während
der ganzen Dauer der Regierung des Kurfürsten seinen Platz in Mitten der
großen Bewegungen anweist, die den Welttheil erschütterten.

Die Schwierigkeit der Wendung lag nun vor Allem darin, daß der
Kurfürst nicht daran denken konnte, ohne Weiteres für alle Forderungen der


Grenzboten III. 18KV. 42
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[0337] Der kaiserliche Hof trug sich mit großartigen Restaurationsgedanken: er suchte die durch den westphälischen Frieden herbeigeführte Lockerung des Reichsverbandes zur Wiederaufrichtung der Habsburgischen Herrschaft über das Reich zu benutzen. Durch die Aufnahme einer Anzahl böhmischer Adeliger in das Fürstencollegium hoffte er, in diesem der kaiserlichen Partei ein ent¬ schiedenes Uebergewicht zu sichern. Um über die Finanzmittel des Reichs die Verfügung zu erhalten, verlangte er, daß bei Geldbewilligungen auch die verneinenden Stimmen durch die bejahende Majorität gebunden sein sollten: ein scheinbar durchaus billiges Verlangen, welches jedoch den Ver¬ hältnissen in keiner Weise entsprach, da das Reich jeder Einwirkung auf die Verwendung der bewilligten Gelder entbehrte, und man also mit Sicherheit darauf rechnen konnte, daß alle Geldsummen, die nach Wien gingen, den Territorien, in denen sich alle wirklich produktive Kraft der Nation gesam¬ melt hatte, entzogen werden würden, nur um dem Habsburgischen Haus¬ interesse zu dienen, und zum Theil wohl gar zur Corruption der Reichstags¬ gesandten verwendet zu werden. Die fürstliche Opposition hiergegen war also ebenso berechtigt, wie die Klage über die mangelnde Parität im Kur¬ fürsten collegium. Man stund einem System gegenüber, welches mit Hilfe der Verfassung die absolute Herrschaft des ErzHauses begründen und zugleich den Protestantismus nach Möglichkeit schädigen und beschränken wollte. Da nun zugleich die besonderen Wünsche Brandenburgs, wie Blumenthal selbst zugestehen mußte, nicht die mindeste Berücksichtigung von Seiten des Kaisers fanden, so faßte der Kurfürst den raschen Entschluß, mit der bisherigen Po¬ litik zu brechen und der Opposition sich anzunähern: ein Entschluß, durch den die Lage der Dinge völlig geändert wurde. Der Umschlag war die un¬ mittelbare Folge einer Unterredung des Kurfürsten mit den Grafen Waldeck. Kaum war der Rathschluß gefaßt, so ergingen auch, außer den Jnstructionen an die Gesandten, Schreiben an den Kaiser, das Kurfürstencollegium und den Kurfürsten von Sachsen, in dem diese aufgefordert wurden, sich den billigen Forderungen der Fürstenpartei, so weit dieselben in dem Friedensinstrument begründet und den berechtigten Interessen des Kurfürstencollegs nicht zu¬ wider seien, zu fügen, namentlich in Beziehung auf die Steuersragen und die Parität. Von diesen Augenblick an konnte Waldeck als leitender Minister gelten, sein Sieg über Blumenthal war entschieden, und mit ihm nimmt die bran¬ denburgische Politik den gewaltigen Aufschwung, der dem Staate während der ganzen Dauer der Regierung des Kurfürsten seinen Platz in Mitten der großen Bewegungen anweist, die den Welttheil erschütterten. Die Schwierigkeit der Wendung lag nun vor Allem darin, daß der Kurfürst nicht daran denken konnte, ohne Weiteres für alle Forderungen der Grenzboten III. 18KV. 42

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/337>, abgerufen am 22.07.2024.