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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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Lothringen sandte dem Pfalzgrafen Hilfe. So mußte denn Waldeck, noch
ehe er den Degen gezogen hatte, die Rolle des Generals mit der des Di¬
plomaten vertauschen, in der er sich mit vollkommener Sicherheit und Leichtig¬
keit bewegte. Ein Versuch, die Händel durch eine persönliche Zusammenkunft
des Kurfürsten mit dem alten Pfalzgrafen Wolfgang Wilhelm auszugleichen,
scheiterte vornehmlich an der Kriegslust der jüngeren Elemente des Düssel¬
dorfer Hofes, an deren Spitze der leidenschaftliche und ehrgeizige Sohn des
Herzogs, Philipp Wilhelm, stand, gewährte aber doch den großen Vortheil,
den Kurfürsten als den versöhnlichen Theil, den Pfalzgrafen dagegen als
das einzige Hinderniß der Wiederherstellung friedlicher Verhältnisse erscheinen
zu lassen; also die erste Probe in der großen Kunst, den Gegner ins Unrecht
zu setzen, die der Kurfürst hier ablegte, und in der er von Waldeck trefflich
unterstützt wurde. Beigelegt wurde der Zwist vorläufig durch die Vermitte¬
lung des Kaisers, die der Kurfürst jetzt ebenso eifrig nachsuchte, als er An¬
fangs bemüht gewesen war, sie fern zu halten. Das Unternehmen des Kur¬
fürsten war völlig gescheitert; noch reichten die Kräfte zu Größerem nicht
aus. Aber ein glänzender Rückzug nach allzukühnem Wagniß hat oft das
moralische Gewicht eines Sieges. Friedrich Wilhelm hatte eine hochstrebende
Kühnheit gezeigt, die ihn über den Rang eines Neichsstandes emporhob, die
zum Untergang oder zur Größe führen mußte. Daß er ohne Verlust aus
derselben hervorging, durste zum Beharren "uf dem eingeschlagenen Wege
ermuthigen.

Zunächst aber mußten alle größeren kriegerischen Entwürfe aufgegeben
werden. Wollte Waldeck im Dienst des Kurfürsten bleiben, so mußte er sich
entschließen, statt der ursprünglich ihm zugedachten militärischen Stellung die
eines Mitgliedes im geheimen Rathe anzunehmen. Der Graf ging darauf
ein. Daß er in der neuen Laufbahn auf mannichfache Hemmnisse stoßen
werde, ehe er freies Feld des Wirkens gewinnen könne, verhehlte er sich
nicht. Aber Kampf und Arbeit war sein Element und die Aussicht darauf
schreckte ihn nicht ab, sie lockte ihn vielmehr.

Die erste Schwierigkeit, die Waldeck zu überwinden hatte, war der
Widerwille der alten Räthe des Kurfürsten gegen den Neuling, von dem
man wohl wußte, daß er sich mit Entwürfen trug, die mit der bisher be¬
folgten Verwaltungspraxis nicht zu vereinigen waren. Indessen war doch
die Nothwendigkeit allseitiger Reformen in dem völlig zerrütteten Staats¬
und Finanzwesen zu einleuchtend, als daß nicht das patriotische Interesse bei
den nach Burgsdorss Entfernung bedeutendsten Räthen, wie Blumenthal,
Schwerin, Tornvw zunächst den Sieg über persönliche Antipathie hätte davon
tragen sollen. Man verständigte sich, bei aller Meinungsverschiedenheit im
Einzelnen, doch über die Grundzüge der Reform so weit, daß ein Zusam-


Lothringen sandte dem Pfalzgrafen Hilfe. So mußte denn Waldeck, noch
ehe er den Degen gezogen hatte, die Rolle des Generals mit der des Di¬
plomaten vertauschen, in der er sich mit vollkommener Sicherheit und Leichtig¬
keit bewegte. Ein Versuch, die Händel durch eine persönliche Zusammenkunft
des Kurfürsten mit dem alten Pfalzgrafen Wolfgang Wilhelm auszugleichen,
scheiterte vornehmlich an der Kriegslust der jüngeren Elemente des Düssel¬
dorfer Hofes, an deren Spitze der leidenschaftliche und ehrgeizige Sohn des
Herzogs, Philipp Wilhelm, stand, gewährte aber doch den großen Vortheil,
den Kurfürsten als den versöhnlichen Theil, den Pfalzgrafen dagegen als
das einzige Hinderniß der Wiederherstellung friedlicher Verhältnisse erscheinen
zu lassen; also die erste Probe in der großen Kunst, den Gegner ins Unrecht
zu setzen, die der Kurfürst hier ablegte, und in der er von Waldeck trefflich
unterstützt wurde. Beigelegt wurde der Zwist vorläufig durch die Vermitte¬
lung des Kaisers, die der Kurfürst jetzt ebenso eifrig nachsuchte, als er An¬
fangs bemüht gewesen war, sie fern zu halten. Das Unternehmen des Kur¬
fürsten war völlig gescheitert; noch reichten die Kräfte zu Größerem nicht
aus. Aber ein glänzender Rückzug nach allzukühnem Wagniß hat oft das
moralische Gewicht eines Sieges. Friedrich Wilhelm hatte eine hochstrebende
Kühnheit gezeigt, die ihn über den Rang eines Neichsstandes emporhob, die
zum Untergang oder zur Größe führen mußte. Daß er ohne Verlust aus
derselben hervorging, durste zum Beharren «uf dem eingeschlagenen Wege
ermuthigen.

Zunächst aber mußten alle größeren kriegerischen Entwürfe aufgegeben
werden. Wollte Waldeck im Dienst des Kurfürsten bleiben, so mußte er sich
entschließen, statt der ursprünglich ihm zugedachten militärischen Stellung die
eines Mitgliedes im geheimen Rathe anzunehmen. Der Graf ging darauf
ein. Daß er in der neuen Laufbahn auf mannichfache Hemmnisse stoßen
werde, ehe er freies Feld des Wirkens gewinnen könne, verhehlte er sich
nicht. Aber Kampf und Arbeit war sein Element und die Aussicht darauf
schreckte ihn nicht ab, sie lockte ihn vielmehr.

Die erste Schwierigkeit, die Waldeck zu überwinden hatte, war der
Widerwille der alten Räthe des Kurfürsten gegen den Neuling, von dem
man wohl wußte, daß er sich mit Entwürfen trug, die mit der bisher be¬
folgten Verwaltungspraxis nicht zu vereinigen waren. Indessen war doch
die Nothwendigkeit allseitiger Reformen in dem völlig zerrütteten Staats¬
und Finanzwesen zu einleuchtend, als daß nicht das patriotische Interesse bei
den nach Burgsdorss Entfernung bedeutendsten Räthen, wie Blumenthal,
Schwerin, Tornvw zunächst den Sieg über persönliche Antipathie hätte davon
tragen sollen. Man verständigte sich, bei aller Meinungsverschiedenheit im
Einzelnen, doch über die Grundzüge der Reform so weit, daß ein Zusam-


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[0334] Lothringen sandte dem Pfalzgrafen Hilfe. So mußte denn Waldeck, noch ehe er den Degen gezogen hatte, die Rolle des Generals mit der des Di¬ plomaten vertauschen, in der er sich mit vollkommener Sicherheit und Leichtig¬ keit bewegte. Ein Versuch, die Händel durch eine persönliche Zusammenkunft des Kurfürsten mit dem alten Pfalzgrafen Wolfgang Wilhelm auszugleichen, scheiterte vornehmlich an der Kriegslust der jüngeren Elemente des Düssel¬ dorfer Hofes, an deren Spitze der leidenschaftliche und ehrgeizige Sohn des Herzogs, Philipp Wilhelm, stand, gewährte aber doch den großen Vortheil, den Kurfürsten als den versöhnlichen Theil, den Pfalzgrafen dagegen als das einzige Hinderniß der Wiederherstellung friedlicher Verhältnisse erscheinen zu lassen; also die erste Probe in der großen Kunst, den Gegner ins Unrecht zu setzen, die der Kurfürst hier ablegte, und in der er von Waldeck trefflich unterstützt wurde. Beigelegt wurde der Zwist vorläufig durch die Vermitte¬ lung des Kaisers, die der Kurfürst jetzt ebenso eifrig nachsuchte, als er An¬ fangs bemüht gewesen war, sie fern zu halten. Das Unternehmen des Kur¬ fürsten war völlig gescheitert; noch reichten die Kräfte zu Größerem nicht aus. Aber ein glänzender Rückzug nach allzukühnem Wagniß hat oft das moralische Gewicht eines Sieges. Friedrich Wilhelm hatte eine hochstrebende Kühnheit gezeigt, die ihn über den Rang eines Neichsstandes emporhob, die zum Untergang oder zur Größe führen mußte. Daß er ohne Verlust aus derselben hervorging, durste zum Beharren «uf dem eingeschlagenen Wege ermuthigen. Zunächst aber mußten alle größeren kriegerischen Entwürfe aufgegeben werden. Wollte Waldeck im Dienst des Kurfürsten bleiben, so mußte er sich entschließen, statt der ursprünglich ihm zugedachten militärischen Stellung die eines Mitgliedes im geheimen Rathe anzunehmen. Der Graf ging darauf ein. Daß er in der neuen Laufbahn auf mannichfache Hemmnisse stoßen werde, ehe er freies Feld des Wirkens gewinnen könne, verhehlte er sich nicht. Aber Kampf und Arbeit war sein Element und die Aussicht darauf schreckte ihn nicht ab, sie lockte ihn vielmehr. Die erste Schwierigkeit, die Waldeck zu überwinden hatte, war der Widerwille der alten Räthe des Kurfürsten gegen den Neuling, von dem man wohl wußte, daß er sich mit Entwürfen trug, die mit der bisher be¬ folgten Verwaltungspraxis nicht zu vereinigen waren. Indessen war doch die Nothwendigkeit allseitiger Reformen in dem völlig zerrütteten Staats¬ und Finanzwesen zu einleuchtend, als daß nicht das patriotische Interesse bei den nach Burgsdorss Entfernung bedeutendsten Räthen, wie Blumenthal, Schwerin, Tornvw zunächst den Sieg über persönliche Antipathie hätte davon tragen sollen. Man verständigte sich, bei aller Meinungsverschiedenheit im Einzelnen, doch über die Grundzüge der Reform so weit, daß ein Zusam-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/334>, abgerufen am 23.07.2024.