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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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so zu sagen idealen Ziele seiner Politik ins Auge zu fassen und zu ver¬
folgen waren.

Das idealste Ziel seiner Politik, die Neugestaltung Deutschlands, bis
ans Ende seiner thatenreichen Laufbahn zu verfolgen, war dem Kurfürsten nicht
vergönnt. Grade die Größe-der Verhältnisse und des Schauplatzes, auf dem
der Kurfürst die Macht seines neu begründeten Staates bethätigen und durch
kraftvolle Führung sein hohes Streben gewissermaßen rechtfertigen mußte,
hinderten ihn, in dem Fahrwasser zu beharren, in das er mit Waldeck's
Hilfe den Staat gelenkt hatte. Waldeck's Verwaltung erscheint demnach als
eine Episode, aber als eine Episode, in der das eigenste Wesen des Staates
aufs klarste hervortritt. Der Graf leitet die deutsche Politik der preußisch-
brandenburgischen Monarchie in einem Augenblick, wo diese Monarchie vor
der Aufgabe stand, ihre zersplitterten Theile zu einem festgeschlossenen Ganzen
zu vereinigen; seine Bestrebungen bezeichnen die Richtung, in der die Po¬
litik des Staates sich zu bewegen hatte, um ihre höchste, die nationale Auf¬
gabe zu erfüllen.

Ueber die Motive, seine unabhängige Dynastenstellung mit dem Dienst
des Kurfürsten zu vertauschen, spricht Waldeck selbst sich aus: "Meine Natur
treibt mich zu großen Actionen und zu Unternehmungen, wobei Ehre zu ge¬
winnen ist; ich habe ein Bedürfniß nach' großen Wagnissen, und da ich mich
in dem Alter befand, wo man handeln muß (er war am 31. Januar 1620
geboren), so glaubte ich den Aufforderungen eines so hochgestellten Fürsten
mich nicht entziehen zu dürfen." Es war also zunächst die Thatenlust, der
Drang, in großen Verhältnissen seine Kraft zu verwerthen, was ihn zur An¬
nahme der ihm vom Kurfürsten gebotenen Anträge bewog; zugleich aber auch
eine Parteinahme für das damals nach Wilhelm's II. Tode hart bedrängte
Haus Oranien, welches mit dem Kurfürsten durch die engsten Bande der
Verwandtschaft und des gemeinsamen Interesses verknüpft war, wie anderer¬
seits der Kurfürst keinen erbitterteren Feind hatte als die holländischen
Herren Stände, die eben jetzt darauf bedacht waren, die Statthalterschaft der
Oranier für immer abzuschaffen und die ständische Oligarchie von allen
Schranken zu befreien. Diese Stellung zur oranischen Partei trug mit dazu
bei, ihn zur Annahme jenes Rufes zu bestimmen.

Die dem Grafen zugedachte Aufgabe war zunächst eine kriegerische; der
Kurfürst wollte sein bereits bewährtes Führertalent in dem Kriege, welchen
er gegen den Pfalzgrafen unternommen hatte, benutzen. Sehr bald aber
zeigte sich, daß der Kampf aussichtslos war, und daß es weniger darauf an¬
kommen werde, ihn glücklich durchzufechten, als ohne Schaden zu beendigen.
Die Niederlande, auf deren Beistand man gerechnet hatte, waren dem Kur¬
fürsten nichts weniger als freundlich gesinnt; der abenteuernde Herzog von


so zu sagen idealen Ziele seiner Politik ins Auge zu fassen und zu ver¬
folgen waren.

Das idealste Ziel seiner Politik, die Neugestaltung Deutschlands, bis
ans Ende seiner thatenreichen Laufbahn zu verfolgen, war dem Kurfürsten nicht
vergönnt. Grade die Größe-der Verhältnisse und des Schauplatzes, auf dem
der Kurfürst die Macht seines neu begründeten Staates bethätigen und durch
kraftvolle Führung sein hohes Streben gewissermaßen rechtfertigen mußte,
hinderten ihn, in dem Fahrwasser zu beharren, in das er mit Waldeck's
Hilfe den Staat gelenkt hatte. Waldeck's Verwaltung erscheint demnach als
eine Episode, aber als eine Episode, in der das eigenste Wesen des Staates
aufs klarste hervortritt. Der Graf leitet die deutsche Politik der preußisch-
brandenburgischen Monarchie in einem Augenblick, wo diese Monarchie vor
der Aufgabe stand, ihre zersplitterten Theile zu einem festgeschlossenen Ganzen
zu vereinigen; seine Bestrebungen bezeichnen die Richtung, in der die Po¬
litik des Staates sich zu bewegen hatte, um ihre höchste, die nationale Auf¬
gabe zu erfüllen.

Ueber die Motive, seine unabhängige Dynastenstellung mit dem Dienst
des Kurfürsten zu vertauschen, spricht Waldeck selbst sich aus: „Meine Natur
treibt mich zu großen Actionen und zu Unternehmungen, wobei Ehre zu ge¬
winnen ist; ich habe ein Bedürfniß nach' großen Wagnissen, und da ich mich
in dem Alter befand, wo man handeln muß (er war am 31. Januar 1620
geboren), so glaubte ich den Aufforderungen eines so hochgestellten Fürsten
mich nicht entziehen zu dürfen." Es war also zunächst die Thatenlust, der
Drang, in großen Verhältnissen seine Kraft zu verwerthen, was ihn zur An¬
nahme der ihm vom Kurfürsten gebotenen Anträge bewog; zugleich aber auch
eine Parteinahme für das damals nach Wilhelm's II. Tode hart bedrängte
Haus Oranien, welches mit dem Kurfürsten durch die engsten Bande der
Verwandtschaft und des gemeinsamen Interesses verknüpft war, wie anderer¬
seits der Kurfürst keinen erbitterteren Feind hatte als die holländischen
Herren Stände, die eben jetzt darauf bedacht waren, die Statthalterschaft der
Oranier für immer abzuschaffen und die ständische Oligarchie von allen
Schranken zu befreien. Diese Stellung zur oranischen Partei trug mit dazu
bei, ihn zur Annahme jenes Rufes zu bestimmen.

Die dem Grafen zugedachte Aufgabe war zunächst eine kriegerische; der
Kurfürst wollte sein bereits bewährtes Führertalent in dem Kriege, welchen
er gegen den Pfalzgrafen unternommen hatte, benutzen. Sehr bald aber
zeigte sich, daß der Kampf aussichtslos war, und daß es weniger darauf an¬
kommen werde, ihn glücklich durchzufechten, als ohne Schaden zu beendigen.
Die Niederlande, auf deren Beistand man gerechnet hatte, waren dem Kur¬
fürsten nichts weniger als freundlich gesinnt; der abenteuernde Herzog von


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[0333] so zu sagen idealen Ziele seiner Politik ins Auge zu fassen und zu ver¬ folgen waren. Das idealste Ziel seiner Politik, die Neugestaltung Deutschlands, bis ans Ende seiner thatenreichen Laufbahn zu verfolgen, war dem Kurfürsten nicht vergönnt. Grade die Größe-der Verhältnisse und des Schauplatzes, auf dem der Kurfürst die Macht seines neu begründeten Staates bethätigen und durch kraftvolle Führung sein hohes Streben gewissermaßen rechtfertigen mußte, hinderten ihn, in dem Fahrwasser zu beharren, in das er mit Waldeck's Hilfe den Staat gelenkt hatte. Waldeck's Verwaltung erscheint demnach als eine Episode, aber als eine Episode, in der das eigenste Wesen des Staates aufs klarste hervortritt. Der Graf leitet die deutsche Politik der preußisch- brandenburgischen Monarchie in einem Augenblick, wo diese Monarchie vor der Aufgabe stand, ihre zersplitterten Theile zu einem festgeschlossenen Ganzen zu vereinigen; seine Bestrebungen bezeichnen die Richtung, in der die Po¬ litik des Staates sich zu bewegen hatte, um ihre höchste, die nationale Auf¬ gabe zu erfüllen. Ueber die Motive, seine unabhängige Dynastenstellung mit dem Dienst des Kurfürsten zu vertauschen, spricht Waldeck selbst sich aus: „Meine Natur treibt mich zu großen Actionen und zu Unternehmungen, wobei Ehre zu ge¬ winnen ist; ich habe ein Bedürfniß nach' großen Wagnissen, und da ich mich in dem Alter befand, wo man handeln muß (er war am 31. Januar 1620 geboren), so glaubte ich den Aufforderungen eines so hochgestellten Fürsten mich nicht entziehen zu dürfen." Es war also zunächst die Thatenlust, der Drang, in großen Verhältnissen seine Kraft zu verwerthen, was ihn zur An¬ nahme der ihm vom Kurfürsten gebotenen Anträge bewog; zugleich aber auch eine Parteinahme für das damals nach Wilhelm's II. Tode hart bedrängte Haus Oranien, welches mit dem Kurfürsten durch die engsten Bande der Verwandtschaft und des gemeinsamen Interesses verknüpft war, wie anderer¬ seits der Kurfürst keinen erbitterteren Feind hatte als die holländischen Herren Stände, die eben jetzt darauf bedacht waren, die Statthalterschaft der Oranier für immer abzuschaffen und die ständische Oligarchie von allen Schranken zu befreien. Diese Stellung zur oranischen Partei trug mit dazu bei, ihn zur Annahme jenes Rufes zu bestimmen. Die dem Grafen zugedachte Aufgabe war zunächst eine kriegerische; der Kurfürst wollte sein bereits bewährtes Führertalent in dem Kriege, welchen er gegen den Pfalzgrafen unternommen hatte, benutzen. Sehr bald aber zeigte sich, daß der Kampf aussichtslos war, und daß es weniger darauf an¬ kommen werde, ihn glücklich durchzufechten, als ohne Schaden zu beendigen. Die Niederlande, auf deren Beistand man gerechnet hatte, waren dem Kur¬ fürsten nichts weniger als freundlich gesinnt; der abenteuernde Herzog von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/333>, abgerufen am 23.07.2024.