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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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Bisher existirte in Mecklenburg der Begriff ländlicher Gemeinden in politi¬
scher Beziehung nicht. Es gab nur Kirchen- und Schulgemeinden. Alle
übrigen, in anderen Staaten der Communalverwaltung zugewiesenen An¬
gelegenheiten wurden im Domanium von den ca. vierzig großherzoglichen
Domanialämtern aus geleitet; die Centralisation ging so weit, daß der
Bauer kaum einen Graden zu ziehen oder aufzuräumen wagte, ohne des-
fallsige amtliche Genehmigung und Instruction -- und im ritterschaftlichen
Gebiet, wo jeder Ritter auf seiner Burg wie ein kleiner Fürst über das
Wohl und Wehe seiner Hintersassen entscheidet, kann von einer Gemeinde¬
bildung natürlich erst recht keine Rede sein.

Das soll -- zunächst im Domanium -- anders werden. Die Gemeinde"
ordnung vom 31. Juli 1865 führt das Princip ver Decentralisation mit
wirklicher Consequenz durch, und wenn sie auch hier und da noch Spuren
der Gewöhnung an administrative Bevormundung zeigt, so müssen diese doch
verschwinden, mindestens zurücktreten gegen die Fülle der den projectirten
Gemeinden in Aussicht gestellten Selbstverwaltungsbefugnisse. Einem Kri¬
tiker jener Gemeindeordnung, der sich offen zur feudalen Partei bekannte,
schmeckten die aufgestellten Principien derselben so stark nach constitutionellen
Tendenzen, daß er die Befürchtung aussprach, der dadurch ins Land gebrachte
konstitutionelle Sauerteig dürfte leicht den ganzen Teig durchsäuern.

Die Durchführung dieser Gemeindeordnung ist seit einer Reihe von
Jahren geplant, in einzelnen Aemtern bereits durch die Einführung der auf dem
gleichen Princip der Decentralisation beruhenden Ortschaftsarmenpflege vor¬
bereitet worden. Die betreffenden Ortschaften sind aus dem Arntsarmen-
verbande ausgeschieden, und leisten ihre Beiträge nicht mehr an die Central-
armencasse des Amtsbezirks, sondern repartiren unter sich die zur Unterstützung
der Hülfsbedürftigen nöthigen Beiträge"). Wenn auch die Armenpflege die
nächste Aufgabe der Gemeinde sein sollte, so ist sie doch mit anderen, auf die
gemeinsame Förderung von Interessen nicht bedürftiger Gemeindeglieder ge¬
richteten Zielen zu eng verbunden, als daß diese auf die Dauer ausgeschlossen
werden könnten. Das ist auch die Meinung der Regierung. Die vollständige
Organisation der Dorfgemeinden, an deren Spitze ein engerer Schulzenrath steht,
der in der Verwaltung durch einen aus freien Wahlen hervorgegangenen weiteren
Gemeinderath unterstützt werden soll, ist von der Regierung ausdrücklich von
der vorgängigen Durchführung der Vererbpachtung abhängig gemacht worden.



-) Wie die Regierung im Domanium die Gemeindebildung durch Decentralisation des
Armenwesens eingeleitet, so suchte sie das rillcrschaftliche und das ländliche Gebiet der Städte
auch gerade in dieser Richtung zuerst zur Förderung derselben heranzuziehen, indem sie auf
dem vorigjährigen Landtage die Vereinigung der bunt durcheinander gewürfelten ritterschaft¬
lichen, städtischen und domanialen Gevielsthcile zu gemeinschaftlichen größern Armenverbänden
in Borschlag brachte. Die Sache scheiterte aber an dem Widerspruch der Stände.

Bisher existirte in Mecklenburg der Begriff ländlicher Gemeinden in politi¬
scher Beziehung nicht. Es gab nur Kirchen- und Schulgemeinden. Alle
übrigen, in anderen Staaten der Communalverwaltung zugewiesenen An¬
gelegenheiten wurden im Domanium von den ca. vierzig großherzoglichen
Domanialämtern aus geleitet; die Centralisation ging so weit, daß der
Bauer kaum einen Graden zu ziehen oder aufzuräumen wagte, ohne des-
fallsige amtliche Genehmigung und Instruction — und im ritterschaftlichen
Gebiet, wo jeder Ritter auf seiner Burg wie ein kleiner Fürst über das
Wohl und Wehe seiner Hintersassen entscheidet, kann von einer Gemeinde¬
bildung natürlich erst recht keine Rede sein.

Das soll — zunächst im Domanium — anders werden. Die Gemeinde»
ordnung vom 31. Juli 1865 führt das Princip ver Decentralisation mit
wirklicher Consequenz durch, und wenn sie auch hier und da noch Spuren
der Gewöhnung an administrative Bevormundung zeigt, so müssen diese doch
verschwinden, mindestens zurücktreten gegen die Fülle der den projectirten
Gemeinden in Aussicht gestellten Selbstverwaltungsbefugnisse. Einem Kri¬
tiker jener Gemeindeordnung, der sich offen zur feudalen Partei bekannte,
schmeckten die aufgestellten Principien derselben so stark nach constitutionellen
Tendenzen, daß er die Befürchtung aussprach, der dadurch ins Land gebrachte
konstitutionelle Sauerteig dürfte leicht den ganzen Teig durchsäuern.

Die Durchführung dieser Gemeindeordnung ist seit einer Reihe von
Jahren geplant, in einzelnen Aemtern bereits durch die Einführung der auf dem
gleichen Princip der Decentralisation beruhenden Ortschaftsarmenpflege vor¬
bereitet worden. Die betreffenden Ortschaften sind aus dem Arntsarmen-
verbande ausgeschieden, und leisten ihre Beiträge nicht mehr an die Central-
armencasse des Amtsbezirks, sondern repartiren unter sich die zur Unterstützung
der Hülfsbedürftigen nöthigen Beiträge"). Wenn auch die Armenpflege die
nächste Aufgabe der Gemeinde sein sollte, so ist sie doch mit anderen, auf die
gemeinsame Förderung von Interessen nicht bedürftiger Gemeindeglieder ge¬
richteten Zielen zu eng verbunden, als daß diese auf die Dauer ausgeschlossen
werden könnten. Das ist auch die Meinung der Regierung. Die vollständige
Organisation der Dorfgemeinden, an deren Spitze ein engerer Schulzenrath steht,
der in der Verwaltung durch einen aus freien Wahlen hervorgegangenen weiteren
Gemeinderath unterstützt werden soll, ist von der Regierung ausdrücklich von
der vorgängigen Durchführung der Vererbpachtung abhängig gemacht worden.



-) Wie die Regierung im Domanium die Gemeindebildung durch Decentralisation des
Armenwesens eingeleitet, so suchte sie das rillcrschaftliche und das ländliche Gebiet der Städte
auch gerade in dieser Richtung zuerst zur Förderung derselben heranzuziehen, indem sie auf
dem vorigjährigen Landtage die Vereinigung der bunt durcheinander gewürfelten ritterschaft¬
lichen, städtischen und domanialen Gevielsthcile zu gemeinschaftlichen größern Armenverbänden
in Borschlag brachte. Die Sache scheiterte aber an dem Widerspruch der Stände.
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[0032] Bisher existirte in Mecklenburg der Begriff ländlicher Gemeinden in politi¬ scher Beziehung nicht. Es gab nur Kirchen- und Schulgemeinden. Alle übrigen, in anderen Staaten der Communalverwaltung zugewiesenen An¬ gelegenheiten wurden im Domanium von den ca. vierzig großherzoglichen Domanialämtern aus geleitet; die Centralisation ging so weit, daß der Bauer kaum einen Graden zu ziehen oder aufzuräumen wagte, ohne des- fallsige amtliche Genehmigung und Instruction — und im ritterschaftlichen Gebiet, wo jeder Ritter auf seiner Burg wie ein kleiner Fürst über das Wohl und Wehe seiner Hintersassen entscheidet, kann von einer Gemeinde¬ bildung natürlich erst recht keine Rede sein. Das soll — zunächst im Domanium — anders werden. Die Gemeinde» ordnung vom 31. Juli 1865 führt das Princip ver Decentralisation mit wirklicher Consequenz durch, und wenn sie auch hier und da noch Spuren der Gewöhnung an administrative Bevormundung zeigt, so müssen diese doch verschwinden, mindestens zurücktreten gegen die Fülle der den projectirten Gemeinden in Aussicht gestellten Selbstverwaltungsbefugnisse. Einem Kri¬ tiker jener Gemeindeordnung, der sich offen zur feudalen Partei bekannte, schmeckten die aufgestellten Principien derselben so stark nach constitutionellen Tendenzen, daß er die Befürchtung aussprach, der dadurch ins Land gebrachte konstitutionelle Sauerteig dürfte leicht den ganzen Teig durchsäuern. Die Durchführung dieser Gemeindeordnung ist seit einer Reihe von Jahren geplant, in einzelnen Aemtern bereits durch die Einführung der auf dem gleichen Princip der Decentralisation beruhenden Ortschaftsarmenpflege vor¬ bereitet worden. Die betreffenden Ortschaften sind aus dem Arntsarmen- verbande ausgeschieden, und leisten ihre Beiträge nicht mehr an die Central- armencasse des Amtsbezirks, sondern repartiren unter sich die zur Unterstützung der Hülfsbedürftigen nöthigen Beiträge"). Wenn auch die Armenpflege die nächste Aufgabe der Gemeinde sein sollte, so ist sie doch mit anderen, auf die gemeinsame Förderung von Interessen nicht bedürftiger Gemeindeglieder ge¬ richteten Zielen zu eng verbunden, als daß diese auf die Dauer ausgeschlossen werden könnten. Das ist auch die Meinung der Regierung. Die vollständige Organisation der Dorfgemeinden, an deren Spitze ein engerer Schulzenrath steht, der in der Verwaltung durch einen aus freien Wahlen hervorgegangenen weiteren Gemeinderath unterstützt werden soll, ist von der Regierung ausdrücklich von der vorgängigen Durchführung der Vererbpachtung abhängig gemacht worden. -) Wie die Regierung im Domanium die Gemeindebildung durch Decentralisation des Armenwesens eingeleitet, so suchte sie das rillcrschaftliche und das ländliche Gebiet der Städte auch gerade in dieser Richtung zuerst zur Förderung derselben heranzuziehen, indem sie auf dem vorigjährigen Landtage die Vereinigung der bunt durcheinander gewürfelten ritterschaft¬ lichen, städtischen und domanialen Gevielsthcile zu gemeinschaftlichen größern Armenverbänden in Borschlag brachte. Die Sache scheiterte aber an dem Widerspruch der Stände.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/32>, abgerufen am 25.08.2024.