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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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dere Erweiterungen der Bundescompetenz als bereits halbreife Früchte er¬
kennen; als Fragen der Zeit, die zur befriedigenden Erledigung eigentlich
nur noch des Anstoßes eines unmittelbar practischen und dringenden Bedürf¬
nisses bedürfen, wie die Ausdehnung der Bundesgesetzgebung auf das ge-
sammte bürgerliche Recht, in das, nebenbei bemerkt, die Gewerbeordnung
auch -schon ganz gründlich eingeschnitten hat*).

Was speciell die Gerichtsorganisation anbetrifft, so wurde bereits
die Errichtung des obersten Bundeshandelsgerichts erwähnt, dessen mannich-
fache Mängel in der Organisation, der Competenz und dem Verfahren, welche
ja alle die Folge des Mangels einheitlichen Verfahrens, einheitlicher Gerichts¬
organisation und einheitlicher Competenzbestimmungen in den einzelnen Bun¬
desterritorien sind, von Niemand bestritten werden, das aber nichts desto-
weniger als ein bedeutender Fortschritt unserer nationalen Entwickelung wesent¬
lich um deswillen angesehen wird und angesehen werden darf, weil mit seiner
Errichtung eine ganz neue, sowohl um ihrer unmittelbarer Aufgaben als
um der Consequenzen willen sehr bedeutungsvolle Institution in unser
Bundesstaatswesen eingeführt wird. Es ist damit die Competenzfrage nicht
blos für die Errichtung dieses Gerichtshofs selbst, sondern indirect wohl
auch für die damit innig zusammenhängende Organisation der untern In¬
stanzen wenigstens bezüglich der Grundzüge in bejahendem Sinn entschieden
worden. Zugleich läßt sich aber auch daran die Erwartung knüpfen, daß
mit Einführung der neuen Proceßordnung dem Bundesgerichtshofe ganz all¬
gemein die Stellung einer Cassationsinstanz für alle Rechtssachen
werde eingeräumt werden, schon um deswillen, weil die Trennung der Han¬
delsrechtsfragen (über welche der Bundesgerichtshof zu entscheiden hat) von
den sonstigen Rechtsfragen mit so enormen praktischen Schwierigkeiten ver¬
bunden ist, und zu so bedenklichen Mißständen führen muß, daß eine Be¬
seitigung dieser Trennung schließlich allen Betheiligten willkommen fein muß.

Bereits ist von Hamburg aus ein Antrag auf eine solche Erweiterung
der Competenz dieses Gerichtshofs wenigstens für die Hansestädte, deren ge¬
meinschaftliches Oberappellationsgericht zu Lübeck dann ganz aufgehoben wer-



") Vgl. §. 11 der Gewerbeordnung über den Geschäftsbetrieb der Frauen, welche
durch denselben ohne Weiteres -- ohne jede Rücksicht auf particularistische Institutionen z. B.
die Geschlechtsvormundschaft -- für den ihnen völlig freigegebenen Gewerbebetrieb volle Rechts"
fähigkcit erlangt haben. Ferner die auf die Errichtung u. f. w. gefährlicher und belästigender
Gewerbsanlagen bezüglichen Bestimmungen, die tief in das Nachbarrecht einschneien und sich
kurzweg an die Stelle der betreffenden Privatrechtsnormen setzen, insbesondere auch an Stelle
des Rechts auf Beseitigung einer solchen Gewerbscinlage, sobald sie mit obrigkeitlicher Ge¬
nehmigung errichtet worden ist, nur noch einen Schadenersatzanspruch statuiren. Vgl. ferner die großentheils rein privatrechtlichen Bestimmungen über die Rechtsver¬
hältnisse der Gesellen, Gehilfen und Lehrlinge zu ihren Arbeitsgebern, sowie
eine Reihe gleichartiger Bestimmungen in dem Abschnitt über die Fabrikarbeiter.

dere Erweiterungen der Bundescompetenz als bereits halbreife Früchte er¬
kennen; als Fragen der Zeit, die zur befriedigenden Erledigung eigentlich
nur noch des Anstoßes eines unmittelbar practischen und dringenden Bedürf¬
nisses bedürfen, wie die Ausdehnung der Bundesgesetzgebung auf das ge-
sammte bürgerliche Recht, in das, nebenbei bemerkt, die Gewerbeordnung
auch -schon ganz gründlich eingeschnitten hat*).

Was speciell die Gerichtsorganisation anbetrifft, so wurde bereits
die Errichtung des obersten Bundeshandelsgerichts erwähnt, dessen mannich-
fache Mängel in der Organisation, der Competenz und dem Verfahren, welche
ja alle die Folge des Mangels einheitlichen Verfahrens, einheitlicher Gerichts¬
organisation und einheitlicher Competenzbestimmungen in den einzelnen Bun¬
desterritorien sind, von Niemand bestritten werden, das aber nichts desto-
weniger als ein bedeutender Fortschritt unserer nationalen Entwickelung wesent¬
lich um deswillen angesehen wird und angesehen werden darf, weil mit seiner
Errichtung eine ganz neue, sowohl um ihrer unmittelbarer Aufgaben als
um der Consequenzen willen sehr bedeutungsvolle Institution in unser
Bundesstaatswesen eingeführt wird. Es ist damit die Competenzfrage nicht
blos für die Errichtung dieses Gerichtshofs selbst, sondern indirect wohl
auch für die damit innig zusammenhängende Organisation der untern In¬
stanzen wenigstens bezüglich der Grundzüge in bejahendem Sinn entschieden
worden. Zugleich läßt sich aber auch daran die Erwartung knüpfen, daß
mit Einführung der neuen Proceßordnung dem Bundesgerichtshofe ganz all¬
gemein die Stellung einer Cassationsinstanz für alle Rechtssachen
werde eingeräumt werden, schon um deswillen, weil die Trennung der Han¬
delsrechtsfragen (über welche der Bundesgerichtshof zu entscheiden hat) von
den sonstigen Rechtsfragen mit so enormen praktischen Schwierigkeiten ver¬
bunden ist, und zu so bedenklichen Mißständen führen muß, daß eine Be¬
seitigung dieser Trennung schließlich allen Betheiligten willkommen fein muß.

Bereits ist von Hamburg aus ein Antrag auf eine solche Erweiterung
der Competenz dieses Gerichtshofs wenigstens für die Hansestädte, deren ge¬
meinschaftliches Oberappellationsgericht zu Lübeck dann ganz aufgehoben wer-



") Vgl. §. 11 der Gewerbeordnung über den Geschäftsbetrieb der Frauen, welche
durch denselben ohne Weiteres — ohne jede Rücksicht auf particularistische Institutionen z. B.
die Geschlechtsvormundschaft — für den ihnen völlig freigegebenen Gewerbebetrieb volle Rechts»
fähigkcit erlangt haben. Ferner die auf die Errichtung u. f. w. gefährlicher und belästigender
Gewerbsanlagen bezüglichen Bestimmungen, die tief in das Nachbarrecht einschneien und sich
kurzweg an die Stelle der betreffenden Privatrechtsnormen setzen, insbesondere auch an Stelle
des Rechts auf Beseitigung einer solchen Gewerbscinlage, sobald sie mit obrigkeitlicher Ge¬
nehmigung errichtet worden ist, nur noch einen Schadenersatzanspruch statuiren. Vgl. ferner die großentheils rein privatrechtlichen Bestimmungen über die Rechtsver¬
hältnisse der Gesellen, Gehilfen und Lehrlinge zu ihren Arbeitsgebern, sowie
eine Reihe gleichartiger Bestimmungen in dem Abschnitt über die Fabrikarbeiter.
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[0308] dere Erweiterungen der Bundescompetenz als bereits halbreife Früchte er¬ kennen; als Fragen der Zeit, die zur befriedigenden Erledigung eigentlich nur noch des Anstoßes eines unmittelbar practischen und dringenden Bedürf¬ nisses bedürfen, wie die Ausdehnung der Bundesgesetzgebung auf das ge- sammte bürgerliche Recht, in das, nebenbei bemerkt, die Gewerbeordnung auch -schon ganz gründlich eingeschnitten hat*). Was speciell die Gerichtsorganisation anbetrifft, so wurde bereits die Errichtung des obersten Bundeshandelsgerichts erwähnt, dessen mannich- fache Mängel in der Organisation, der Competenz und dem Verfahren, welche ja alle die Folge des Mangels einheitlichen Verfahrens, einheitlicher Gerichts¬ organisation und einheitlicher Competenzbestimmungen in den einzelnen Bun¬ desterritorien sind, von Niemand bestritten werden, das aber nichts desto- weniger als ein bedeutender Fortschritt unserer nationalen Entwickelung wesent¬ lich um deswillen angesehen wird und angesehen werden darf, weil mit seiner Errichtung eine ganz neue, sowohl um ihrer unmittelbarer Aufgaben als um der Consequenzen willen sehr bedeutungsvolle Institution in unser Bundesstaatswesen eingeführt wird. Es ist damit die Competenzfrage nicht blos für die Errichtung dieses Gerichtshofs selbst, sondern indirect wohl auch für die damit innig zusammenhängende Organisation der untern In¬ stanzen wenigstens bezüglich der Grundzüge in bejahendem Sinn entschieden worden. Zugleich läßt sich aber auch daran die Erwartung knüpfen, daß mit Einführung der neuen Proceßordnung dem Bundesgerichtshofe ganz all¬ gemein die Stellung einer Cassationsinstanz für alle Rechtssachen werde eingeräumt werden, schon um deswillen, weil die Trennung der Han¬ delsrechtsfragen (über welche der Bundesgerichtshof zu entscheiden hat) von den sonstigen Rechtsfragen mit so enormen praktischen Schwierigkeiten ver¬ bunden ist, und zu so bedenklichen Mißständen führen muß, daß eine Be¬ seitigung dieser Trennung schließlich allen Betheiligten willkommen fein muß. Bereits ist von Hamburg aus ein Antrag auf eine solche Erweiterung der Competenz dieses Gerichtshofs wenigstens für die Hansestädte, deren ge¬ meinschaftliches Oberappellationsgericht zu Lübeck dann ganz aufgehoben wer- ") Vgl. §. 11 der Gewerbeordnung über den Geschäftsbetrieb der Frauen, welche durch denselben ohne Weiteres — ohne jede Rücksicht auf particularistische Institutionen z. B. die Geschlechtsvormundschaft — für den ihnen völlig freigegebenen Gewerbebetrieb volle Rechts» fähigkcit erlangt haben. Ferner die auf die Errichtung u. f. w. gefährlicher und belästigender Gewerbsanlagen bezüglichen Bestimmungen, die tief in das Nachbarrecht einschneien und sich kurzweg an die Stelle der betreffenden Privatrechtsnormen setzen, insbesondere auch an Stelle des Rechts auf Beseitigung einer solchen Gewerbscinlage, sobald sie mit obrigkeitlicher Ge¬ nehmigung errichtet worden ist, nur noch einen Schadenersatzanspruch statuiren. Vgl. ferner die großentheils rein privatrechtlichen Bestimmungen über die Rechtsver¬ hältnisse der Gesellen, Gehilfen und Lehrlinge zu ihren Arbeitsgebern, sowie eine Reihe gleichartiger Bestimmungen in dem Abschnitt über die Fabrikarbeiter.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/308>, abgerufen am 05.02.2025.