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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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grauen bestand in der Aufrichtung eines oberitalienischen Staats, der stark
genug wäre, die abwechselnde Anlehnung an Frankreich und Oestreich zu
entbehren, und zu einem selbständigen, auf eigenen Füßen stehenden Gefäß
der italienischen Nationalität, vielleicht zu dem Kern für ein künftiges italie¬
nisches Reich zu dienen. Daß dieses Interesse parallel lief mit dem Interesse
Preußens, dafür zeigten die piemontesischen Staatsmänner schon damals Ver¬
ständniß. Der Marchese Lorenzo Pareto, der Minister des Auswärtigen im
Ministerium Balbo. setzte in einer Depesche nach London die Gründe aus¬
einander, die Piemont zum Krieg nöthigten und wies dabei zugleich auf den
Vortheil hin, den für die britische Politik ein starker subalpinischer Staat
haben müsse, der im Stande sei Preußen die Hand zu reichen und die kriege¬
rischen Gelüste Frankreichs im Zaum zu halten.

Die fremden Mächte hatten bis zum letzten Augenblick nicht aufgehört,
zu warnen und auf die Ungleichheit des Kampfes aufmerksam zu machen.
Hilfe war von ihrer Seite nicht zu erwarten und wurde auch gar nicht be¬
gehrt. Nur die schwache Aussicht war vorhanden, daß die anderen Reform¬
staaten, Toscana und der Kirchenstaat, vielleicht auch Neapel, an dem natio¬
nalen Krieg sich betheiligten. Die Frage war, ob dieses Zusammenwirken
in einem förmlichen Bündnißvertrage niedergelegt und ob dieses Bündniß zu
einer politischen Institution, einer Conföderation der italienischen Staaten er¬
weitert werden solle. Diese Frage führte zu höchst interessanten Verhand¬
lungen zwischen Turin, Rom, Florenz und Neapel, deren Ausgang für die
ganze Zukunft Italiens bestimmend wurde. Denn das Resultat dieser Ver¬
handlungen entschied nichts Geringeres als die Frage, ob Italien die Form
seiner nationalen Existenz in einem Staatenbunde oder im Einheitsstaat zu
finden bestimmt sei.

Schon im November 1847 waren auf die Initiative des durch Oestreich
bedrohten Papstes die Präliminarien zu einem Zollverein zwischen Rom,
Turin und Florenz zu Stande gekommen, und dieser Bund schien sich jetzt
unter den drängender gewordenen Umständen von selbst zum Anknüpfungspunkt
und zur Grundlage für einen politischen Bund darzubieten, in welchem die
Reformpartei damals überwiegend das Heil Italiens sah. Indem jetzt überall
Männer der Reformpartei in die Ministerien eintraten, schien der Verwirk¬
lichung dieses Programms, das, wenn auch nicht immer in übereinstimmender
Weise, von Givberti, Balbo, Azeglio, Mamiani, Durando u. A. formulirt
worden war, nichts im Wege zu stehen. Der Großherzog Leopold war der
erste, der zu Anfang Februar 1848 den politischen Bund in Anregung
brachte, und die toscanischen Staatsmänner blieben die ganze Zeit über die
eifrigsten Vertreter des föderalistischen Gedankens. Im Princip war auch
Karl Albert mit der Bildung eines Bundes einverstanden, nicht minder der


grauen bestand in der Aufrichtung eines oberitalienischen Staats, der stark
genug wäre, die abwechselnde Anlehnung an Frankreich und Oestreich zu
entbehren, und zu einem selbständigen, auf eigenen Füßen stehenden Gefäß
der italienischen Nationalität, vielleicht zu dem Kern für ein künftiges italie¬
nisches Reich zu dienen. Daß dieses Interesse parallel lief mit dem Interesse
Preußens, dafür zeigten die piemontesischen Staatsmänner schon damals Ver¬
ständniß. Der Marchese Lorenzo Pareto, der Minister des Auswärtigen im
Ministerium Balbo. setzte in einer Depesche nach London die Gründe aus¬
einander, die Piemont zum Krieg nöthigten und wies dabei zugleich auf den
Vortheil hin, den für die britische Politik ein starker subalpinischer Staat
haben müsse, der im Stande sei Preußen die Hand zu reichen und die kriege¬
rischen Gelüste Frankreichs im Zaum zu halten.

Die fremden Mächte hatten bis zum letzten Augenblick nicht aufgehört,
zu warnen und auf die Ungleichheit des Kampfes aufmerksam zu machen.
Hilfe war von ihrer Seite nicht zu erwarten und wurde auch gar nicht be¬
gehrt. Nur die schwache Aussicht war vorhanden, daß die anderen Reform¬
staaten, Toscana und der Kirchenstaat, vielleicht auch Neapel, an dem natio¬
nalen Krieg sich betheiligten. Die Frage war, ob dieses Zusammenwirken
in einem förmlichen Bündnißvertrage niedergelegt und ob dieses Bündniß zu
einer politischen Institution, einer Conföderation der italienischen Staaten er¬
weitert werden solle. Diese Frage führte zu höchst interessanten Verhand¬
lungen zwischen Turin, Rom, Florenz und Neapel, deren Ausgang für die
ganze Zukunft Italiens bestimmend wurde. Denn das Resultat dieser Ver¬
handlungen entschied nichts Geringeres als die Frage, ob Italien die Form
seiner nationalen Existenz in einem Staatenbunde oder im Einheitsstaat zu
finden bestimmt sei.

Schon im November 1847 waren auf die Initiative des durch Oestreich
bedrohten Papstes die Präliminarien zu einem Zollverein zwischen Rom,
Turin und Florenz zu Stande gekommen, und dieser Bund schien sich jetzt
unter den drängender gewordenen Umständen von selbst zum Anknüpfungspunkt
und zur Grundlage für einen politischen Bund darzubieten, in welchem die
Reformpartei damals überwiegend das Heil Italiens sah. Indem jetzt überall
Männer der Reformpartei in die Ministerien eintraten, schien der Verwirk¬
lichung dieses Programms, das, wenn auch nicht immer in übereinstimmender
Weise, von Givberti, Balbo, Azeglio, Mamiani, Durando u. A. formulirt
worden war, nichts im Wege zu stehen. Der Großherzog Leopold war der
erste, der zu Anfang Februar 1848 den politischen Bund in Anregung
brachte, und die toscanischen Staatsmänner blieben die ganze Zeit über die
eifrigsten Vertreter des föderalistischen Gedankens. Im Princip war auch
Karl Albert mit der Bildung eines Bundes einverstanden, nicht minder der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/294>, abgerufen am 22.07.2024.