Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.Der erwähnte Saal des Bierparlaments ist im linken Flügel, ein
Es muß ein sinnreicher Meister gewesen sein, der die Schildhalter ge¬
So erzählte mein Freund in halb spöttischem, halb ernsthaftem Tone. In der Flur des Hauses scholl ein Gruß an Eintretende: "Guten Abend! Der erwähnte Saal des Bierparlaments ist im linken Flügel, ein
Es muß ein sinnreicher Meister gewesen sein, der die Schildhalter ge¬
So erzählte mein Freund in halb spöttischem, halb ernsthaftem Tone. In der Flur des Hauses scholl ein Gruß an Eintretende: „Guten Abend! <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0287" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/121508"/> <p xml:id="ID_927"> Der erwähnte Saal des Bierparlaments ist im linken Flügel, ein<lb/> Paar Fuß unter dem Erdgeschoß, und mehr lang als breit. Er hat ein ein¬<lb/> ziges Fenster, und zwar in der schmalen Wand gegen Westen. Daher geht<lb/> darin selten die Gasflamme aus, sowie das Feuer im Kamin, das beinahe<lb/> die ganze Wand im Osten einnimmt. Ueber den Kaminsims geht bis zur<lb/> Decke empor eichenes Getäfel und daran liegen wieder, in mehr als halber<lb/> Lebensgröße, der Löwe und das Einhorn. Den Schild selbst haben die<lb/> Jahre arg geschädigt. Darunter steht in gothischen Buchstaben:</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_3" type="poem"> <l> So lange regiert die Wogen glorreich Altengelland,<lb/> Bis die Wappenthiere streiten an dieses Schildes Rand,<lb/> Ms das Horn die Augen des Leuen ausbohrt in tückischer Wuth,<lb/> Und der Leu in blindem Grimme das Horn zerschmettern thut.</l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_928"> Es muß ein sinnreicher Meister gewesen sein, der die Schildhalter ge¬<lb/> schnitzt hat. Wenn Mittags ein Sonnenstrahl auf sie fällt, sehen sie schmun¬<lb/> zelnd aus und machen einen heitern Eindruck. Aber es ist nicht gut im<lb/> Halbdunkel dort allein zu weilen. Glauben Sie mir, es wird Ihnen aber¬<lb/> gläubisch zu Muthe, wenn Sie beim Schein der blauen Kohlenflämmchen<lb/> auf die Bestien schauen. Drohend wird ihre Haltung, und zornroth starren<lb/> die Augen aus dem Kopfe; sie scheinen sich beleben und über einander her¬<lb/> fallen zu wollen. Der Wirth wollte daher schon einmal das Getäfel sammt<lb/> der Schnitzerei zerhauen und verbrennen. Zur Beruhigung des guten Mannes<lb/> hat ein Alterthümler der alten Inschrift folgende Zeilen angefügt:</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_4" type="poem"> <l> Doch, Briten, zaget nimmer! Begreift mit frohem Stolz,<lb/> Dies Einhorn und der Löwe sind Bilder aus todtem Holz;<lb/> Nur eitle Dichterfabel ist der Wappenthiere Streit,<lb/> Altengelland wird blühen und prangen in Ewigkeit! —</l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_929"> So erzählte mein Freund in halb spöttischem, halb ernsthaftem Tone.</p><lb/> <p xml:id="ID_930" next="#ID_931"> In der Flur des Hauses scholl ein Gruß an Eintretende: „Guten Abend!<lb/> Nichts Neues aus der Türkei?" — „Ach! Brettan's Stimme!" riefMick. —<lb/> „Wer ist Brettan?" — „Der Wirth. Aber daß ich nicht vergesse. Geben Sie<lb/> Acht und treten Sie auf keins seiner Hündchen. Er ist gewöhnlich von sechs<lb/> oder sieben grauhäutigen Bullenbeißern umgeben, ein guter Kerl, der Wirth,<lb/> aber diese dickköpfigen Vierfüßer liebt er wie sich selbst. Ich weiß nicht, Gott<lb/> verzeih mir die Sünde, ist er nach ihrem Ebenbilde geschaffen oder sie nach<lb/> seinem? Andere Wirthe, die das Glück haben, ein Bierparlament unter ihrem<lb/> Dache zu sehen, gucken manchmal in die Zeitung und politisiren. Bei ihm<lb/> keine Idee davon, obgleich ihm Jane, seine verstorbene Frau, darüber Vor¬<lb/> stellungen zu machen pflegte. Nur der Krimkrieg rüttelte ihn ein wenig<lb/> auf, und seitdem fragt er — gleichviel was die Welt bewegt — nach Neuig-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0287]
Der erwähnte Saal des Bierparlaments ist im linken Flügel, ein
Paar Fuß unter dem Erdgeschoß, und mehr lang als breit. Er hat ein ein¬
ziges Fenster, und zwar in der schmalen Wand gegen Westen. Daher geht
darin selten die Gasflamme aus, sowie das Feuer im Kamin, das beinahe
die ganze Wand im Osten einnimmt. Ueber den Kaminsims geht bis zur
Decke empor eichenes Getäfel und daran liegen wieder, in mehr als halber
Lebensgröße, der Löwe und das Einhorn. Den Schild selbst haben die
Jahre arg geschädigt. Darunter steht in gothischen Buchstaben:
So lange regiert die Wogen glorreich Altengelland,
Bis die Wappenthiere streiten an dieses Schildes Rand,
Ms das Horn die Augen des Leuen ausbohrt in tückischer Wuth,
Und der Leu in blindem Grimme das Horn zerschmettern thut.
Es muß ein sinnreicher Meister gewesen sein, der die Schildhalter ge¬
schnitzt hat. Wenn Mittags ein Sonnenstrahl auf sie fällt, sehen sie schmun¬
zelnd aus und machen einen heitern Eindruck. Aber es ist nicht gut im
Halbdunkel dort allein zu weilen. Glauben Sie mir, es wird Ihnen aber¬
gläubisch zu Muthe, wenn Sie beim Schein der blauen Kohlenflämmchen
auf die Bestien schauen. Drohend wird ihre Haltung, und zornroth starren
die Augen aus dem Kopfe; sie scheinen sich beleben und über einander her¬
fallen zu wollen. Der Wirth wollte daher schon einmal das Getäfel sammt
der Schnitzerei zerhauen und verbrennen. Zur Beruhigung des guten Mannes
hat ein Alterthümler der alten Inschrift folgende Zeilen angefügt:
Doch, Briten, zaget nimmer! Begreift mit frohem Stolz,
Dies Einhorn und der Löwe sind Bilder aus todtem Holz;
Nur eitle Dichterfabel ist der Wappenthiere Streit,
Altengelland wird blühen und prangen in Ewigkeit! —
So erzählte mein Freund in halb spöttischem, halb ernsthaftem Tone.
In der Flur des Hauses scholl ein Gruß an Eintretende: „Guten Abend!
Nichts Neues aus der Türkei?" — „Ach! Brettan's Stimme!" riefMick. —
„Wer ist Brettan?" — „Der Wirth. Aber daß ich nicht vergesse. Geben Sie
Acht und treten Sie auf keins seiner Hündchen. Er ist gewöhnlich von sechs
oder sieben grauhäutigen Bullenbeißern umgeben, ein guter Kerl, der Wirth,
aber diese dickköpfigen Vierfüßer liebt er wie sich selbst. Ich weiß nicht, Gott
verzeih mir die Sünde, ist er nach ihrem Ebenbilde geschaffen oder sie nach
seinem? Andere Wirthe, die das Glück haben, ein Bierparlament unter ihrem
Dache zu sehen, gucken manchmal in die Zeitung und politisiren. Bei ihm
keine Idee davon, obgleich ihm Jane, seine verstorbene Frau, darüber Vor¬
stellungen zu machen pflegte. Nur der Krimkrieg rüttelte ihn ein wenig
auf, und seitdem fragt er — gleichviel was die Welt bewegt — nach Neuig-
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