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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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ja ob die Schornsteine von Smithfield roth wie die Spitzen der Alpen glühen,
im Little Mayfields und seiner Umgegend macht dies keinen Unterschied; da
bleibt die Luft jahraus jahrein wie von Spinneweben durchzogen und von
wachholderduftigen Rauchgespinnsten, die bethörend auf den Sinn wirken.
Wahrscheinlich rührt die Verborgenheit des Hauses auch daher, daß der Brand
von 1666, zum Ergötzen künftiger Alterthümler, einige Knäuel krummer
Gassen und winkliger Plätze stehen ließ. Unversehens geräth der Fußgänger
oft, wenn er kürzere Wege sucht, in solch ein Jrrgewinde; er hört in der
Entfernung die wilde Jagd, die Mammonjagd, durch die City brausen, und
der Schall kann ihm den Compaß ersetzen; doch dauert es geraume Zeit,
bevor er bis zur Hauptstraße sich durchdrängt. Und wo die architektonischen
Schluchten am engsten, die überhängenden Stockwerke am bauchigsten und die
Giebeldächer am höchsten sind, da brauchte Einer nur um die rechte Ecke zu
biegen und das rechte Durchhaus zu treffen, so stände er in der Nähe des
grauen Hofes. Ich selbst wurde dort vor langen Jahren durch den oben¬
genannten Sagenkundiger Freund eingeführt, der sich also vernehmen ließ.

Ueber dem Eingang -- sagte Mr. Mink -- sehen Sie zwei kleine eiserne
Figuren, den Wappenlöwen und das Einhorn, darunter, noch ziemlich lesbar,
in den Stein gegraben die Worte: --


Dies Haus und Reich verschone des HERREN Strafgericht,
Bis jenes Roß dem Leuen sein Horn ins Herze sticht.

Es wundert mich, daß Sie niemals von diesem merkwürdigen Hause gehört
haben. Nun, wir wollen sehen, was sich thun läßt. Heute bringe ich Sie her
ins Bierparlament. -- Meinen Sie einen der sogenannten Debattirclubs, die
im Wirthshause zusammenkommen? fragte ich. -- Richtig, fuhr der alte Herr
fort, Clubs, wo man die Reichs- und Weltangelegenheiten in parlamenta¬
rischer Form verhandelt. Zu meiner Zeit bestanden ihrer sieben in London;
sieben großmächtige Bierparlamente. Se. Stephen's-in-the-East nennt sich
das ehrwürdigste von allen; sein Ursprung reicht zurück in die Mitte des
18ten Jahrhunderts, und vor etwa 40 Jahren verlegte es seine Sitzungen
in den grauen Hof. Sie wissen wohl, wodurch diese Parlamente sich von
dem in Westminster unterscheiden? Das Bierparlament hat keinen Sprecher,
sondern einen Vorsitzenden, und dieser -- wörtlich Stuhlmann (Chairman)
geheißen -- trägt keine Staatsperücke! Mit der Perücke aber stehen und
fallen in der Politik verschiedene Dinge. Keine Perücken, keine Wahlen,
keine ohnmächtigen Gesetze gegen die Wahlbestechung. Wer da kommt, besitzt
alle Rechte und Vorrechte eines ehrenwerthen Gentleman. Die Gesellschaft
ist also eine gemischte, und doch. welcher Anstand ist da zu schauen, so lange
Theologie und Persönlichkeiten aus dem Spiele bleiben! Wir kämpften ein¬
mal mehrere Stunden über eine Frage von der tiefsten Bedeutung, nämlich:


ja ob die Schornsteine von Smithfield roth wie die Spitzen der Alpen glühen,
im Little Mayfields und seiner Umgegend macht dies keinen Unterschied; da
bleibt die Luft jahraus jahrein wie von Spinneweben durchzogen und von
wachholderduftigen Rauchgespinnsten, die bethörend auf den Sinn wirken.
Wahrscheinlich rührt die Verborgenheit des Hauses auch daher, daß der Brand
von 1666, zum Ergötzen künftiger Alterthümler, einige Knäuel krummer
Gassen und winkliger Plätze stehen ließ. Unversehens geräth der Fußgänger
oft, wenn er kürzere Wege sucht, in solch ein Jrrgewinde; er hört in der
Entfernung die wilde Jagd, die Mammonjagd, durch die City brausen, und
der Schall kann ihm den Compaß ersetzen; doch dauert es geraume Zeit,
bevor er bis zur Hauptstraße sich durchdrängt. Und wo die architektonischen
Schluchten am engsten, die überhängenden Stockwerke am bauchigsten und die
Giebeldächer am höchsten sind, da brauchte Einer nur um die rechte Ecke zu
biegen und das rechte Durchhaus zu treffen, so stände er in der Nähe des
grauen Hofes. Ich selbst wurde dort vor langen Jahren durch den oben¬
genannten Sagenkundiger Freund eingeführt, der sich also vernehmen ließ.

Ueber dem Eingang — sagte Mr. Mink — sehen Sie zwei kleine eiserne
Figuren, den Wappenlöwen und das Einhorn, darunter, noch ziemlich lesbar,
in den Stein gegraben die Worte: —


Dies Haus und Reich verschone des HERREN Strafgericht,
Bis jenes Roß dem Leuen sein Horn ins Herze sticht.

Es wundert mich, daß Sie niemals von diesem merkwürdigen Hause gehört
haben. Nun, wir wollen sehen, was sich thun läßt. Heute bringe ich Sie her
ins Bierparlament. — Meinen Sie einen der sogenannten Debattirclubs, die
im Wirthshause zusammenkommen? fragte ich. — Richtig, fuhr der alte Herr
fort, Clubs, wo man die Reichs- und Weltangelegenheiten in parlamenta¬
rischer Form verhandelt. Zu meiner Zeit bestanden ihrer sieben in London;
sieben großmächtige Bierparlamente. Se. Stephen's-in-the-East nennt sich
das ehrwürdigste von allen; sein Ursprung reicht zurück in die Mitte des
18ten Jahrhunderts, und vor etwa 40 Jahren verlegte es seine Sitzungen
in den grauen Hof. Sie wissen wohl, wodurch diese Parlamente sich von
dem in Westminster unterscheiden? Das Bierparlament hat keinen Sprecher,
sondern einen Vorsitzenden, und dieser — wörtlich Stuhlmann (Chairman)
geheißen — trägt keine Staatsperücke! Mit der Perücke aber stehen und
fallen in der Politik verschiedene Dinge. Keine Perücken, keine Wahlen,
keine ohnmächtigen Gesetze gegen die Wahlbestechung. Wer da kommt, besitzt
alle Rechte und Vorrechte eines ehrenwerthen Gentleman. Die Gesellschaft
ist also eine gemischte, und doch. welcher Anstand ist da zu schauen, so lange
Theologie und Persönlichkeiten aus dem Spiele bleiben! Wir kämpften ein¬
mal mehrere Stunden über eine Frage von der tiefsten Bedeutung, nämlich:


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[0284] ja ob die Schornsteine von Smithfield roth wie die Spitzen der Alpen glühen, im Little Mayfields und seiner Umgegend macht dies keinen Unterschied; da bleibt die Luft jahraus jahrein wie von Spinneweben durchzogen und von wachholderduftigen Rauchgespinnsten, die bethörend auf den Sinn wirken. Wahrscheinlich rührt die Verborgenheit des Hauses auch daher, daß der Brand von 1666, zum Ergötzen künftiger Alterthümler, einige Knäuel krummer Gassen und winkliger Plätze stehen ließ. Unversehens geräth der Fußgänger oft, wenn er kürzere Wege sucht, in solch ein Jrrgewinde; er hört in der Entfernung die wilde Jagd, die Mammonjagd, durch die City brausen, und der Schall kann ihm den Compaß ersetzen; doch dauert es geraume Zeit, bevor er bis zur Hauptstraße sich durchdrängt. Und wo die architektonischen Schluchten am engsten, die überhängenden Stockwerke am bauchigsten und die Giebeldächer am höchsten sind, da brauchte Einer nur um die rechte Ecke zu biegen und das rechte Durchhaus zu treffen, so stände er in der Nähe des grauen Hofes. Ich selbst wurde dort vor langen Jahren durch den oben¬ genannten Sagenkundiger Freund eingeführt, der sich also vernehmen ließ. Ueber dem Eingang — sagte Mr. Mink — sehen Sie zwei kleine eiserne Figuren, den Wappenlöwen und das Einhorn, darunter, noch ziemlich lesbar, in den Stein gegraben die Worte: — Dies Haus und Reich verschone des HERREN Strafgericht, Bis jenes Roß dem Leuen sein Horn ins Herze sticht. Es wundert mich, daß Sie niemals von diesem merkwürdigen Hause gehört haben. Nun, wir wollen sehen, was sich thun läßt. Heute bringe ich Sie her ins Bierparlament. — Meinen Sie einen der sogenannten Debattirclubs, die im Wirthshause zusammenkommen? fragte ich. — Richtig, fuhr der alte Herr fort, Clubs, wo man die Reichs- und Weltangelegenheiten in parlamenta¬ rischer Form verhandelt. Zu meiner Zeit bestanden ihrer sieben in London; sieben großmächtige Bierparlamente. Se. Stephen's-in-the-East nennt sich das ehrwürdigste von allen; sein Ursprung reicht zurück in die Mitte des 18ten Jahrhunderts, und vor etwa 40 Jahren verlegte es seine Sitzungen in den grauen Hof. Sie wissen wohl, wodurch diese Parlamente sich von dem in Westminster unterscheiden? Das Bierparlament hat keinen Sprecher, sondern einen Vorsitzenden, und dieser — wörtlich Stuhlmann (Chairman) geheißen — trägt keine Staatsperücke! Mit der Perücke aber stehen und fallen in der Politik verschiedene Dinge. Keine Perücken, keine Wahlen, keine ohnmächtigen Gesetze gegen die Wahlbestechung. Wer da kommt, besitzt alle Rechte und Vorrechte eines ehrenwerthen Gentleman. Die Gesellschaft ist also eine gemischte, und doch. welcher Anstand ist da zu schauen, so lange Theologie und Persönlichkeiten aus dem Spiele bleiben! Wir kämpften ein¬ mal mehrere Stunden über eine Frage von der tiefsten Bedeutung, nämlich:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/284>, abgerufen am 25.08.2024.