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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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die mit ihrem Anhang in dieser Behörde den Ausschlag gaben, geleitet und
Escher's Einfluß war hier in der That so groß, daß kein Mitglied der Ne¬
gierung sich schmeicheln durfte, einen Antrag wider seinen Willen durchzu¬
bringen. Die thatsächliche Macht befand sich so bei einem Manne der außer¬
halb der Executive stand und keiner Verantwortlichkeit unterlag.

So waren die Regierung, die Majorität im Cantonsratl), eine mächtige
Eisenbahngesellschaft und verschiedene große Finanzcompagnien dahin gelangt
ein eng unter sich verbundenes und verschlungenes "System" zu bilden, das
von einem einzigen Willen in Bewegung gesetzt wurde. Natürlich geschah
da manches, was Herr Escher weder überwachen noch wissen konnte. Die
Mitglieder der Regierung leugneten zwar stets unter seinem Einflüsse zu
stehen und sie mochten darin vollkommen Recht haben, aber sie befanden sich
doch bei alledem mitten in einem Rädergetriebe, welchem sie sich nicht zu
entziehen vermochten.

Alles dies hatte um so schlimmere Folgen, als Herr Escher als Chef
jener großen industriellen und Finanzunternehmungen seine ursprünglich politi¬
schen Gesichtspunkte mit financiellen zu vermengen begann. Es zeigt sich dies
besonders in der Stellung Escher's als Director der Nordostbahn. Eine
Menge von Eisenbahnfragen nahmen eine hervorragende Stelle in der can-
toncilen Politik ein und pflegten stets mehr im Interesse der Privatgesell¬
schaften als im allgemeinen Staatsinteresse gelöst zu werden. Ein großer
Theil der Bevölkerung fühlte sich verletzt und hintangesetzt und sah sich einer
Macht gegenüber, gegen die jeder Kampf vergeblich schien. Denn Herr Escher
besaß außer den bereits angeführten Hilfsmitteln und Stützpunkten auch die
Kunst, sich im Cantonsrathe künstliche Majoritäten zu schaffen, welche oft
das Volksgefühl verletzten. Allmälig wuchs die Opposition selbst im Schoße
jener Behörde und die Unzufriedenheit begann sich im Volke so stark zu
regen, daß die Mehrheit des Ccintonsraths sich veranlaßt sah, durch Vornahme
einiger Reformen eine Sicherheitsklappe zu öffnen. Unglücklicherweise geschah
dies aber in einer Form, welche die Opposition reizen und sie dem System
nur noch feindseliger stimmen mußten.

Drei wichtige Veränderungen waren vorgenommen worden. Für die
Bezirksbehörden und Richter erster Instanz, die bisher durch ihre Wahlart
eine Hauptstütze des Systems gewesen, ward directe Wahl durch das Volk
beschlossen, -- gegen den Willen Escher's, auf den diesmal die Majorität
nicht gehört hatte. Es wurden ferner die bis dahin ausgeschlossenen Nieder¬
gelassenen zu den Gemeindewahlen und zur Gemeindeverwaltung zugelassen.
Endlich wurde eine wesentliche Aenderung in dem Modus der Verfassungs¬
revision eingeführt. Bisher wurde jede Revision vom Cantonsratl) selbst
vorgenommen; jetzt sollte sie sowohl durch diesen als durch einen Verfassungs-


die mit ihrem Anhang in dieser Behörde den Ausschlag gaben, geleitet und
Escher's Einfluß war hier in der That so groß, daß kein Mitglied der Ne¬
gierung sich schmeicheln durfte, einen Antrag wider seinen Willen durchzu¬
bringen. Die thatsächliche Macht befand sich so bei einem Manne der außer¬
halb der Executive stand und keiner Verantwortlichkeit unterlag.

So waren die Regierung, die Majorität im Cantonsratl), eine mächtige
Eisenbahngesellschaft und verschiedene große Finanzcompagnien dahin gelangt
ein eng unter sich verbundenes und verschlungenes „System" zu bilden, das
von einem einzigen Willen in Bewegung gesetzt wurde. Natürlich geschah
da manches, was Herr Escher weder überwachen noch wissen konnte. Die
Mitglieder der Regierung leugneten zwar stets unter seinem Einflüsse zu
stehen und sie mochten darin vollkommen Recht haben, aber sie befanden sich
doch bei alledem mitten in einem Rädergetriebe, welchem sie sich nicht zu
entziehen vermochten.

Alles dies hatte um so schlimmere Folgen, als Herr Escher als Chef
jener großen industriellen und Finanzunternehmungen seine ursprünglich politi¬
schen Gesichtspunkte mit financiellen zu vermengen begann. Es zeigt sich dies
besonders in der Stellung Escher's als Director der Nordostbahn. Eine
Menge von Eisenbahnfragen nahmen eine hervorragende Stelle in der can-
toncilen Politik ein und pflegten stets mehr im Interesse der Privatgesell¬
schaften als im allgemeinen Staatsinteresse gelöst zu werden. Ein großer
Theil der Bevölkerung fühlte sich verletzt und hintangesetzt und sah sich einer
Macht gegenüber, gegen die jeder Kampf vergeblich schien. Denn Herr Escher
besaß außer den bereits angeführten Hilfsmitteln und Stützpunkten auch die
Kunst, sich im Cantonsrathe künstliche Majoritäten zu schaffen, welche oft
das Volksgefühl verletzten. Allmälig wuchs die Opposition selbst im Schoße
jener Behörde und die Unzufriedenheit begann sich im Volke so stark zu
regen, daß die Mehrheit des Ccintonsraths sich veranlaßt sah, durch Vornahme
einiger Reformen eine Sicherheitsklappe zu öffnen. Unglücklicherweise geschah
dies aber in einer Form, welche die Opposition reizen und sie dem System
nur noch feindseliger stimmen mußten.

Drei wichtige Veränderungen waren vorgenommen worden. Für die
Bezirksbehörden und Richter erster Instanz, die bisher durch ihre Wahlart
eine Hauptstütze des Systems gewesen, ward directe Wahl durch das Volk
beschlossen, — gegen den Willen Escher's, auf den diesmal die Majorität
nicht gehört hatte. Es wurden ferner die bis dahin ausgeschlossenen Nieder¬
gelassenen zu den Gemeindewahlen und zur Gemeindeverwaltung zugelassen.
Endlich wurde eine wesentliche Aenderung in dem Modus der Verfassungs¬
revision eingeführt. Bisher wurde jede Revision vom Cantonsratl) selbst
vorgenommen; jetzt sollte sie sowohl durch diesen als durch einen Verfassungs-


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[0254] die mit ihrem Anhang in dieser Behörde den Ausschlag gaben, geleitet und Escher's Einfluß war hier in der That so groß, daß kein Mitglied der Ne¬ gierung sich schmeicheln durfte, einen Antrag wider seinen Willen durchzu¬ bringen. Die thatsächliche Macht befand sich so bei einem Manne der außer¬ halb der Executive stand und keiner Verantwortlichkeit unterlag. So waren die Regierung, die Majorität im Cantonsratl), eine mächtige Eisenbahngesellschaft und verschiedene große Finanzcompagnien dahin gelangt ein eng unter sich verbundenes und verschlungenes „System" zu bilden, das von einem einzigen Willen in Bewegung gesetzt wurde. Natürlich geschah da manches, was Herr Escher weder überwachen noch wissen konnte. Die Mitglieder der Regierung leugneten zwar stets unter seinem Einflüsse zu stehen und sie mochten darin vollkommen Recht haben, aber sie befanden sich doch bei alledem mitten in einem Rädergetriebe, welchem sie sich nicht zu entziehen vermochten. Alles dies hatte um so schlimmere Folgen, als Herr Escher als Chef jener großen industriellen und Finanzunternehmungen seine ursprünglich politi¬ schen Gesichtspunkte mit financiellen zu vermengen begann. Es zeigt sich dies besonders in der Stellung Escher's als Director der Nordostbahn. Eine Menge von Eisenbahnfragen nahmen eine hervorragende Stelle in der can- toncilen Politik ein und pflegten stets mehr im Interesse der Privatgesell¬ schaften als im allgemeinen Staatsinteresse gelöst zu werden. Ein großer Theil der Bevölkerung fühlte sich verletzt und hintangesetzt und sah sich einer Macht gegenüber, gegen die jeder Kampf vergeblich schien. Denn Herr Escher besaß außer den bereits angeführten Hilfsmitteln und Stützpunkten auch die Kunst, sich im Cantonsrathe künstliche Majoritäten zu schaffen, welche oft das Volksgefühl verletzten. Allmälig wuchs die Opposition selbst im Schoße jener Behörde und die Unzufriedenheit begann sich im Volke so stark zu regen, daß die Mehrheit des Ccintonsraths sich veranlaßt sah, durch Vornahme einiger Reformen eine Sicherheitsklappe zu öffnen. Unglücklicherweise geschah dies aber in einer Form, welche die Opposition reizen und sie dem System nur noch feindseliger stimmen mußten. Drei wichtige Veränderungen waren vorgenommen worden. Für die Bezirksbehörden und Richter erster Instanz, die bisher durch ihre Wahlart eine Hauptstütze des Systems gewesen, ward directe Wahl durch das Volk beschlossen, — gegen den Willen Escher's, auf den diesmal die Majorität nicht gehört hatte. Es wurden ferner die bis dahin ausgeschlossenen Nieder¬ gelassenen zu den Gemeindewahlen und zur Gemeindeverwaltung zugelassen. Endlich wurde eine wesentliche Aenderung in dem Modus der Verfassungs¬ revision eingeführt. Bisher wurde jede Revision vom Cantonsratl) selbst vorgenommen; jetzt sollte sie sowohl durch diesen als durch einen Verfassungs-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/254>, abgerufen am 25.08.2024.