Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.frühere Zeit sich kleinlich, aber sicher und gleichmäßig bewegte, sind ver¬ Ccirrespondenz aus Holland. Man scheint sich im Auslande über die Stellung, welche die Niederlande Die "Kölnische Zeitung" -- und daran knüpfe ich zunächst an -- theilte frühere Zeit sich kleinlich, aber sicher und gleichmäßig bewegte, sind ver¬ Ccirrespondenz aus Holland. Man scheint sich im Auslande über die Stellung, welche die Niederlande Die „Kölnische Zeitung" — und daran knüpfe ich zunächst an — theilte <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0245" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/121466"/> <p xml:id="ID_809" prev="#ID_808"> frühere Zeit sich kleinlich, aber sicher und gleichmäßig bewegte, sind ver¬<lb/> schwunden, die alten Schranken, welche bisher die freie Bewegung hemmten,<lb/> sind gefallen und mußten fallen, aber mit der Proclamation blos negativer<lb/> Freiheit ist noch wenig gewonnen. Wir sind hinaus über den kahlen Be¬<lb/> griff des Rechtsstaates, in dem das I^isser Ällerldie einzige Norm bildet. Der<lb/> Staat soll positiv eingreifen, um das Wohl seiner Angehörigen zu stützen,<lb/> soweit dies geschehen kann, ohne eine Klasse auf Kosten der andern zu be¬<lb/> günstigen, und nirgends ist diese Pflicht dringlicher als bei der Klasse,<lb/> welche durch ihre Eavitallosigkeit andern gegenüber die schwächere ist. Der<lb/> Staat ist der natürliche Vormund der wirthschaftlich noch Unmündigen.<lb/> In dieser Eigenschaft hat er aber auch den Arbeiter anzuhalten, seine<lb/> Pflichten gegen sich selbst zu erfüllen. Derselbe hat kein Recht, in den<lb/> Tag hineinlebend jeden verdienten Groschen aufzuzehren und dann im<lb/> Alter oder bei Krankheit den öffentlichen Anstalten zur Last zu fallen; er<lb/> soll in der Zeit rüstigen Erwerbs für künftige schlechte Tage sorgen.<lb/> Wenn der Staat die oben angeführte Beitragspflicht für unselbständige<lb/> Arbeiter ausspricht, übt er damit sowenig Tyrannei wie durch die all¬<lb/> gemeine Schul- oder Wehrpflicht; er wehrt' nur von sich eine Last ab, die<lb/> rein unerträglich werden müßte. Es ist recht eigentlich die Aufgabe unserer<lb/> Tage, für die neue Gestaltung des wirthschaftlichen Lebens Formen zu finden:<lb/> der freien Bewegung muß voller Raum gegeben werden, aber die Staats¬<lb/> gewalt hat darauf zu halten, daß jedem Recht auch eine Pflicht gegenüber¬<lb/> stehe. Hierin liegt die wahre sittliche und politische Erziehung, und gewerb¬<lb/> liche Kassen auf den gedachten Grundlagen würden unserer Ansicht nach<lb/> wesentlich dazu beitragen den Verhältnissen der arbeitenden Klassen festern<lb/> Halt zu geben und sie den Irrlehren socialistischer Volksbeglücker resp. Ver¬<lb/> derber zu entziehen.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Ccirrespondenz aus Holland.</head><lb/> <p xml:id="ID_810"> Man scheint sich im Auslande über die Stellung, welche die Niederlande<lb/> zu dem belgisch-französischen Eisenbahnvertrage einnehmen, noch immer keinen<lb/> richtigen Begriff bilden zu können. Das'Amsterdamer „Handelsblad" rief<lb/> Angesichts der deutschen Zeitungsberichte aus Holland neulich aus: „Ist denn<lb/> unter den vielen hier lebenden'Deutschen keiner fähig und verständig genug,<lb/> um, was man von uns zu vernehmen wünscht, in einer solchen Weise mit¬<lb/> zutheilen, daß nicht ein Paar Zeilen nothwendig schon Irrthümer ent¬<lb/> halten?"</p><lb/> <p xml:id="ID_811" next="#ID_812"> Die „Kölnische Zeitung" — und daran knüpfe ich zunächst an — theilte<lb/> ihren Lesern nämlich mit. daß bei uns ein Streben zur Wiedervereinigung<lb/> mit den flämischen Provinzen Belgiens bestehe, und daß wir uns deshalb<lb/> etwaigen Absichten Frankreichs auf Belgien nicht widersetzen würden. Wer<lb/> auch nur in den letzten Monaten unser politisches Treiben näher betrachtet<lb/> hat, weiß, daß diese beiden Angaben gleich irrthümlich sind. An eine Ver¬<lb/> einigung mit Flandern denkt hier nicht allein Niemand, sondern mau würde<lb/> sich derselben geradezu widersetzen. Die Parteien hier zu Lande haben bei den</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0245]
frühere Zeit sich kleinlich, aber sicher und gleichmäßig bewegte, sind ver¬
schwunden, die alten Schranken, welche bisher die freie Bewegung hemmten,
sind gefallen und mußten fallen, aber mit der Proclamation blos negativer
Freiheit ist noch wenig gewonnen. Wir sind hinaus über den kahlen Be¬
griff des Rechtsstaates, in dem das I^isser Ällerldie einzige Norm bildet. Der
Staat soll positiv eingreifen, um das Wohl seiner Angehörigen zu stützen,
soweit dies geschehen kann, ohne eine Klasse auf Kosten der andern zu be¬
günstigen, und nirgends ist diese Pflicht dringlicher als bei der Klasse,
welche durch ihre Eavitallosigkeit andern gegenüber die schwächere ist. Der
Staat ist der natürliche Vormund der wirthschaftlich noch Unmündigen.
In dieser Eigenschaft hat er aber auch den Arbeiter anzuhalten, seine
Pflichten gegen sich selbst zu erfüllen. Derselbe hat kein Recht, in den
Tag hineinlebend jeden verdienten Groschen aufzuzehren und dann im
Alter oder bei Krankheit den öffentlichen Anstalten zur Last zu fallen; er
soll in der Zeit rüstigen Erwerbs für künftige schlechte Tage sorgen.
Wenn der Staat die oben angeführte Beitragspflicht für unselbständige
Arbeiter ausspricht, übt er damit sowenig Tyrannei wie durch die all¬
gemeine Schul- oder Wehrpflicht; er wehrt' nur von sich eine Last ab, die
rein unerträglich werden müßte. Es ist recht eigentlich die Aufgabe unserer
Tage, für die neue Gestaltung des wirthschaftlichen Lebens Formen zu finden:
der freien Bewegung muß voller Raum gegeben werden, aber die Staats¬
gewalt hat darauf zu halten, daß jedem Recht auch eine Pflicht gegenüber¬
stehe. Hierin liegt die wahre sittliche und politische Erziehung, und gewerb¬
liche Kassen auf den gedachten Grundlagen würden unserer Ansicht nach
wesentlich dazu beitragen den Verhältnissen der arbeitenden Klassen festern
Halt zu geben und sie den Irrlehren socialistischer Volksbeglücker resp. Ver¬
derber zu entziehen.
Ccirrespondenz aus Holland.
Man scheint sich im Auslande über die Stellung, welche die Niederlande
zu dem belgisch-französischen Eisenbahnvertrage einnehmen, noch immer keinen
richtigen Begriff bilden zu können. Das'Amsterdamer „Handelsblad" rief
Angesichts der deutschen Zeitungsberichte aus Holland neulich aus: „Ist denn
unter den vielen hier lebenden'Deutschen keiner fähig und verständig genug,
um, was man von uns zu vernehmen wünscht, in einer solchen Weise mit¬
zutheilen, daß nicht ein Paar Zeilen nothwendig schon Irrthümer ent¬
halten?"
Die „Kölnische Zeitung" — und daran knüpfe ich zunächst an — theilte
ihren Lesern nämlich mit. daß bei uns ein Streben zur Wiedervereinigung
mit den flämischen Provinzen Belgiens bestehe, und daß wir uns deshalb
etwaigen Absichten Frankreichs auf Belgien nicht widersetzen würden. Wer
auch nur in den letzten Monaten unser politisches Treiben näher betrachtet
hat, weiß, daß diese beiden Angaben gleich irrthümlich sind. An eine Ver¬
einigung mit Flandern denkt hier nicht allein Niemand, sondern mau würde
sich derselben geradezu widersetzen. Die Parteien hier zu Lande haben bei den
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |