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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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In den gleichlautenden Depeschen an die Gesandten in München und
Stuttgart vom 4, April gibt der Reichskanzler seinem Wunsche nach Ver¬
wirklichung des Südbundes neuen Ausdruck, Wir können diese Sympathien
auf sich beruhen lassen, da sie unserer Ueberzeugung nach stets gegenstands¬
los bleiben werden, der Südbund ist eine Unmöglichkeit. Wir müssen uns
aber gegen die Auffassung verwahren, als sei derselbe überhaupt ein Postu¬
lat des Prager Friedens. Er wird im Art. 4 nur facultative stipulirt, den
süddeutschen Saaten soll es freistehen, zu einem Verein zusammenzutreten,
und diesem ist dann .vorweg die Anerkennung Oestreichs gesichert. Im
Uebrigen ist der Grundgedanke des Prager Vertrags für den Süden die
freie Souverainetät der einzelnen Staaten, die sie offenbar auch in dem Sinne
brauchen können und gebraucht haben, sich Beschränkungen der Souverainetät
zu Gunsten Preußens aufzuerlegen.

Wir nehmen Gelegenheit, hier eine soeben erschienene kleine Schrift
von Professor Aegidi, "die Mainlinie", zu empfehlen, in der die rechtliche
Bedeutung der betreffenden Artikel des Prager Friedens bündig erläutert
wird. Wir verweisen ferner auf einen merkwürdigen Artikel in der "Augs¬
burger Allgem. Zeitung" Ur. 210, "das östreichische Rothbuch und die preußi¬
sche Einheitspolitik", deren Verfasser, obwohl entschieden antipreußisch gesinnt
und trotz der Wiederholung der Fabeln über das durch SOjähriges consti-
tutionelles Leben entwickelte Rechtsgefühl der Südstaaten, zu dem Schlüsse
kommt, daß nur in der preußischen Centralgewalt die wahre nationale Stütze zu
finden, daß dagegen der Süden, auch abgesehen vom Prager Frieden, sich
nie Oestreich anschließen könne, weil dessen liberale innere Politik nur
Mittel zum Zweck und nur durch das gebieterische Bedürfniß des Ausgleichs
mit Ungarn dictirt sei. "Einer Politik, welche dem Parlamentarismus nur
als Mittel gegen die preußisch-deutsche Mission huldigt, vermögen wir kein
nachhaltiges Vertrauen zu schenken." Außerdem dürfe man historisch nicht
unberücksichtigt lassen, daß nicht ein folgenreicher Friede mit dem Auslande
abgeschlossen sei, bei welchem nicht das Reich und namentlich der Süden den
Schaden für Oestreichs Gewinn und Entschädigung hätte tragen müssen. --
Wir können nur wünschen, daß solche Erwägungen nüchterner Realpolitik
mehr und mehr die unklaren Sympathien und Antipathien verdrängen mögen,
in denen die Mehrheit der süddeutschen Bevölkerung sich noch wiegt.

Das Resultat für Deutschland bleibt, daß der Konflikt zwischen Preußen
und Oestreich mit dem Prager Frieden nicht beendet ist, sondern stille fort¬
dauert, aber sicher zuletzt doch wieder zu einer Entscheidung durch die Waffen
führen wird. Darauf haben wir uns vorzubereiten und dies bleibt der
Gesichtspunkt für unsere Beziehungen zu Oestreich.

Das Hauptgewicht der neuesten östreichischen Politik liegt in der Hat-


In den gleichlautenden Depeschen an die Gesandten in München und
Stuttgart vom 4, April gibt der Reichskanzler seinem Wunsche nach Ver¬
wirklichung des Südbundes neuen Ausdruck, Wir können diese Sympathien
auf sich beruhen lassen, da sie unserer Ueberzeugung nach stets gegenstands¬
los bleiben werden, der Südbund ist eine Unmöglichkeit. Wir müssen uns
aber gegen die Auffassung verwahren, als sei derselbe überhaupt ein Postu¬
lat des Prager Friedens. Er wird im Art. 4 nur facultative stipulirt, den
süddeutschen Saaten soll es freistehen, zu einem Verein zusammenzutreten,
und diesem ist dann .vorweg die Anerkennung Oestreichs gesichert. Im
Uebrigen ist der Grundgedanke des Prager Vertrags für den Süden die
freie Souverainetät der einzelnen Staaten, die sie offenbar auch in dem Sinne
brauchen können und gebraucht haben, sich Beschränkungen der Souverainetät
zu Gunsten Preußens aufzuerlegen.

Wir nehmen Gelegenheit, hier eine soeben erschienene kleine Schrift
von Professor Aegidi, „die Mainlinie", zu empfehlen, in der die rechtliche
Bedeutung der betreffenden Artikel des Prager Friedens bündig erläutert
wird. Wir verweisen ferner auf einen merkwürdigen Artikel in der „Augs¬
burger Allgem. Zeitung" Ur. 210, „das östreichische Rothbuch und die preußi¬
sche Einheitspolitik", deren Verfasser, obwohl entschieden antipreußisch gesinnt
und trotz der Wiederholung der Fabeln über das durch SOjähriges consti-
tutionelles Leben entwickelte Rechtsgefühl der Südstaaten, zu dem Schlüsse
kommt, daß nur in der preußischen Centralgewalt die wahre nationale Stütze zu
finden, daß dagegen der Süden, auch abgesehen vom Prager Frieden, sich
nie Oestreich anschließen könne, weil dessen liberale innere Politik nur
Mittel zum Zweck und nur durch das gebieterische Bedürfniß des Ausgleichs
mit Ungarn dictirt sei. „Einer Politik, welche dem Parlamentarismus nur
als Mittel gegen die preußisch-deutsche Mission huldigt, vermögen wir kein
nachhaltiges Vertrauen zu schenken." Außerdem dürfe man historisch nicht
unberücksichtigt lassen, daß nicht ein folgenreicher Friede mit dem Auslande
abgeschlossen sei, bei welchem nicht das Reich und namentlich der Süden den
Schaden für Oestreichs Gewinn und Entschädigung hätte tragen müssen. —
Wir können nur wünschen, daß solche Erwägungen nüchterner Realpolitik
mehr und mehr die unklaren Sympathien und Antipathien verdrängen mögen,
in denen die Mehrheit der süddeutschen Bevölkerung sich noch wiegt.

Das Resultat für Deutschland bleibt, daß der Konflikt zwischen Preußen
und Oestreich mit dem Prager Frieden nicht beendet ist, sondern stille fort¬
dauert, aber sicher zuletzt doch wieder zu einer Entscheidung durch die Waffen
führen wird. Darauf haben wir uns vorzubereiten und dies bleibt der
Gesichtspunkt für unsere Beziehungen zu Oestreich.

Das Hauptgewicht der neuesten östreichischen Politik liegt in der Hat-


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[0234] In den gleichlautenden Depeschen an die Gesandten in München und Stuttgart vom 4, April gibt der Reichskanzler seinem Wunsche nach Ver¬ wirklichung des Südbundes neuen Ausdruck, Wir können diese Sympathien auf sich beruhen lassen, da sie unserer Ueberzeugung nach stets gegenstands¬ los bleiben werden, der Südbund ist eine Unmöglichkeit. Wir müssen uns aber gegen die Auffassung verwahren, als sei derselbe überhaupt ein Postu¬ lat des Prager Friedens. Er wird im Art. 4 nur facultative stipulirt, den süddeutschen Saaten soll es freistehen, zu einem Verein zusammenzutreten, und diesem ist dann .vorweg die Anerkennung Oestreichs gesichert. Im Uebrigen ist der Grundgedanke des Prager Vertrags für den Süden die freie Souverainetät der einzelnen Staaten, die sie offenbar auch in dem Sinne brauchen können und gebraucht haben, sich Beschränkungen der Souverainetät zu Gunsten Preußens aufzuerlegen. Wir nehmen Gelegenheit, hier eine soeben erschienene kleine Schrift von Professor Aegidi, „die Mainlinie", zu empfehlen, in der die rechtliche Bedeutung der betreffenden Artikel des Prager Friedens bündig erläutert wird. Wir verweisen ferner auf einen merkwürdigen Artikel in der „Augs¬ burger Allgem. Zeitung" Ur. 210, „das östreichische Rothbuch und die preußi¬ sche Einheitspolitik", deren Verfasser, obwohl entschieden antipreußisch gesinnt und trotz der Wiederholung der Fabeln über das durch SOjähriges consti- tutionelles Leben entwickelte Rechtsgefühl der Südstaaten, zu dem Schlüsse kommt, daß nur in der preußischen Centralgewalt die wahre nationale Stütze zu finden, daß dagegen der Süden, auch abgesehen vom Prager Frieden, sich nie Oestreich anschließen könne, weil dessen liberale innere Politik nur Mittel zum Zweck und nur durch das gebieterische Bedürfniß des Ausgleichs mit Ungarn dictirt sei. „Einer Politik, welche dem Parlamentarismus nur als Mittel gegen die preußisch-deutsche Mission huldigt, vermögen wir kein nachhaltiges Vertrauen zu schenken." Außerdem dürfe man historisch nicht unberücksichtigt lassen, daß nicht ein folgenreicher Friede mit dem Auslande abgeschlossen sei, bei welchem nicht das Reich und namentlich der Süden den Schaden für Oestreichs Gewinn und Entschädigung hätte tragen müssen. — Wir können nur wünschen, daß solche Erwägungen nüchterner Realpolitik mehr und mehr die unklaren Sympathien und Antipathien verdrängen mögen, in denen die Mehrheit der süddeutschen Bevölkerung sich noch wiegt. Das Resultat für Deutschland bleibt, daß der Konflikt zwischen Preußen und Oestreich mit dem Prager Frieden nicht beendet ist, sondern stille fort¬ dauert, aber sicher zuletzt doch wieder zu einer Entscheidung durch die Waffen führen wird. Darauf haben wir uns vorzubereiten und dies bleibt der Gesichtspunkt für unsere Beziehungen zu Oestreich. Das Hauptgewicht der neuesten östreichischen Politik liegt in der Hat-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/234>, abgerufen am 26.08.2024.