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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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der Chemie seitenlange Tabellen von Namen und Zahlen über die Erfindun¬
gen liefert. Ueber Tieck werden acht Seiten lang ästhetische und kritische
Betrachtungen angestellt, während in dem Abschnitt "Erfindungen. Technik
und Bauten" wiederum Tabellen von Namen und Zahlen mitgetheilt wer¬
den; während über fünfzig Gedichte Thomas Moore's genannt werden, be¬
gnügt sich der Verfasser mit einer sehr flüchtigen, kurzen und allgemeinen
Charakteristik der wissenschaftlichen und literarischen Thätigkeit Bentham's. --
Dem Abschnitt über die schöne Literatur ist fast die Hälfte des Bandes (160
Seiten) gewidmet, während in dem 22 Seiten langen Abschnitte "Sociale
Züge" in einem Athem u. a. folgende Gegenstände zur Behandlung kommen:
Industrieausstellungen. Landbau. Schafzucht, Agriculturchemie, Code Napo¬
leon, Leibeigenschaft, Handel und Industrie, Finanzwirthschaft, Bankwesen.
Sparcassen. Waisenhäuser, Blindenanstalten, Herstellung des Adels in Hol¬
land, Umwandlung der Unterrichtsmethode, Sclavenhandel, religiöse Orden,
Sectenwesen, Missionsgesellschaften, Turnkunst. Nationalgarten u. s. w. --
Ebenso werden in dem Abschnitt "Technik. Erfindungen und Bauten" in
bunt durch einander gewürfelter Reihenfolge erwähnt: Eisenbahnen, Tele¬
graphen, Beleuchtung und Buchdruck, Kriegswesen und Lithographie, Kriegs¬
hafen und Canalbauten und zwar Alles dieses auf acht Seiten.

So sehen wir den Verfasser bald bei dem Allgemeinsten verweilen, bald
in das Einzelste eingehen. Hier läßt er seiner Liebhaberei, literarische Er¬
scheinungen in sehr subjectiver Weise zu besprechen, freien Lauf, dort speist er
uns mit einer kahlen Nomenclatur ab; an einzelnen Stellen stoßen wir zu¬
fällig auf philosophisch-historische Betrachtungen, an den meisten andern da¬
gegen bleibt es bei der bloßen Aufzählung des Aeußerlichsten. Hier breite
langathmige Phrasen, aus denen wir erfahren, ob etwa Jean Paul dem Na¬
turell des Verfassers zusagt, nicht aber, welche culturhistorische Bedeutung
Jean Paul's Schriften haben; dort nur dürftige aus Encyclopädien und
Fachwerken zusammengelesene Notizen, die unverarbeitet, nur äußerlich ge¬
ordnet, lediglich das Rohmaterial für Culturgeschichte abgeben. Ein solches
wüstes Nebeneinander erscheint in einem Grundriß der Culturgeschichte ebenso
unangemessen, als das unmäßig liebevolle Verweilen bei einzelnen Schrift¬
stellern, deren culturhistorische Bedeutung nicht weiter gewürdigt wird, deren
Schriften aber nach dem Maßstab der ästhetischen Kritik eingehend besprochen
werden. Solche Essay's, auf welche der Verfasser sehr stolz ist, wie aus der
Vorrede hervorgeht, gehören in literar-historische Zeitschriften, nicht in ein
Buch, welches zum Fundament einer Allgemeinen Culturgeschichte dienen soll.
Mit solchen "psychologischen Portraits" ist für eine Culturgeschichte sehr
wenig gethan, wenn sie nicht in historischem Zusammenhange mit ihrer
ganzen Zeit erscheinen, sondern in engem Rahmen und von dem Stand-


der Chemie seitenlange Tabellen von Namen und Zahlen über die Erfindun¬
gen liefert. Ueber Tieck werden acht Seiten lang ästhetische und kritische
Betrachtungen angestellt, während in dem Abschnitt „Erfindungen. Technik
und Bauten" wiederum Tabellen von Namen und Zahlen mitgetheilt wer¬
den; während über fünfzig Gedichte Thomas Moore's genannt werden, be¬
gnügt sich der Verfasser mit einer sehr flüchtigen, kurzen und allgemeinen
Charakteristik der wissenschaftlichen und literarischen Thätigkeit Bentham's. —
Dem Abschnitt über die schöne Literatur ist fast die Hälfte des Bandes (160
Seiten) gewidmet, während in dem 22 Seiten langen Abschnitte „Sociale
Züge" in einem Athem u. a. folgende Gegenstände zur Behandlung kommen:
Industrieausstellungen. Landbau. Schafzucht, Agriculturchemie, Code Napo¬
leon, Leibeigenschaft, Handel und Industrie, Finanzwirthschaft, Bankwesen.
Sparcassen. Waisenhäuser, Blindenanstalten, Herstellung des Adels in Hol¬
land, Umwandlung der Unterrichtsmethode, Sclavenhandel, religiöse Orden,
Sectenwesen, Missionsgesellschaften, Turnkunst. Nationalgarten u. s. w. —
Ebenso werden in dem Abschnitt „Technik. Erfindungen und Bauten" in
bunt durch einander gewürfelter Reihenfolge erwähnt: Eisenbahnen, Tele¬
graphen, Beleuchtung und Buchdruck, Kriegswesen und Lithographie, Kriegs¬
hafen und Canalbauten und zwar Alles dieses auf acht Seiten.

So sehen wir den Verfasser bald bei dem Allgemeinsten verweilen, bald
in das Einzelste eingehen. Hier läßt er seiner Liebhaberei, literarische Er¬
scheinungen in sehr subjectiver Weise zu besprechen, freien Lauf, dort speist er
uns mit einer kahlen Nomenclatur ab; an einzelnen Stellen stoßen wir zu¬
fällig auf philosophisch-historische Betrachtungen, an den meisten andern da¬
gegen bleibt es bei der bloßen Aufzählung des Aeußerlichsten. Hier breite
langathmige Phrasen, aus denen wir erfahren, ob etwa Jean Paul dem Na¬
turell des Verfassers zusagt, nicht aber, welche culturhistorische Bedeutung
Jean Paul's Schriften haben; dort nur dürftige aus Encyclopädien und
Fachwerken zusammengelesene Notizen, die unverarbeitet, nur äußerlich ge¬
ordnet, lediglich das Rohmaterial für Culturgeschichte abgeben. Ein solches
wüstes Nebeneinander erscheint in einem Grundriß der Culturgeschichte ebenso
unangemessen, als das unmäßig liebevolle Verweilen bei einzelnen Schrift¬
stellern, deren culturhistorische Bedeutung nicht weiter gewürdigt wird, deren
Schriften aber nach dem Maßstab der ästhetischen Kritik eingehend besprochen
werden. Solche Essay's, auf welche der Verfasser sehr stolz ist, wie aus der
Vorrede hervorgeht, gehören in literar-historische Zeitschriften, nicht in ein
Buch, welches zum Fundament einer Allgemeinen Culturgeschichte dienen soll.
Mit solchen „psychologischen Portraits" ist für eine Culturgeschichte sehr
wenig gethan, wenn sie nicht in historischem Zusammenhange mit ihrer
ganzen Zeit erscheinen, sondern in engem Rahmen und von dem Stand-


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[0229] der Chemie seitenlange Tabellen von Namen und Zahlen über die Erfindun¬ gen liefert. Ueber Tieck werden acht Seiten lang ästhetische und kritische Betrachtungen angestellt, während in dem Abschnitt „Erfindungen. Technik und Bauten" wiederum Tabellen von Namen und Zahlen mitgetheilt wer¬ den; während über fünfzig Gedichte Thomas Moore's genannt werden, be¬ gnügt sich der Verfasser mit einer sehr flüchtigen, kurzen und allgemeinen Charakteristik der wissenschaftlichen und literarischen Thätigkeit Bentham's. — Dem Abschnitt über die schöne Literatur ist fast die Hälfte des Bandes (160 Seiten) gewidmet, während in dem 22 Seiten langen Abschnitte „Sociale Züge" in einem Athem u. a. folgende Gegenstände zur Behandlung kommen: Industrieausstellungen. Landbau. Schafzucht, Agriculturchemie, Code Napo¬ leon, Leibeigenschaft, Handel und Industrie, Finanzwirthschaft, Bankwesen. Sparcassen. Waisenhäuser, Blindenanstalten, Herstellung des Adels in Hol¬ land, Umwandlung der Unterrichtsmethode, Sclavenhandel, religiöse Orden, Sectenwesen, Missionsgesellschaften, Turnkunst. Nationalgarten u. s. w. — Ebenso werden in dem Abschnitt „Technik. Erfindungen und Bauten" in bunt durch einander gewürfelter Reihenfolge erwähnt: Eisenbahnen, Tele¬ graphen, Beleuchtung und Buchdruck, Kriegswesen und Lithographie, Kriegs¬ hafen und Canalbauten und zwar Alles dieses auf acht Seiten. So sehen wir den Verfasser bald bei dem Allgemeinsten verweilen, bald in das Einzelste eingehen. Hier läßt er seiner Liebhaberei, literarische Er¬ scheinungen in sehr subjectiver Weise zu besprechen, freien Lauf, dort speist er uns mit einer kahlen Nomenclatur ab; an einzelnen Stellen stoßen wir zu¬ fällig auf philosophisch-historische Betrachtungen, an den meisten andern da¬ gegen bleibt es bei der bloßen Aufzählung des Aeußerlichsten. Hier breite langathmige Phrasen, aus denen wir erfahren, ob etwa Jean Paul dem Na¬ turell des Verfassers zusagt, nicht aber, welche culturhistorische Bedeutung Jean Paul's Schriften haben; dort nur dürftige aus Encyclopädien und Fachwerken zusammengelesene Notizen, die unverarbeitet, nur äußerlich ge¬ ordnet, lediglich das Rohmaterial für Culturgeschichte abgeben. Ein solches wüstes Nebeneinander erscheint in einem Grundriß der Culturgeschichte ebenso unangemessen, als das unmäßig liebevolle Verweilen bei einzelnen Schrift¬ stellern, deren culturhistorische Bedeutung nicht weiter gewürdigt wird, deren Schriften aber nach dem Maßstab der ästhetischen Kritik eingehend besprochen werden. Solche Essay's, auf welche der Verfasser sehr stolz ist, wie aus der Vorrede hervorgeht, gehören in literar-historische Zeitschriften, nicht in ein Buch, welches zum Fundament einer Allgemeinen Culturgeschichte dienen soll. Mit solchen „psychologischen Portraits" ist für eine Culturgeschichte sehr wenig gethan, wenn sie nicht in historischem Zusammenhange mit ihrer ganzen Zeit erscheinen, sondern in engem Rahmen und von dem Stand-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/229>, abgerufen am 25.08.2024.