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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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mung die Gemüther. Hannover war die erste Stadt, welche der König be¬
suchen wollte, und unleugbar hatte hier die welfische Partei ihren Hauptsitz.
Dieselben Volksclassen, die zu hannoverscher Zeit die "jubelnden Volksmassen"
gebildet hatten, die kleinen Handwerker, die Landleute, die Arbeiter, bildeten,
jetzt die hannoversche Volkspartei, und diese war entschlossen, den Königlichen
Besuch zu welfischen Demonstrationen zu benutzen. Die nationalen gehören
durchweg dem gebildeten Bürgerstande an, von dem man nicht wissen konnte,
wieweit er die ihm eigene Indolenz und die Abneigung gegen das Straßen¬
gedränge überwinden würde, um dem Könige einen festlichen Empfang zu
bereiten.

So schwankten die Ansichten über den Ausfall des Königlichen Besuchs
hin und her und die verhältnißmäßig geringe Ausschmückung der Häuser
schien eigentlich nichts Gutes anzukündigen.

Als der Augenblick da war, drängten die Menschenmassen zum festlich
geschmückten Bahnhofsplatz; es sollte sich zeigen, ob der Sieg den Hoch rufen¬
den nationalen oder dem Zischen der Welsengenossen bleiben wurde. Der
Zug kam an; wildes Gerufe und ungeduldiges Drängen! Noch einige
Minuten der Erwartung, während im Innern des Bahnhofes die ersten
Vorstellungen stattfanden; dann trat der König aus der Halle, um in den
Wagen zu steigen. Einen kurzen Augenblick tiefe Stille zur Befriedi¬
gung der ersten Neugier und dann ein kosendes Hoch aus vielen tausend
Kehlen. Der Sieg war entschieden und von Gegendemonstrationen keine Rede
mehr! Auch die Verbissensten mochten sühlen, daß jeder Versuch dazu eine
Lächerlichkeit gewesen wäre.

Wir haben nach dem Erscheinen ausführlicher Zeitungsberichte natürlich
nicht die Festlichkeiten zu schildern, die dem Könige zu Ehren stattfanden; nur
das können und müssen wir bezeugen, daß bei jeder neuen Ausfahrt des Königs
in die Stadt der Jubel sich mehrte, und daß, wohin wir auch hörten, der Eindruck
von der Persönlichkeit des Königs überall derselbe war. Für die gebildeten
Classen, deren Anschauungen auf Nachdenken beruhen, konnte dieser Eindruck
natürlich nicht maßgebend sein, auf die Massen hat die Königliche Erschei¬
nung des deutschen Schirmherrn entschieden gewinnend gewirkt.

Der nachhaltigste Umschwung ist in der Stimmung der welfischen Partei¬
führer eingetreten. Der siegesgewisse Uebermuth vor dem Besuche des Königs
ist einer kleinlauten Beschämung gewichen und grollend und staunend sahen
die Führereine große Anzahl ihrer früheren Getreuen das gelb-weiße Banner
verlassen. Man braucht nur die finstern Mienen der Chorführer zu sehen,
um dessen gewiß zu werden, daß ihre Sache aufs Neue an Terrain ver¬
loren hat.

Was in der Stadt Hannover begonnen wurde, ist in der Provinz fort-


mung die Gemüther. Hannover war die erste Stadt, welche der König be¬
suchen wollte, und unleugbar hatte hier die welfische Partei ihren Hauptsitz.
Dieselben Volksclassen, die zu hannoverscher Zeit die „jubelnden Volksmassen"
gebildet hatten, die kleinen Handwerker, die Landleute, die Arbeiter, bildeten,
jetzt die hannoversche Volkspartei, und diese war entschlossen, den Königlichen
Besuch zu welfischen Demonstrationen zu benutzen. Die nationalen gehören
durchweg dem gebildeten Bürgerstande an, von dem man nicht wissen konnte,
wieweit er die ihm eigene Indolenz und die Abneigung gegen das Straßen¬
gedränge überwinden würde, um dem Könige einen festlichen Empfang zu
bereiten.

So schwankten die Ansichten über den Ausfall des Königlichen Besuchs
hin und her und die verhältnißmäßig geringe Ausschmückung der Häuser
schien eigentlich nichts Gutes anzukündigen.

Als der Augenblick da war, drängten die Menschenmassen zum festlich
geschmückten Bahnhofsplatz; es sollte sich zeigen, ob der Sieg den Hoch rufen¬
den nationalen oder dem Zischen der Welsengenossen bleiben wurde. Der
Zug kam an; wildes Gerufe und ungeduldiges Drängen! Noch einige
Minuten der Erwartung, während im Innern des Bahnhofes die ersten
Vorstellungen stattfanden; dann trat der König aus der Halle, um in den
Wagen zu steigen. Einen kurzen Augenblick tiefe Stille zur Befriedi¬
gung der ersten Neugier und dann ein kosendes Hoch aus vielen tausend
Kehlen. Der Sieg war entschieden und von Gegendemonstrationen keine Rede
mehr! Auch die Verbissensten mochten sühlen, daß jeder Versuch dazu eine
Lächerlichkeit gewesen wäre.

Wir haben nach dem Erscheinen ausführlicher Zeitungsberichte natürlich
nicht die Festlichkeiten zu schildern, die dem Könige zu Ehren stattfanden; nur
das können und müssen wir bezeugen, daß bei jeder neuen Ausfahrt des Königs
in die Stadt der Jubel sich mehrte, und daß, wohin wir auch hörten, der Eindruck
von der Persönlichkeit des Königs überall derselbe war. Für die gebildeten
Classen, deren Anschauungen auf Nachdenken beruhen, konnte dieser Eindruck
natürlich nicht maßgebend sein, auf die Massen hat die Königliche Erschei¬
nung des deutschen Schirmherrn entschieden gewinnend gewirkt.

Der nachhaltigste Umschwung ist in der Stimmung der welfischen Partei¬
führer eingetreten. Der siegesgewisse Uebermuth vor dem Besuche des Königs
ist einer kleinlauten Beschämung gewichen und grollend und staunend sahen
die Führereine große Anzahl ihrer früheren Getreuen das gelb-weiße Banner
verlassen. Man braucht nur die finstern Mienen der Chorführer zu sehen,
um dessen gewiß zu werden, daß ihre Sache aufs Neue an Terrain ver¬
loren hat.

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[0022] mung die Gemüther. Hannover war die erste Stadt, welche der König be¬ suchen wollte, und unleugbar hatte hier die welfische Partei ihren Hauptsitz. Dieselben Volksclassen, die zu hannoverscher Zeit die „jubelnden Volksmassen" gebildet hatten, die kleinen Handwerker, die Landleute, die Arbeiter, bildeten, jetzt die hannoversche Volkspartei, und diese war entschlossen, den Königlichen Besuch zu welfischen Demonstrationen zu benutzen. Die nationalen gehören durchweg dem gebildeten Bürgerstande an, von dem man nicht wissen konnte, wieweit er die ihm eigene Indolenz und die Abneigung gegen das Straßen¬ gedränge überwinden würde, um dem Könige einen festlichen Empfang zu bereiten. So schwankten die Ansichten über den Ausfall des Königlichen Besuchs hin und her und die verhältnißmäßig geringe Ausschmückung der Häuser schien eigentlich nichts Gutes anzukündigen. Als der Augenblick da war, drängten die Menschenmassen zum festlich geschmückten Bahnhofsplatz; es sollte sich zeigen, ob der Sieg den Hoch rufen¬ den nationalen oder dem Zischen der Welsengenossen bleiben wurde. Der Zug kam an; wildes Gerufe und ungeduldiges Drängen! Noch einige Minuten der Erwartung, während im Innern des Bahnhofes die ersten Vorstellungen stattfanden; dann trat der König aus der Halle, um in den Wagen zu steigen. Einen kurzen Augenblick tiefe Stille zur Befriedi¬ gung der ersten Neugier und dann ein kosendes Hoch aus vielen tausend Kehlen. Der Sieg war entschieden und von Gegendemonstrationen keine Rede mehr! Auch die Verbissensten mochten sühlen, daß jeder Versuch dazu eine Lächerlichkeit gewesen wäre. Wir haben nach dem Erscheinen ausführlicher Zeitungsberichte natürlich nicht die Festlichkeiten zu schildern, die dem Könige zu Ehren stattfanden; nur das können und müssen wir bezeugen, daß bei jeder neuen Ausfahrt des Königs in die Stadt der Jubel sich mehrte, und daß, wohin wir auch hörten, der Eindruck von der Persönlichkeit des Königs überall derselbe war. Für die gebildeten Classen, deren Anschauungen auf Nachdenken beruhen, konnte dieser Eindruck natürlich nicht maßgebend sein, auf die Massen hat die Königliche Erschei¬ nung des deutschen Schirmherrn entschieden gewinnend gewirkt. Der nachhaltigste Umschwung ist in der Stimmung der welfischen Partei¬ führer eingetreten. Der siegesgewisse Uebermuth vor dem Besuche des Königs ist einer kleinlauten Beschämung gewichen und grollend und staunend sahen die Führereine große Anzahl ihrer früheren Getreuen das gelb-weiße Banner verlassen. Man braucht nur die finstern Mienen der Chorführer zu sehen, um dessen gewiß zu werden, daß ihre Sache aufs Neue an Terrain ver¬ loren hat. Was in der Stadt Hannover begonnen wurde, ist in der Provinz fort-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/22>, abgerufen am 22.07.2024.