Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.Liebe meinen Willen; ich allein gehorche mit Einsicht. -- Ich liebe Deinen Die in den allgemeinsten Umrissen verworfene Analyse dieses bei allen Wenn in den poetischen Betrachtungen auch die Liebe eine Stelle ge¬ Grenzboten III. 18K9. 24
Liebe meinen Willen; ich allein gehorche mit Einsicht. — Ich liebe Deinen Die in den allgemeinsten Umrissen verworfene Analyse dieses bei allen Wenn in den poetischen Betrachtungen auch die Liebe eine Stelle ge¬ Grenzboten III. 18K9. 24
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0193" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/121414"/> <p xml:id="ID_575" prev="#ID_574"> Liebe meinen Willen; ich allein gehorche mit Einsicht. — Ich liebe Deinen<lb/> Willen, selbst wenn er mich straft. Preis Dir, Preis Dir! Schlag', vernichte<lb/> mich! Du wirst nur einen Ruf hören: Preis Dir auf ewig! So wende auch<lb/> Du Dich zum Himmel, Gott hat das Genie für die Wahrheit geschaffen.<lb/> Vielleicht wird auf Deinen Ruf ein Strahl der lebendigen Flamme in Deine<lb/> Seele dringen, und Du wirst um uns die Klarheit des Lichtes verbreiten,<lb/> die Dich dann umfluthen wird." Nach einer begeisterten Anerkennung des<lb/> Dichtergenies Byrons schließt er mit der wiederholten Aufforderung an den<lb/> Dichter, seine Stelle unter den auserwählten Kindern des Lichts einzunehmen,<lb/> die Gott geschaffen hat, um zu siegen, zu glauben und zu lieben.</p><lb/> <p xml:id="ID_576"> Die in den allgemeinsten Umrissen verworfene Analyse dieses bei allen<lb/> Mängeln großartigen Gedichtes vermag natürlich nicht einen Begriff von der<lb/> Gewalt der Darstellung zu geben, die der Dichter in demselben entwickelt.<lb/> Sie wird im Uebrigen aber die Eigenthümlichkeiten des Dichters ziemlich zur<lb/> Anschauung bringen. Es liegt in Lamartines Natur, daß er sich von dem<lb/> Bhronschen Genius zugleich angezogen und abgestoßen fühlte. Er bewun¬<lb/> dert in der dämonischen Gewalt seiner Natur eine Gabe, die er selbst nicht<lb/> besitzt. Die Zweifel, die Byrons Seele bis in ihre tiefste Tiefe erschüttert<lb/> haben, er kennt sie wohl; aber sie haben ihn doch nur leise und oberflächlich<lb/> berührt. Seine ächt romantische Natur, unfähig mit ihnen zu ringen, hat<lb/> mit ihnen wohl gelegentlich gespielt, aber sie nicht im Kampfe überwunden;<lb/> der Dichter untersagt sich, die „ziellosen Selbstgespräche der Vernunft"; er<lb/> hat sich aus dem Zweifel in den Glauben, aus der Auflehnung in die Er¬<lb/> gebung geflüchtet. Vor der Lebhaftigkeit des Empfindens tritt in dem<lb/> Dichter die Tiefe des Denkens entschieden zurück. Seine Empfindungen aber<lb/> beherrscht er, er lenkt sie nach seinem Herzensbedürfniß. Er schwelgt in den<lb/> Gefühlen, die sein leicht beweglicher, empfänglicher Geist in seiner Seele her¬<lb/> vorgerufen hat, und berauscht sich an den bezaubernden Tönen der Harfe,<lb/> die er selbst gestimmt hat. Und sie berauschen auch den Leser, so daß er<lb/> leicht die einzelnen Dissonanzen überhört, die durch die Harmonie hindurch¬<lb/> klingen. Dissonanzen, die sich in einer gewissen Unbestimmtheit und Unklar¬<lb/> heit kundgeben und ihre Quelle darin haben, daß der Dichter sich über Be¬<lb/> denken, die nur durch eine ernste Gedankenarbeit überwunden werden konn¬<lb/> ten, vermittelst glänzenden Aufschwungs seiner beweglichen, an Bildern und<lb/> Anschauungen reichen Phantasie hinweghebt.</p><lb/> <p xml:id="ID_577" next="#ID_578"> Wenn in den poetischen Betrachtungen auch die Liebe eine Stelle ge¬<lb/> funden. wenn durch die nachdenkliche, schwermuthsvolle Stimmung, in die<lb/> der Dichter sich mit Vorliebe hinein versenkt, weil sie die Grundlage seiner<lb/> productiven Thätigkeit bildet, zuweilen, besonders in dem zweiten Theile der</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III. 18K9. 24</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0193]
Liebe meinen Willen; ich allein gehorche mit Einsicht. — Ich liebe Deinen
Willen, selbst wenn er mich straft. Preis Dir, Preis Dir! Schlag', vernichte
mich! Du wirst nur einen Ruf hören: Preis Dir auf ewig! So wende auch
Du Dich zum Himmel, Gott hat das Genie für die Wahrheit geschaffen.
Vielleicht wird auf Deinen Ruf ein Strahl der lebendigen Flamme in Deine
Seele dringen, und Du wirst um uns die Klarheit des Lichtes verbreiten,
die Dich dann umfluthen wird." Nach einer begeisterten Anerkennung des
Dichtergenies Byrons schließt er mit der wiederholten Aufforderung an den
Dichter, seine Stelle unter den auserwählten Kindern des Lichts einzunehmen,
die Gott geschaffen hat, um zu siegen, zu glauben und zu lieben.
Die in den allgemeinsten Umrissen verworfene Analyse dieses bei allen
Mängeln großartigen Gedichtes vermag natürlich nicht einen Begriff von der
Gewalt der Darstellung zu geben, die der Dichter in demselben entwickelt.
Sie wird im Uebrigen aber die Eigenthümlichkeiten des Dichters ziemlich zur
Anschauung bringen. Es liegt in Lamartines Natur, daß er sich von dem
Bhronschen Genius zugleich angezogen und abgestoßen fühlte. Er bewun¬
dert in der dämonischen Gewalt seiner Natur eine Gabe, die er selbst nicht
besitzt. Die Zweifel, die Byrons Seele bis in ihre tiefste Tiefe erschüttert
haben, er kennt sie wohl; aber sie haben ihn doch nur leise und oberflächlich
berührt. Seine ächt romantische Natur, unfähig mit ihnen zu ringen, hat
mit ihnen wohl gelegentlich gespielt, aber sie nicht im Kampfe überwunden;
der Dichter untersagt sich, die „ziellosen Selbstgespräche der Vernunft"; er
hat sich aus dem Zweifel in den Glauben, aus der Auflehnung in die Er¬
gebung geflüchtet. Vor der Lebhaftigkeit des Empfindens tritt in dem
Dichter die Tiefe des Denkens entschieden zurück. Seine Empfindungen aber
beherrscht er, er lenkt sie nach seinem Herzensbedürfniß. Er schwelgt in den
Gefühlen, die sein leicht beweglicher, empfänglicher Geist in seiner Seele her¬
vorgerufen hat, und berauscht sich an den bezaubernden Tönen der Harfe,
die er selbst gestimmt hat. Und sie berauschen auch den Leser, so daß er
leicht die einzelnen Dissonanzen überhört, die durch die Harmonie hindurch¬
klingen. Dissonanzen, die sich in einer gewissen Unbestimmtheit und Unklar¬
heit kundgeben und ihre Quelle darin haben, daß der Dichter sich über Be¬
denken, die nur durch eine ernste Gedankenarbeit überwunden werden konn¬
ten, vermittelst glänzenden Aufschwungs seiner beweglichen, an Bildern und
Anschauungen reichen Phantasie hinweghebt.
Wenn in den poetischen Betrachtungen auch die Liebe eine Stelle ge¬
funden. wenn durch die nachdenkliche, schwermuthsvolle Stimmung, in die
der Dichter sich mit Vorliebe hinein versenkt, weil sie die Grundlage seiner
productiven Thätigkeit bildet, zuweilen, besonders in dem zweiten Theile der
Grenzboten III. 18K9. 24
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