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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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In der Schreckenszeit nebst der Mehrzahl seiner Verwandten in den Kerker
geführt, wurde auch Lamartine's Vater mit dem Schaffst bedroht und erst
durch Robespierres Sturz der Freiheit wiedergegeben. Auf dem im Beau-
jolois, nicht weit von Macon gelegenen Gute Milky verlebte der junge
Alphons die Jahre der Kindheit in freiem Verkehr mit den Kindern der
Landleute die Ziegen hudert, nach Gefallen auf den Bergen herumstreifend,
die Seele mit den erhabenen und lieblichen Eindrücken einer- an landschaft¬
lichen Schönheiten reichen Natur erfüllend. Die früh sich entwickelnde reli¬
giöse Stimmung seiner Seele verdankte er besonders der Einwirkung seiner
Mutter, einer hochgebildeten, von einfacher aber tiefer Frömmigkeit erfüllten
Frau, deren Leitung er sich unbedingt hingab und die in jeder Beziehung
auf seine Entwickelung den größten Einfluß geübt hat. Seine wissenschaft¬
liche Ausbildung erhielt er in dem damals in hohem Ansehen stehenden
Jesuiten-Pädagogium zu Belley in Savoyen, dem er auch in späteren Jahren,
als er keineswegs für einen Anhänger der geistlichen Erziehung gelten konnte,
eine dankbare Erinnerung bewahrte. Nach Vollendung seiner Schulstudien
brachte er wiederum einige Zeit auf dem väterlichen Gute zu, lernte später
das ungebundene hauptstädtische Modeleben der reichen Jugend in Paris
gründlich kennen, wurde denselben indessen noch rechtzeitig durch eine längere
Reise in Italien entrissen. Eine tragisch-romantische Episode dieser Reise hat
er später in der anmuthigen auch den "Cvnfidences" einverleibten Novelle
"Graziella" mit idealisirenden Pinsel geschildert. Nach des glühend gehaßten
Napoleon Sturz schloß er sich, der Familientradition getreu, mit Begeiste¬
rung den Bourbonen an, ohne an den reactionairen Tendenzen der Ultras
Gefallen zu finden, im Gegentheil von der Hoffnung erfüllt, die ja Anfangs
auch von den Führern der liberalen Partei getheilt wurde, daß die Bour¬
bonen ihren Beruf darin sehen würden, die Freiheit mit der Legitimität,
das Frankreich von 1789 mit dem alten Königthum zu versöhnen. Freilich
waren die Umrisse seines Freiheitsideals sehr unbestimmt und schwankend,
und man kann, ohne dem Dichter Unrecht zu thun, behaupten, daß er sich
an dem magischen Zauber des Wortes Freiheit berauschte, ohne mit dem¬
selben einen klaren politischen Begriff zu verbinden. Ueberhaupt war
Lamartine's politisches Interesse damals nur gering. Sein Ehrgeiz strebte
nur nach dem Lorbeer des Dichters. Seine Seele erfüllte sich ausschließlich
mit dichterischen Bildern und Idealen, und die realen Angelegenheiten des
politischen und socialen Lebens gewannen für ihn erst Interesse, wenn es ihm
gelang sie mit dem Glanz der Poesie zu umkleiden. Freiheit und König¬
thum, Religion und Liebe -- Alles erschien ihm im Gewände der Poesie
oder wurde, sobald es ihm nahe getreten war, von seiner rastlosen Thätig-


In der Schreckenszeit nebst der Mehrzahl seiner Verwandten in den Kerker
geführt, wurde auch Lamartine's Vater mit dem Schaffst bedroht und erst
durch Robespierres Sturz der Freiheit wiedergegeben. Auf dem im Beau-
jolois, nicht weit von Macon gelegenen Gute Milky verlebte der junge
Alphons die Jahre der Kindheit in freiem Verkehr mit den Kindern der
Landleute die Ziegen hudert, nach Gefallen auf den Bergen herumstreifend,
die Seele mit den erhabenen und lieblichen Eindrücken einer- an landschaft¬
lichen Schönheiten reichen Natur erfüllend. Die früh sich entwickelnde reli¬
giöse Stimmung seiner Seele verdankte er besonders der Einwirkung seiner
Mutter, einer hochgebildeten, von einfacher aber tiefer Frömmigkeit erfüllten
Frau, deren Leitung er sich unbedingt hingab und die in jeder Beziehung
auf seine Entwickelung den größten Einfluß geübt hat. Seine wissenschaft¬
liche Ausbildung erhielt er in dem damals in hohem Ansehen stehenden
Jesuiten-Pädagogium zu Belley in Savoyen, dem er auch in späteren Jahren,
als er keineswegs für einen Anhänger der geistlichen Erziehung gelten konnte,
eine dankbare Erinnerung bewahrte. Nach Vollendung seiner Schulstudien
brachte er wiederum einige Zeit auf dem väterlichen Gute zu, lernte später
das ungebundene hauptstädtische Modeleben der reichen Jugend in Paris
gründlich kennen, wurde denselben indessen noch rechtzeitig durch eine längere
Reise in Italien entrissen. Eine tragisch-romantische Episode dieser Reise hat
er später in der anmuthigen auch den „Cvnfidences" einverleibten Novelle
„Graziella" mit idealisirenden Pinsel geschildert. Nach des glühend gehaßten
Napoleon Sturz schloß er sich, der Familientradition getreu, mit Begeiste¬
rung den Bourbonen an, ohne an den reactionairen Tendenzen der Ultras
Gefallen zu finden, im Gegentheil von der Hoffnung erfüllt, die ja Anfangs
auch von den Führern der liberalen Partei getheilt wurde, daß die Bour¬
bonen ihren Beruf darin sehen würden, die Freiheit mit der Legitimität,
das Frankreich von 1789 mit dem alten Königthum zu versöhnen. Freilich
waren die Umrisse seines Freiheitsideals sehr unbestimmt und schwankend,
und man kann, ohne dem Dichter Unrecht zu thun, behaupten, daß er sich
an dem magischen Zauber des Wortes Freiheit berauschte, ohne mit dem¬
selben einen klaren politischen Begriff zu verbinden. Ueberhaupt war
Lamartine's politisches Interesse damals nur gering. Sein Ehrgeiz strebte
nur nach dem Lorbeer des Dichters. Seine Seele erfüllte sich ausschließlich
mit dichterischen Bildern und Idealen, und die realen Angelegenheiten des
politischen und socialen Lebens gewannen für ihn erst Interesse, wenn es ihm
gelang sie mit dem Glanz der Poesie zu umkleiden. Freiheit und König¬
thum, Religion und Liebe — Alles erschien ihm im Gewände der Poesie
oder wurde, sobald es ihm nahe getreten war, von seiner rastlosen Thätig-


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[0188] In der Schreckenszeit nebst der Mehrzahl seiner Verwandten in den Kerker geführt, wurde auch Lamartine's Vater mit dem Schaffst bedroht und erst durch Robespierres Sturz der Freiheit wiedergegeben. Auf dem im Beau- jolois, nicht weit von Macon gelegenen Gute Milky verlebte der junge Alphons die Jahre der Kindheit in freiem Verkehr mit den Kindern der Landleute die Ziegen hudert, nach Gefallen auf den Bergen herumstreifend, die Seele mit den erhabenen und lieblichen Eindrücken einer- an landschaft¬ lichen Schönheiten reichen Natur erfüllend. Die früh sich entwickelnde reli¬ giöse Stimmung seiner Seele verdankte er besonders der Einwirkung seiner Mutter, einer hochgebildeten, von einfacher aber tiefer Frömmigkeit erfüllten Frau, deren Leitung er sich unbedingt hingab und die in jeder Beziehung auf seine Entwickelung den größten Einfluß geübt hat. Seine wissenschaft¬ liche Ausbildung erhielt er in dem damals in hohem Ansehen stehenden Jesuiten-Pädagogium zu Belley in Savoyen, dem er auch in späteren Jahren, als er keineswegs für einen Anhänger der geistlichen Erziehung gelten konnte, eine dankbare Erinnerung bewahrte. Nach Vollendung seiner Schulstudien brachte er wiederum einige Zeit auf dem väterlichen Gute zu, lernte später das ungebundene hauptstädtische Modeleben der reichen Jugend in Paris gründlich kennen, wurde denselben indessen noch rechtzeitig durch eine längere Reise in Italien entrissen. Eine tragisch-romantische Episode dieser Reise hat er später in der anmuthigen auch den „Cvnfidences" einverleibten Novelle „Graziella" mit idealisirenden Pinsel geschildert. Nach des glühend gehaßten Napoleon Sturz schloß er sich, der Familientradition getreu, mit Begeiste¬ rung den Bourbonen an, ohne an den reactionairen Tendenzen der Ultras Gefallen zu finden, im Gegentheil von der Hoffnung erfüllt, die ja Anfangs auch von den Führern der liberalen Partei getheilt wurde, daß die Bour¬ bonen ihren Beruf darin sehen würden, die Freiheit mit der Legitimität, das Frankreich von 1789 mit dem alten Königthum zu versöhnen. Freilich waren die Umrisse seines Freiheitsideals sehr unbestimmt und schwankend, und man kann, ohne dem Dichter Unrecht zu thun, behaupten, daß er sich an dem magischen Zauber des Wortes Freiheit berauschte, ohne mit dem¬ selben einen klaren politischen Begriff zu verbinden. Ueberhaupt war Lamartine's politisches Interesse damals nur gering. Sein Ehrgeiz strebte nur nach dem Lorbeer des Dichters. Seine Seele erfüllte sich ausschließlich mit dichterischen Bildern und Idealen, und die realen Angelegenheiten des politischen und socialen Lebens gewannen für ihn erst Interesse, wenn es ihm gelang sie mit dem Glanz der Poesie zu umkleiden. Freiheit und König¬ thum, Religion und Liebe — Alles erschien ihm im Gewände der Poesie oder wurde, sobald es ihm nahe getreten war, von seiner rastlosen Thätig-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/188>, abgerufen am 05.02.2025.