Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.zwischen diesem und der Regierung von Constantinopel größere Proportionen Während die Lage der orientalischen Dinge in früherer Zeit regelmäßig Grenzboten III. 18K9. 21
zwischen diesem und der Regierung von Constantinopel größere Proportionen Während die Lage der orientalischen Dinge in früherer Zeit regelmäßig Grenzboten III. 18K9. 21
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zwischen diesem und der Regierung von Constantinopel größere Proportionen
gewinnen und die Sicherheit der Pforte stören.
Während die Lage der orientalischen Dinge in früherer Zeit regelmäßig
den Gegenstand von ausführlichen Debatten im englischen Parlament bildete,
ist sie dieses Mal unerörtert geblieben. Dafür hat der brittische Premier sich
ausführlicher als bisher über Englands Stellung zur Ausbreitung der russi¬
schen Macht in Mittelasien ausgesprochen und durch seine Aeußerung, daß
an einen Conflict zwischen den beiden großen Staaten zunächst und wahr¬
scheinlich noch für viele Jahre nicht zu denken sei, einen Theil der Besorg¬
nisse widerlegt, welche bisher an dieselbe geknüpft wurden. In Rußland, wo
man den Beziehungen Lord Mayos zu Afghanistan mit Mißtrauen zugesehen
und von dem neuen Generalgouvemeur Ostindiens eine entschieden anti¬
russische Politik erwartet hatte, haben die von Gladstone gesprochenen Worte
um so angenehmer berührt, als sie ziemli'es unerwartet kamen; freilich hat
eines der Organe der Moskaner Presse die hämische Bemerkung nicht unter¬
drücken können, daß Englands friedliche Sprache gegen Rußland wahrschein¬
lich mit der Alabama-Angelegenheit in engem Zusammenhange stehe. Zur
Zeit will man übrigens von auswärtigen Verwickelungen in Rußland noch
weniger hören, als in England. Die nationale Partei fürchtet durch einen
Krieg ihren Einfluß beschränkt und die Regierung von den „nationalen"
Zielen abgelenkt zu sehen, auf-deren Erreichung mit aller Macht hingearbeitet
wird. Dieses Ziel ist nach wie vor die Ausrottung aller westeuropäischen
Einflüsse in den Grenzprovinzen, den polnischen wie den deutschen, und nimmt
alle disponiblen politischen Kräfte reichlich in Anspruch. Der Kampf gegen
die katholische Kirche in Polen und Litthauen wird immer schwieriger und
gefährlicher, denn nachgerade haben alle Würdenträger dieser Kirche dem
Petersburger katholischen Consistorium den Dienst aufgesagt; dieses Consistorium
hat seinerseits wiederum gegen die von Moskau her andrängende nationale
Partei einen schwierigen Stand, denn diese kann ihm nicht vergessen, daß es
der projectirten Einführung der russischen Sprache in die katholischen Gottes¬
dienste Litthauens Schwierigkeiten in den Weg gelegt und dieselbe wider¬
rathen hat. So lange diese Maaßregel aber nicht durchgeführt ist, fehlt der
Russification der Schule in Litthauen jeder feste Boden und wollen die neuen
Schulordnungen Nichts sagen; das eigentliche Volk sieht die Schule nur als ein
Filial der Kirche an und die von dieser gesprochene Sprache ist ihm die maa߬
gebende. Selbst die Verwandlung der Warschauer Hochschule in eine russi¬
sche Universität bietet nach russischer Anschauung keine Garantie gegen den
Polonismus. Man hat einem Theil der Professoren gestatten müssen, vor¬
läufig, d. h. bis zur Erlernung der russischen Sprache, — polnisch zu lesen, und
bei dem Mangel russischer Lehrkräfte liegt der Gedanke nah. daß diese
Grenzboten III. 18K9. 21
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