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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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erwartet, sondern dann, daß es kein Programm gibt, welches das öffentliche
Vertrauen hat, keinen Mann, dem man die Fähigkeit zur Durchführung eines
solchen zutraut. Vielleicht noch niemals ist eine liberale Oppositionspartei
von der Masse des französischen Volks so kühl und ablehnend behandelt worden,
wie die gegenwärtige Linke und der sinkende Credit des alten Regimes hat
mit den Fortschritten der Opposition nur sehr wenig zu thun gehabt. Die
Ereignisse der letzten Tage haben nicht wenig dazu beigetragen die ganze
Lahmheit, Zerfahrenheit und Ueberzeugungslosigkeit dieser Partei bloszu¬
legen, welche eigentlich nur von den Mißgriffen der Rouher und Haus¬
mann, nicht von ihrem eigenen Programm gelebt hat, Picard hat sich von
der Majorität seiner Genossen getrennt, die beabsichtigte Parteikundgebung
hat unterbleiben müssen und der innere Bruch zwischen der Linken und der
äußersten Linken ist nur mühsam verkleistert worden. Daß das nicht dazu
beitragen kann, die dem Kaiser imputirten parlamentarischen Absichten zu
stärken, werden selbst die Optimisten einräumen müssen, welche bereits von heil¬
samen Einflüssen der neusten französischen Krisis aus die übrigen europäischen
Staaten und namentlich auf Deutschland träumten.

Ziemlich gleichzeitig mit der kaiserlichen Botschaft an den gesetzgebenden
Körper wurde der Rechenschaftsbericht der belgisch-französischen Eisenbahn¬
commission veröffentlicht. Außer der Erlaubniß zur Errichtung von Transit¬
zügen (Basel-Antwerpen und Basel-Rotterdam-Amsterdam) hat die fran¬
zösische Ostbahncompagnie keine wesentlichen Errungenschaften zu registri-
ren gehabt, und diese Angelegenheit, die wochenlang von sich reden machte,
ist vor der Hand von der Tagesordnung abgesetzt. Dafür, daß sie zu ge¬
legener Zeit wieder hervorgeholt werden kann, haben die gleichzeitig ver¬
öffentlichten Entwürfe für künftig abzuschließende Verträge mit der belgischen
Staatsbahn und der Compagnie Lüttich-Limburg gesorgt und trotz ihrer
Beschäftigung mit den brennenden Tagesfragen der Heimath hat die Pariser
Presse Zeit gehabt, die Holländer bei Veröffentlichung dieser Actenstücke vor
den Plänen preußisch-deutschen Ehrgeizes zu warnen und zum Anschluß an
die Politik der großen Nation einzuladen. -- Ein bleibendes Interesse ist der
geschlossenen Phase der belgisch-französischen Eisenbahnverhandlungen übrigens
schon gegenwärtig gesichert. In Berlin und London wird man der freund¬
lichen Theilnahme eingedenk bleiben, die Graf Beust den Brüsseler Staats¬
männern bewiesen hat, als Frere-Orbans Verhalten im belgischen Parlament
den wilden Sturm französischer Drohungen hinaufbeschwor. Dieses kleine
Capitel aus der Geschichte der k. k. auswärtigen Politik ist lehrreicher, als
es die Lektüre ganzer Bände von Wiener Rothbüchern sein kann, es gibt
den besten Commentar zu jenen Versicherungen unerschütterlicher Friedens¬
liebe ab, welche auch in diesem Monat ihre Runde durch die Zeitungen mach-


erwartet, sondern dann, daß es kein Programm gibt, welches das öffentliche
Vertrauen hat, keinen Mann, dem man die Fähigkeit zur Durchführung eines
solchen zutraut. Vielleicht noch niemals ist eine liberale Oppositionspartei
von der Masse des französischen Volks so kühl und ablehnend behandelt worden,
wie die gegenwärtige Linke und der sinkende Credit des alten Regimes hat
mit den Fortschritten der Opposition nur sehr wenig zu thun gehabt. Die
Ereignisse der letzten Tage haben nicht wenig dazu beigetragen die ganze
Lahmheit, Zerfahrenheit und Ueberzeugungslosigkeit dieser Partei bloszu¬
legen, welche eigentlich nur von den Mißgriffen der Rouher und Haus¬
mann, nicht von ihrem eigenen Programm gelebt hat, Picard hat sich von
der Majorität seiner Genossen getrennt, die beabsichtigte Parteikundgebung
hat unterbleiben müssen und der innere Bruch zwischen der Linken und der
äußersten Linken ist nur mühsam verkleistert worden. Daß das nicht dazu
beitragen kann, die dem Kaiser imputirten parlamentarischen Absichten zu
stärken, werden selbst die Optimisten einräumen müssen, welche bereits von heil¬
samen Einflüssen der neusten französischen Krisis aus die übrigen europäischen
Staaten und namentlich auf Deutschland träumten.

Ziemlich gleichzeitig mit der kaiserlichen Botschaft an den gesetzgebenden
Körper wurde der Rechenschaftsbericht der belgisch-französischen Eisenbahn¬
commission veröffentlicht. Außer der Erlaubniß zur Errichtung von Transit¬
zügen (Basel-Antwerpen und Basel-Rotterdam-Amsterdam) hat die fran¬
zösische Ostbahncompagnie keine wesentlichen Errungenschaften zu registri-
ren gehabt, und diese Angelegenheit, die wochenlang von sich reden machte,
ist vor der Hand von der Tagesordnung abgesetzt. Dafür, daß sie zu ge¬
legener Zeit wieder hervorgeholt werden kann, haben die gleichzeitig ver¬
öffentlichten Entwürfe für künftig abzuschließende Verträge mit der belgischen
Staatsbahn und der Compagnie Lüttich-Limburg gesorgt und trotz ihrer
Beschäftigung mit den brennenden Tagesfragen der Heimath hat die Pariser
Presse Zeit gehabt, die Holländer bei Veröffentlichung dieser Actenstücke vor
den Plänen preußisch-deutschen Ehrgeizes zu warnen und zum Anschluß an
die Politik der großen Nation einzuladen. — Ein bleibendes Interesse ist der
geschlossenen Phase der belgisch-französischen Eisenbahnverhandlungen übrigens
schon gegenwärtig gesichert. In Berlin und London wird man der freund¬
lichen Theilnahme eingedenk bleiben, die Graf Beust den Brüsseler Staats¬
männern bewiesen hat, als Frere-Orbans Verhalten im belgischen Parlament
den wilden Sturm französischer Drohungen hinaufbeschwor. Dieses kleine
Capitel aus der Geschichte der k. k. auswärtigen Politik ist lehrreicher, als
es die Lektüre ganzer Bände von Wiener Rothbüchern sein kann, es gibt
den besten Commentar zu jenen Versicherungen unerschütterlicher Friedens¬
liebe ab, welche auch in diesem Monat ihre Runde durch die Zeitungen mach-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/173>, abgerufen am 02.10.2024.