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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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der Staatshoheit. Seine Vorzüge, wenn es sich darum handelt, einen sichern
und schnellen Wechsel der Regierung zu vollziehen, sind unbestreitbar in einem
großen Lande; in einem kleinen Gemeinwesen sind sie entbehrlich. Die Präro¬
gative des Fürsten, vermöge deren er das Ministerium ernennt und die
Kammer auflöst, sind gegenwärtig selbst in England eine reine Fiction: in
der That und Wahrheit wird das Ministerium im Gegentheil stets durch
die Kammermehrheit gewählt. Bei einem Conflicte mit dieser zieht sich jenes
entweder zurück oder es appellirr an das Land durch Auflösung der Kammer,
wodurch die Souverainetät des Volkes anerkannt wird, welche hier auf
wirksame Weise ausgeübt werden kann. Die Dazwischenkunft des Fürsten
ist fast immer eine bloße Form. Unter allen Umständen wird dieser seine
Minister anhören und nie ihnen seinen Willen aufdrängen. Ueberall ist hier
der Fürst ein Zwischenglied, dem keine endgiltige Entscheidung zusteht. Falls
derselbe z. B. versuchte, seinen persönlichen Willen durchzusetzen, so würde
ihm das Parlament damit antworten, daß er das neue Ministerium zur
Demission zwänge; ernsthafte Staatsmänner setzen sich aber nicht der Gefahr
aus, sofort wieder beseitigt zu werden. Somit ist es die Kammer, welche
das Ministerium wählt und dadurch die Politik des Landes bestimmt.

Ein solches System hat nun offenbar nichts Unvereinbares mit der Re¬
publik, besonders in kleinern Staaten; ja der Fürst kann hier selbst aufs
vortheilhafteste durch unmittelbare Berufung ans Volk ersetzt werden. Die
Vortheile dieses Systems aber sind eine volksthümliche und zugleich starke
Regierung, vollständige Verantwortlichkeit des gesetzgebenden wie der voll¬
ziehenden Behörde gegenüber dem Volke: beide können zu jeder Zeit auf
gegenseitige Veranlassung durch Volksentscheid entfernt werden; daher regel¬
mäßige Beziehungen der Abgeordneten zum Volke und der Regierung zur
öffentlichen Meinung; große Comvetenzen der Regierung, die ihr ohne Ge¬
fahr übertragen werden dürften, weil sie bei deren Mißbrauch sofort gestürzt
werden könnte. Endlich zieht dies System Staatsmänner heran und ver¬
leiht den Kammerdebatten ein lebendiges, das Volk durchdringendes
Interesse.

Die von Dubs vorgeschlagene directe Wahl der Regierung durch das
Volk würde das Gleichgewicht der Gewalten stören; sie käme der Ernennung
des Ministeriums durch den König und des ersteren Verantwortlichkeit nur
gegen diesen gleich. Wohin dies führt, sah man in Preußen, Genf, in den
Vereinigten Staaten. So fortgeschritten übrigens ein Volk auch sein mag,
es wird sich nie in der günstigen Lage befinden, die Männer zu kennen,
welche die zum Regieren nothwendigen Eigenschaften besitzen und noch
weniger die, welche zusammen in die Regierung passen. Die An¬
stellung dieser letzteren müßte vielmehr in der Weise geschehen, wie


der Staatshoheit. Seine Vorzüge, wenn es sich darum handelt, einen sichern
und schnellen Wechsel der Regierung zu vollziehen, sind unbestreitbar in einem
großen Lande; in einem kleinen Gemeinwesen sind sie entbehrlich. Die Präro¬
gative des Fürsten, vermöge deren er das Ministerium ernennt und die
Kammer auflöst, sind gegenwärtig selbst in England eine reine Fiction: in
der That und Wahrheit wird das Ministerium im Gegentheil stets durch
die Kammermehrheit gewählt. Bei einem Conflicte mit dieser zieht sich jenes
entweder zurück oder es appellirr an das Land durch Auflösung der Kammer,
wodurch die Souverainetät des Volkes anerkannt wird, welche hier auf
wirksame Weise ausgeübt werden kann. Die Dazwischenkunft des Fürsten
ist fast immer eine bloße Form. Unter allen Umständen wird dieser seine
Minister anhören und nie ihnen seinen Willen aufdrängen. Ueberall ist hier
der Fürst ein Zwischenglied, dem keine endgiltige Entscheidung zusteht. Falls
derselbe z. B. versuchte, seinen persönlichen Willen durchzusetzen, so würde
ihm das Parlament damit antworten, daß er das neue Ministerium zur
Demission zwänge; ernsthafte Staatsmänner setzen sich aber nicht der Gefahr
aus, sofort wieder beseitigt zu werden. Somit ist es die Kammer, welche
das Ministerium wählt und dadurch die Politik des Landes bestimmt.

Ein solches System hat nun offenbar nichts Unvereinbares mit der Re¬
publik, besonders in kleinern Staaten; ja der Fürst kann hier selbst aufs
vortheilhafteste durch unmittelbare Berufung ans Volk ersetzt werden. Die
Vortheile dieses Systems aber sind eine volksthümliche und zugleich starke
Regierung, vollständige Verantwortlichkeit des gesetzgebenden wie der voll¬
ziehenden Behörde gegenüber dem Volke: beide können zu jeder Zeit auf
gegenseitige Veranlassung durch Volksentscheid entfernt werden; daher regel¬
mäßige Beziehungen der Abgeordneten zum Volke und der Regierung zur
öffentlichen Meinung; große Comvetenzen der Regierung, die ihr ohne Ge¬
fahr übertragen werden dürften, weil sie bei deren Mißbrauch sofort gestürzt
werden könnte. Endlich zieht dies System Staatsmänner heran und ver¬
leiht den Kammerdebatten ein lebendiges, das Volk durchdringendes
Interesse.

Die von Dubs vorgeschlagene directe Wahl der Regierung durch das
Volk würde das Gleichgewicht der Gewalten stören; sie käme der Ernennung
des Ministeriums durch den König und des ersteren Verantwortlichkeit nur
gegen diesen gleich. Wohin dies führt, sah man in Preußen, Genf, in den
Vereinigten Staaten. So fortgeschritten übrigens ein Volk auch sein mag,
es wird sich nie in der günstigen Lage befinden, die Männer zu kennen,
welche die zum Regieren nothwendigen Eigenschaften besitzen und noch
weniger die, welche zusammen in die Regierung passen. Die An¬
stellung dieser letzteren müßte vielmehr in der Weise geschehen, wie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/142>, abgerufen am 24.08.2024.