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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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ganz einseitig aufgefaßten Coloritprincipes ließen sich noch zahlreich an¬
führen.

Wie wenig unter solchen Umständen die Composition befriedigen kann,
ist leicht begreiflich. Für die Gliederung des Gemäldes in drei Tafeln liegt
kein hinreichender Grund vor. Weder wird in den Seitentafeln das Motiv
des Mittelbildes vorbereitet oder zum Ausklingen gebracht, wie es etwa auf
alten Flügelaltären vorkommt, noch wird in den drei Tafeln eine fortlaufende
Entwickelung des dargestellten Gegenstandes gegeben. Wir haben es weder
mit einer eigentlichen Reihencompofition noch mit einer symmetrisch ausgebau¬
ten zu thun. Truge nicht alle Wahrscheinlichkeit, so wollte Makart ursprünglich
ein recht üppiges und tolles Bacchanal schaffen, er erschrak aber später über
die kecke Nacktheit der Schilderung und hängte ihr ein moralisches Mäntelchen
um. Aus dem Bacchanale wurde eine Darstellung der sieben Todsünden.
Nun schieben sich aber und drängen sich die beiden Grundvorstellungen durch
einander, ohne daß die eine oder die andere zu ihrem vollen Rechte gelangt,
wie dieses schon der wechselnde Titel andeutet, unter welchem Makart's
Werk ausgestellt wird. Bald wird es "die Pest in Florenz", als ob die be¬
rühmte Erzählung Boccaccio's ihm den Gegenstand geliefert hätte, bald "die
sieben Todsünden" bezeichnet. Der Künstler kommt immer wieder auf das
Bacchanal zurück, für dessen Schilderung auch sein Farbensystem am besten
paßt, zerreißt aber stets die Stimmung durch willkürlich eingestreute Figuren
und Gruppen, welche wieder für sich nicht bedeutend genug sind, um einen
selbständigen Eindruck hervorzurufen. Wollte er die Pest von Florenz malen,
so reichte eine Tafel vollkommen aus; dann erst hätte die Schilderung der
Orgie den vollkommenen Abschluß gefunden, die rechte Steigerung erfahren;
wollte er uns die Todsünden warnend vor die Augen führen, so bedürfte es
einer viel schärferen Gliederung, einer gleichmäßigeren Darstellung der ein¬
zelnen Sünden, als wir im Makart'schen Bilde wahrnehmen. Die Neidischen,
die Spieler, die zornigen Raufbolde treten hier als bloße Anhängsel der
Voller und Wüstlinge aus. Der Mangel an Feinheit in der Composition
wird folgerichtig in Formengebung und Technik fortgesetzt. Wir begegnen
Figuren aus allen Jahrhunderten. Zu einzelnen Köpfen hat die neuere
französische Schule beigesteuert, andere sind der Rvcocokunst entsprungen, noch
andere beruhen auf Studien der Künstler des siebzehnten Jahrhunderts, welche
Makart angestellt hat. Vollends in der Technik führt uns der Künstler
die ganze Scala vom flüchtigsten Entwürfe bis zur saubersten Ausführung
unvermittelt, mit unglaublicher Sorglosigkeit nebeneinander gestellt vor. Hier
der eine Frauenkopf, dort das rothe Gewand, einzelne Prachtgefäße und
Blumen sind mit einem feinen Sinn für Naturwahrheit colorire, dicht nebenan


Grenzboten III. 18V9, 15

ganz einseitig aufgefaßten Coloritprincipes ließen sich noch zahlreich an¬
führen.

Wie wenig unter solchen Umständen die Composition befriedigen kann,
ist leicht begreiflich. Für die Gliederung des Gemäldes in drei Tafeln liegt
kein hinreichender Grund vor. Weder wird in den Seitentafeln das Motiv
des Mittelbildes vorbereitet oder zum Ausklingen gebracht, wie es etwa auf
alten Flügelaltären vorkommt, noch wird in den drei Tafeln eine fortlaufende
Entwickelung des dargestellten Gegenstandes gegeben. Wir haben es weder
mit einer eigentlichen Reihencompofition noch mit einer symmetrisch ausgebau¬
ten zu thun. Truge nicht alle Wahrscheinlichkeit, so wollte Makart ursprünglich
ein recht üppiges und tolles Bacchanal schaffen, er erschrak aber später über
die kecke Nacktheit der Schilderung und hängte ihr ein moralisches Mäntelchen
um. Aus dem Bacchanale wurde eine Darstellung der sieben Todsünden.
Nun schieben sich aber und drängen sich die beiden Grundvorstellungen durch
einander, ohne daß die eine oder die andere zu ihrem vollen Rechte gelangt,
wie dieses schon der wechselnde Titel andeutet, unter welchem Makart's
Werk ausgestellt wird. Bald wird es „die Pest in Florenz", als ob die be¬
rühmte Erzählung Boccaccio's ihm den Gegenstand geliefert hätte, bald „die
sieben Todsünden" bezeichnet. Der Künstler kommt immer wieder auf das
Bacchanal zurück, für dessen Schilderung auch sein Farbensystem am besten
paßt, zerreißt aber stets die Stimmung durch willkürlich eingestreute Figuren
und Gruppen, welche wieder für sich nicht bedeutend genug sind, um einen
selbständigen Eindruck hervorzurufen. Wollte er die Pest von Florenz malen,
so reichte eine Tafel vollkommen aus; dann erst hätte die Schilderung der
Orgie den vollkommenen Abschluß gefunden, die rechte Steigerung erfahren;
wollte er uns die Todsünden warnend vor die Augen führen, so bedürfte es
einer viel schärferen Gliederung, einer gleichmäßigeren Darstellung der ein¬
zelnen Sünden, als wir im Makart'schen Bilde wahrnehmen. Die Neidischen,
die Spieler, die zornigen Raufbolde treten hier als bloße Anhängsel der
Voller und Wüstlinge aus. Der Mangel an Feinheit in der Composition
wird folgerichtig in Formengebung und Technik fortgesetzt. Wir begegnen
Figuren aus allen Jahrhunderten. Zu einzelnen Köpfen hat die neuere
französische Schule beigesteuert, andere sind der Rvcocokunst entsprungen, noch
andere beruhen auf Studien der Künstler des siebzehnten Jahrhunderts, welche
Makart angestellt hat. Vollends in der Technik führt uns der Künstler
die ganze Scala vom flüchtigsten Entwürfe bis zur saubersten Ausführung
unvermittelt, mit unglaublicher Sorglosigkeit nebeneinander gestellt vor. Hier
der eine Frauenkopf, dort das rothe Gewand, einzelne Prachtgefäße und
Blumen sind mit einem feinen Sinn für Naturwahrheit colorire, dicht nebenan


Grenzboten III. 18V9, 15
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[0121] ganz einseitig aufgefaßten Coloritprincipes ließen sich noch zahlreich an¬ führen. Wie wenig unter solchen Umständen die Composition befriedigen kann, ist leicht begreiflich. Für die Gliederung des Gemäldes in drei Tafeln liegt kein hinreichender Grund vor. Weder wird in den Seitentafeln das Motiv des Mittelbildes vorbereitet oder zum Ausklingen gebracht, wie es etwa auf alten Flügelaltären vorkommt, noch wird in den drei Tafeln eine fortlaufende Entwickelung des dargestellten Gegenstandes gegeben. Wir haben es weder mit einer eigentlichen Reihencompofition noch mit einer symmetrisch ausgebau¬ ten zu thun. Truge nicht alle Wahrscheinlichkeit, so wollte Makart ursprünglich ein recht üppiges und tolles Bacchanal schaffen, er erschrak aber später über die kecke Nacktheit der Schilderung und hängte ihr ein moralisches Mäntelchen um. Aus dem Bacchanale wurde eine Darstellung der sieben Todsünden. Nun schieben sich aber und drängen sich die beiden Grundvorstellungen durch einander, ohne daß die eine oder die andere zu ihrem vollen Rechte gelangt, wie dieses schon der wechselnde Titel andeutet, unter welchem Makart's Werk ausgestellt wird. Bald wird es „die Pest in Florenz", als ob die be¬ rühmte Erzählung Boccaccio's ihm den Gegenstand geliefert hätte, bald „die sieben Todsünden" bezeichnet. Der Künstler kommt immer wieder auf das Bacchanal zurück, für dessen Schilderung auch sein Farbensystem am besten paßt, zerreißt aber stets die Stimmung durch willkürlich eingestreute Figuren und Gruppen, welche wieder für sich nicht bedeutend genug sind, um einen selbständigen Eindruck hervorzurufen. Wollte er die Pest von Florenz malen, so reichte eine Tafel vollkommen aus; dann erst hätte die Schilderung der Orgie den vollkommenen Abschluß gefunden, die rechte Steigerung erfahren; wollte er uns die Todsünden warnend vor die Augen führen, so bedürfte es einer viel schärferen Gliederung, einer gleichmäßigeren Darstellung der ein¬ zelnen Sünden, als wir im Makart'schen Bilde wahrnehmen. Die Neidischen, die Spieler, die zornigen Raufbolde treten hier als bloße Anhängsel der Voller und Wüstlinge aus. Der Mangel an Feinheit in der Composition wird folgerichtig in Formengebung und Technik fortgesetzt. Wir begegnen Figuren aus allen Jahrhunderten. Zu einzelnen Köpfen hat die neuere französische Schule beigesteuert, andere sind der Rvcocokunst entsprungen, noch andere beruhen auf Studien der Künstler des siebzehnten Jahrhunderts, welche Makart angestellt hat. Vollends in der Technik führt uns der Künstler die ganze Scala vom flüchtigsten Entwürfe bis zur saubersten Ausführung unvermittelt, mit unglaublicher Sorglosigkeit nebeneinander gestellt vor. Hier der eine Frauenkopf, dort das rothe Gewand, einzelne Prachtgefäße und Blumen sind mit einem feinen Sinn für Naturwahrheit colorire, dicht nebenan Grenzboten III. 18V9, 15

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/121>, abgerufen am 24.08.2024.