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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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Die beiden Kirsanow und die jungen Helden sitzen bei der Abendmahl¬
zeit und disputirten über die Nützlichkeit aristokratischer Institutionen für
Rußland, die Basarow natürlich bestreitet.

"Wessen bedarf denn der Russe ihrer Meinung nach?" fragte Paul Kir¬
sanow nach einer Pause. "Wenn man Sie sprechen hört, so sollte man
glauben, wir befänden uns außerhalb der ganzen Menschheit. Die Logik der
Geschichte fordert es ja"----

"Wozu soll uns die Logik! wir werden auch ohne dieselbe auskommen."

"Wie?"

"Sie haben doch, hoffe ich, keine Logik nöthig, um ein Stück Brod in
den Mund zu bringen, wenn sie hungrig sind; was sollen uns diese Ab-
stractionen!"

"Nun dann begreife ich Sie nicht! Nach welchen Beweggründen handeln
Sie Nihilisten denn?"

"Wir thun das, was wir für nützlich finden", antwortete Basarow.
"in jetziger Zeit ists am nützlichsten zu negiren und wir regeren."

"Alles?"

"Alles."

"Wie? Nicht allein die Kunst, sondern auch.... schrecklich zu sagen!"

"Alles", wiederholte Basarow mit vollkommener Ruhe.

"Aber erlauben Sie, mein Herr", begann Nicolai Petrowitsch, "Sie ver¬
neinen Alles, oder richtiger Sie zerstören Alles, man muß aber doch auch
bauen?"

"Das ist nicht unsere Sache, vor allen Dingen muß der Boden geebnet
werden."

"Der gegenwärtige Zustand des Volkes fordert solches", fügte Arkadius
hinzu, "wir müssen diesen Forderungen nachkommen, und nicht unserem per¬
sönlichen Egoismus fröhnen."

Offenbar gefiel diese letzte Phrase Basarow nicht, sie klang ihm philo¬
sophisch, romantisch; er fand es aber nicht nöthig, seinen Schüler zurechtzu¬
weisen.

"Nein, nein", rief Paul Petrowitsch leidenschaftlich aus, "ich will es
nicht glauben, meine Herren, daß Sie das russische Volk kennen, daß Sie die
Repräsentanten seiner Bestrebungen und Bedürfnisse sind! Nein, das russische
Volk hält die Ueberlieferungen heilig, es ist ein Patriarchalisches Volk und
kann ohne Glauben nicht leben" ....

"Dagegen will ich nicht streiten", unterbrach ihn Basarow. "ich bin sogar
bereit, zuzugeben, daß Sie darin Recht haben."

"Aber wenn ich Recht habe" ....

"So beweist es dennoch nichts!"


Die beiden Kirsanow und die jungen Helden sitzen bei der Abendmahl¬
zeit und disputirten über die Nützlichkeit aristokratischer Institutionen für
Rußland, die Basarow natürlich bestreitet.

„Wessen bedarf denn der Russe ihrer Meinung nach?" fragte Paul Kir¬
sanow nach einer Pause. „Wenn man Sie sprechen hört, so sollte man
glauben, wir befänden uns außerhalb der ganzen Menschheit. Die Logik der
Geschichte fordert es ja"----

„Wozu soll uns die Logik! wir werden auch ohne dieselbe auskommen."

„Wie?"

„Sie haben doch, hoffe ich, keine Logik nöthig, um ein Stück Brod in
den Mund zu bringen, wenn sie hungrig sind; was sollen uns diese Ab-
stractionen!"

„Nun dann begreife ich Sie nicht! Nach welchen Beweggründen handeln
Sie Nihilisten denn?"

„Wir thun das, was wir für nützlich finden", antwortete Basarow.
„in jetziger Zeit ists am nützlichsten zu negiren und wir regeren."

„Alles?"

„Alles."

„Wie? Nicht allein die Kunst, sondern auch.... schrecklich zu sagen!"

„Alles", wiederholte Basarow mit vollkommener Ruhe.

„Aber erlauben Sie, mein Herr", begann Nicolai Petrowitsch, „Sie ver¬
neinen Alles, oder richtiger Sie zerstören Alles, man muß aber doch auch
bauen?"

„Das ist nicht unsere Sache, vor allen Dingen muß der Boden geebnet
werden."

„Der gegenwärtige Zustand des Volkes fordert solches", fügte Arkadius
hinzu, „wir müssen diesen Forderungen nachkommen, und nicht unserem per¬
sönlichen Egoismus fröhnen."

Offenbar gefiel diese letzte Phrase Basarow nicht, sie klang ihm philo¬
sophisch, romantisch; er fand es aber nicht nöthig, seinen Schüler zurechtzu¬
weisen.

„Nein, nein", rief Paul Petrowitsch leidenschaftlich aus, „ich will es
nicht glauben, meine Herren, daß Sie das russische Volk kennen, daß Sie die
Repräsentanten seiner Bestrebungen und Bedürfnisse sind! Nein, das russische
Volk hält die Ueberlieferungen heilig, es ist ein Patriarchalisches Volk und
kann ohne Glauben nicht leben" ....

„Dagegen will ich nicht streiten", unterbrach ihn Basarow. „ich bin sogar
bereit, zuzugeben, daß Sie darin Recht haben."

„Aber wenn ich Recht habe" ....

„So beweist es dennoch nichts!"


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[0012] Die beiden Kirsanow und die jungen Helden sitzen bei der Abendmahl¬ zeit und disputirten über die Nützlichkeit aristokratischer Institutionen für Rußland, die Basarow natürlich bestreitet. „Wessen bedarf denn der Russe ihrer Meinung nach?" fragte Paul Kir¬ sanow nach einer Pause. „Wenn man Sie sprechen hört, so sollte man glauben, wir befänden uns außerhalb der ganzen Menschheit. Die Logik der Geschichte fordert es ja"---- „Wozu soll uns die Logik! wir werden auch ohne dieselbe auskommen." „Wie?" „Sie haben doch, hoffe ich, keine Logik nöthig, um ein Stück Brod in den Mund zu bringen, wenn sie hungrig sind; was sollen uns diese Ab- stractionen!" „Nun dann begreife ich Sie nicht! Nach welchen Beweggründen handeln Sie Nihilisten denn?" „Wir thun das, was wir für nützlich finden", antwortete Basarow. „in jetziger Zeit ists am nützlichsten zu negiren und wir regeren." „Alles?" „Alles." „Wie? Nicht allein die Kunst, sondern auch.... schrecklich zu sagen!" „Alles", wiederholte Basarow mit vollkommener Ruhe. „Aber erlauben Sie, mein Herr", begann Nicolai Petrowitsch, „Sie ver¬ neinen Alles, oder richtiger Sie zerstören Alles, man muß aber doch auch bauen?" „Das ist nicht unsere Sache, vor allen Dingen muß der Boden geebnet werden." „Der gegenwärtige Zustand des Volkes fordert solches", fügte Arkadius hinzu, „wir müssen diesen Forderungen nachkommen, und nicht unserem per¬ sönlichen Egoismus fröhnen." Offenbar gefiel diese letzte Phrase Basarow nicht, sie klang ihm philo¬ sophisch, romantisch; er fand es aber nicht nöthig, seinen Schüler zurechtzu¬ weisen. „Nein, nein", rief Paul Petrowitsch leidenschaftlich aus, „ich will es nicht glauben, meine Herren, daß Sie das russische Volk kennen, daß Sie die Repräsentanten seiner Bestrebungen und Bedürfnisse sind! Nein, das russische Volk hält die Ueberlieferungen heilig, es ist ein Patriarchalisches Volk und kann ohne Glauben nicht leben" .... „Dagegen will ich nicht streiten", unterbrach ihn Basarow. „ich bin sogar bereit, zuzugeben, daß Sie darin Recht haben." „Aber wenn ich Recht habe" .... „So beweist es dennoch nichts!"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/12>, abgerufen am 24.08.2024.