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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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Zweck zu wagen. Schließlich haben englische Unternehmer Hilfe bringen
müssen.

Aber der unglückliche Einfluß unserer Colonialpolitiker reicht noch sehr
viel weiter. Da der Staat in Indien Landbauer und Händler ist, da er seine
Erzeugnisse in Europa an den Markt bringen muß. es aber nicht sür an¬
gemessen hält, mit den Käufern direct in Verbindung zu treten oder mit
Ausländern zu thun zu haben, -- so veranlaßte er im Jahre 1824 die Errich¬
tung einer Actiengesellschaft unter dem Namen "Handelmaatschappy", die als
Agentin der Regierung fungirt. Alle Gouvernementsproducte werden in
Indien an die Filialen dieser Gesellschaft abgeliefert, von dort mit hollän¬
dischen Schiffen nach holländischen Häfen gebracht und hier an holländische
Häuser verkauft. Dadurch ist für die Rhederei und den Handel ein so be¬
deutendes Monopol geschaffen, daß begreiflicher Weise ein ungünstiger Ein¬
fluß nicht ausbleiben konnte. So lange der Handel sich auf ein solches
System stützt, kann er zu keiner freien selbständigen Entwickelung gelangen.
Vom Handel Amsterdams kann man darum auch durchaus nicht sagen, daß
er im Fortschreiten begriffen sei, wenigstens nicht in dem Maße, als man von
einem so bedeutenden Platze erwarten könnte. Eine Treibhauspflanze, wie
sie durch unsere Colonialpolitik groß gezogen ist, muß bei dem ersten Sturm
.der freien Concurrenz vernichtet werden.-- Die Holländer rühmen sich der
Freihandelspolitik eifrig zu huldigen, nur thun sie dieses nicht in Bezug auf
Ostindien. Lähmung auf wirthschaftlichem Gebiet zeigt sich denn auch überall;
der Wohlstand der arbeitenden und mittleren Classen nimmt im Großen
und Ganzen nicht zu; die Arbeitslöhne sind nicht höher, als im Anfang dieses
Jahrhunderts, und obgleich man dabei Vieles auf Rechnung des schon im
vorigen Jahrhundert eingetretenen Rückschrittes in unserer commerciellen und
industriellen Bedeutung zu schreiben hat, so steht doch fest, daß unsere Energie
sich ohne den ostindischen Nothhelfer viel kräftiger entwickelt hätte. Es wäre ein
neues Leben in unsere Erwerbsthätigkeit gekommen, wir hätten uns wirth-
sckastlich mehr gehoben, und bei einer sparsamen Haushaltung würden wir
dann eher im Stande gewesen sein, das Gleichgewicht in unsern Finanzen
wieder herzustellen.

So offenbaren sich die schädlichen Folgen der Colonialpolitik überall in
unserm Volksleben. Man ist sich dessen allmälig auch in weiteren Kreisen
bewußt, aber noch klammert man sich an diese alten Zustände krampfhaft an.
Es ist ein dumpfes Gefühl eigener Ohnmacht, das sich in dem oft wieder¬
holten Ausrufe kundthut: "N>und man uns Ostindien, .so sind wir verloren!"
Selbst bis in unsere auswärtige Politik kann man diesen Einfluß verfolgen.
Salon im Jahre 1830 wußte König Wilhelm I,, daß England und Frank,
reich die Trennung Belgiens von Holland beschlossen hatten und daß sich


Zweck zu wagen. Schließlich haben englische Unternehmer Hilfe bringen
müssen.

Aber der unglückliche Einfluß unserer Colonialpolitiker reicht noch sehr
viel weiter. Da der Staat in Indien Landbauer und Händler ist, da er seine
Erzeugnisse in Europa an den Markt bringen muß. es aber nicht sür an¬
gemessen hält, mit den Käufern direct in Verbindung zu treten oder mit
Ausländern zu thun zu haben, — so veranlaßte er im Jahre 1824 die Errich¬
tung einer Actiengesellschaft unter dem Namen „Handelmaatschappy", die als
Agentin der Regierung fungirt. Alle Gouvernementsproducte werden in
Indien an die Filialen dieser Gesellschaft abgeliefert, von dort mit hollän¬
dischen Schiffen nach holländischen Häfen gebracht und hier an holländische
Häuser verkauft. Dadurch ist für die Rhederei und den Handel ein so be¬
deutendes Monopol geschaffen, daß begreiflicher Weise ein ungünstiger Ein¬
fluß nicht ausbleiben konnte. So lange der Handel sich auf ein solches
System stützt, kann er zu keiner freien selbständigen Entwickelung gelangen.
Vom Handel Amsterdams kann man darum auch durchaus nicht sagen, daß
er im Fortschreiten begriffen sei, wenigstens nicht in dem Maße, als man von
einem so bedeutenden Platze erwarten könnte. Eine Treibhauspflanze, wie
sie durch unsere Colonialpolitik groß gezogen ist, muß bei dem ersten Sturm
.der freien Concurrenz vernichtet werden.— Die Holländer rühmen sich der
Freihandelspolitik eifrig zu huldigen, nur thun sie dieses nicht in Bezug auf
Ostindien. Lähmung auf wirthschaftlichem Gebiet zeigt sich denn auch überall;
der Wohlstand der arbeitenden und mittleren Classen nimmt im Großen
und Ganzen nicht zu; die Arbeitslöhne sind nicht höher, als im Anfang dieses
Jahrhunderts, und obgleich man dabei Vieles auf Rechnung des schon im
vorigen Jahrhundert eingetretenen Rückschrittes in unserer commerciellen und
industriellen Bedeutung zu schreiben hat, so steht doch fest, daß unsere Energie
sich ohne den ostindischen Nothhelfer viel kräftiger entwickelt hätte. Es wäre ein
neues Leben in unsere Erwerbsthätigkeit gekommen, wir hätten uns wirth-
sckastlich mehr gehoben, und bei einer sparsamen Haushaltung würden wir
dann eher im Stande gewesen sein, das Gleichgewicht in unsern Finanzen
wieder herzustellen.

So offenbaren sich die schädlichen Folgen der Colonialpolitik überall in
unserm Volksleben. Man ist sich dessen allmälig auch in weiteren Kreisen
bewußt, aber noch klammert man sich an diese alten Zustände krampfhaft an.
Es ist ein dumpfes Gefühl eigener Ohnmacht, das sich in dem oft wieder¬
holten Ausrufe kundthut: „N>und man uns Ostindien, .so sind wir verloren!"
Selbst bis in unsere auswärtige Politik kann man diesen Einfluß verfolgen.
Salon im Jahre 1830 wußte König Wilhelm I,, daß England und Frank,
reich die Trennung Belgiens von Holland beschlossen hatten und daß sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/116>, abgerufen am 22.07.2024.