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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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lose Menschen den Hungertod gestorben, hatten Eltern ihre Kinder für einen
halben Gulden zum Verkauf angeboten. Und was that die Regierung? Im
Anfange gar nichts -- ja einzelne ihrer Beamten widersetzten sich den durch
mitleidige Europäer vorgenommenen Reisvertheilungen. Während die Javanen
Hungers starben, lieferte Java an die Niederlande noch jährlich einen Ueber¬
schuß von durchschnittlich 12 Millionen Gulden, einen Ueberschuß, der vielleicht
doppelt so groß gewesen wäre, wenn die Preise des Kaffee's in jenen Jahren
nicht so niedrig gestanden hätten. Diese Ueberschüsse, die in die niederländische
Staatscasse geflossen sind, betrugen vom Jahre 1840 bis 1864 die Gesammt-
summe von 462 Millionen Gulden, in einigen der letzten Jahre selbst
35 Millionen jährlich.

An diesen Zahlen können Sie den Erfolg des..Cultursystems" ermessen,
zugleich finden Sie in ihnen aber auch die Ursache seines Entstehens und
seiner Fortdauer. Gelddurst, oder will man milder urtheilen, Geldnoth
hatten diese indischen Zustände geschaffen, und Geldnoth erhält sie. Die
holländischen Finanzen waren in der letzten Zeit in günstigen Verhältnissen,
die sie jedoch allein den indischen Zuschüssen zu verdanken hatten; ohne diese
hätte unser Staatsbudget schon lange mit einem bedeutenden jährlichen De¬
ficit schließen müssen.

An der Entstehung und Ausbildung des Cultursystems hat ein nur
geringer Theil des holländischen Volks Antheil gehabt. Als nach der Ent-
deckung des indischen Seeweges die Portugiesen nach Ostindien kamen, fanden
sie auf den Sunda-Inseln eine sanftmüthige Bevölkerung, die auf einer
ziemlich hohen Stufe der Entwickelung stand. Diese Cultur hatte sich über den
ganzen Archipel und noch weit darüber hinaus bis nach Cochin-China ver¬
breitet. Zwar war durch den seit dem fünfzehnten Jahrhundert hereinge¬
brochenen Islam ein Rückschlag eingetreten, aber die portugiesische und
später die holländische Herrschaft beschleunigte diesen Verfall in jeder möglichen
Weise. Die im Jahre 1602 errichtete ostindische Compagnie erhielt von dem
holländischen Staate das Monopol des Handels mit den Ländern östlich vom
Cap der guten Hoffnung. Sie begründete an verschiedenen Puncten des
Archipels ihre Niederlassungen, theilweise als Erbin der vertriebenen Portu¬
giesen, theilweise gründete sie neue Stationen. Auf die Verwaltung der neu¬
erworbenen Länder ließ sie sich meistens nicht direct ein, sondern sie überließ
dieselbe den inländischen Fürsten, denen sie dafür die Verpflichtung zur
Lieferung verschiedener für den Handel bestimmtes Producte auferlegte.

Die Preise dafür waren sehr willkürlich und niedrig; häufig wurde
Nichts bezahlt. Außerdem trieb die Compagnie freien Handel mit den Ein-
geborenen, hauptsächlich in Zucker, dessen Production schon im vorigen Jahr¬
hundert auf Java ziemlich bedeutend war. Erwuchs ihr aber bet diesem


lose Menschen den Hungertod gestorben, hatten Eltern ihre Kinder für einen
halben Gulden zum Verkauf angeboten. Und was that die Regierung? Im
Anfange gar nichts — ja einzelne ihrer Beamten widersetzten sich den durch
mitleidige Europäer vorgenommenen Reisvertheilungen. Während die Javanen
Hungers starben, lieferte Java an die Niederlande noch jährlich einen Ueber¬
schuß von durchschnittlich 12 Millionen Gulden, einen Ueberschuß, der vielleicht
doppelt so groß gewesen wäre, wenn die Preise des Kaffee's in jenen Jahren
nicht so niedrig gestanden hätten. Diese Ueberschüsse, die in die niederländische
Staatscasse geflossen sind, betrugen vom Jahre 1840 bis 1864 die Gesammt-
summe von 462 Millionen Gulden, in einigen der letzten Jahre selbst
35 Millionen jährlich.

An diesen Zahlen können Sie den Erfolg des..Cultursystems" ermessen,
zugleich finden Sie in ihnen aber auch die Ursache seines Entstehens und
seiner Fortdauer. Gelddurst, oder will man milder urtheilen, Geldnoth
hatten diese indischen Zustände geschaffen, und Geldnoth erhält sie. Die
holländischen Finanzen waren in der letzten Zeit in günstigen Verhältnissen,
die sie jedoch allein den indischen Zuschüssen zu verdanken hatten; ohne diese
hätte unser Staatsbudget schon lange mit einem bedeutenden jährlichen De¬
ficit schließen müssen.

An der Entstehung und Ausbildung des Cultursystems hat ein nur
geringer Theil des holländischen Volks Antheil gehabt. Als nach der Ent-
deckung des indischen Seeweges die Portugiesen nach Ostindien kamen, fanden
sie auf den Sunda-Inseln eine sanftmüthige Bevölkerung, die auf einer
ziemlich hohen Stufe der Entwickelung stand. Diese Cultur hatte sich über den
ganzen Archipel und noch weit darüber hinaus bis nach Cochin-China ver¬
breitet. Zwar war durch den seit dem fünfzehnten Jahrhundert hereinge¬
brochenen Islam ein Rückschlag eingetreten, aber die portugiesische und
später die holländische Herrschaft beschleunigte diesen Verfall in jeder möglichen
Weise. Die im Jahre 1602 errichtete ostindische Compagnie erhielt von dem
holländischen Staate das Monopol des Handels mit den Ländern östlich vom
Cap der guten Hoffnung. Sie begründete an verschiedenen Puncten des
Archipels ihre Niederlassungen, theilweise als Erbin der vertriebenen Portu¬
giesen, theilweise gründete sie neue Stationen. Auf die Verwaltung der neu¬
erworbenen Länder ließ sie sich meistens nicht direct ein, sondern sie überließ
dieselbe den inländischen Fürsten, denen sie dafür die Verpflichtung zur
Lieferung verschiedener für den Handel bestimmtes Producte auferlegte.

Die Preise dafür waren sehr willkürlich und niedrig; häufig wurde
Nichts bezahlt. Außerdem trieb die Compagnie freien Handel mit den Ein-
geborenen, hauptsächlich in Zucker, dessen Production schon im vorigen Jahr¬
hundert auf Java ziemlich bedeutend war. Erwuchs ihr aber bet diesem


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[0111] lose Menschen den Hungertod gestorben, hatten Eltern ihre Kinder für einen halben Gulden zum Verkauf angeboten. Und was that die Regierung? Im Anfange gar nichts — ja einzelne ihrer Beamten widersetzten sich den durch mitleidige Europäer vorgenommenen Reisvertheilungen. Während die Javanen Hungers starben, lieferte Java an die Niederlande noch jährlich einen Ueber¬ schuß von durchschnittlich 12 Millionen Gulden, einen Ueberschuß, der vielleicht doppelt so groß gewesen wäre, wenn die Preise des Kaffee's in jenen Jahren nicht so niedrig gestanden hätten. Diese Ueberschüsse, die in die niederländische Staatscasse geflossen sind, betrugen vom Jahre 1840 bis 1864 die Gesammt- summe von 462 Millionen Gulden, in einigen der letzten Jahre selbst 35 Millionen jährlich. An diesen Zahlen können Sie den Erfolg des..Cultursystems" ermessen, zugleich finden Sie in ihnen aber auch die Ursache seines Entstehens und seiner Fortdauer. Gelddurst, oder will man milder urtheilen, Geldnoth hatten diese indischen Zustände geschaffen, und Geldnoth erhält sie. Die holländischen Finanzen waren in der letzten Zeit in günstigen Verhältnissen, die sie jedoch allein den indischen Zuschüssen zu verdanken hatten; ohne diese hätte unser Staatsbudget schon lange mit einem bedeutenden jährlichen De¬ ficit schließen müssen. An der Entstehung und Ausbildung des Cultursystems hat ein nur geringer Theil des holländischen Volks Antheil gehabt. Als nach der Ent- deckung des indischen Seeweges die Portugiesen nach Ostindien kamen, fanden sie auf den Sunda-Inseln eine sanftmüthige Bevölkerung, die auf einer ziemlich hohen Stufe der Entwickelung stand. Diese Cultur hatte sich über den ganzen Archipel und noch weit darüber hinaus bis nach Cochin-China ver¬ breitet. Zwar war durch den seit dem fünfzehnten Jahrhundert hereinge¬ brochenen Islam ein Rückschlag eingetreten, aber die portugiesische und später die holländische Herrschaft beschleunigte diesen Verfall in jeder möglichen Weise. Die im Jahre 1602 errichtete ostindische Compagnie erhielt von dem holländischen Staate das Monopol des Handels mit den Ländern östlich vom Cap der guten Hoffnung. Sie begründete an verschiedenen Puncten des Archipels ihre Niederlassungen, theilweise als Erbin der vertriebenen Portu¬ giesen, theilweise gründete sie neue Stationen. Auf die Verwaltung der neu¬ erworbenen Länder ließ sie sich meistens nicht direct ein, sondern sie überließ dieselbe den inländischen Fürsten, denen sie dafür die Verpflichtung zur Lieferung verschiedener für den Handel bestimmtes Producte auferlegte. Die Preise dafür waren sehr willkürlich und niedrig; häufig wurde Nichts bezahlt. Außerdem trieb die Compagnie freien Handel mit den Ein- geborenen, hauptsächlich in Zucker, dessen Production schon im vorigen Jahr¬ hundert auf Java ziemlich bedeutend war. Erwuchs ihr aber bet diesem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/111>, abgerufen am 25.08.2024.