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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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ersten Male in. deutscher Version publicirt worden ist, versetzt uns in die
Zeit der revolutionairen Ueberschwenglichkeit und jenes nihilistischen Titanen-
thums zurück, das einige Zeit lang die öffentliche Meinung auf der sarma-
tischen Ebene beherrschte, seit dem polnischen Aufstande rasch aus der Mode
kam und (manchen dagegen redenden Symptomen zum Trotz) in der Gegen¬
wart todt gesagt wird. Machen, wir uns zunächst mit den Umrissen der Fabel
und den specifischen Eigenthümlichkeiten des russischen Nihilismus bekannt.

Eugen Basarow und Arkady Kirsanow, zwei Petersburger Studenten,
die sich als Träger der modernen Ideen fühlen, besuchen in den Sommer¬
ferien ihre Aeltern; Basarow, (der Sohn eines verabschiedeten Armeechirurgen,
der sich von den spärlichen Resten seiner altmodischen Bildung mühsam nährt,
und einer Mutter, die das naive, gläubige, patriarchalische Altrussenthum in
dessen voller Liebenswürdigkeit repräsentirt) begleitet, ehe er nach Hause fährt,
seinen Freund Arkady zu dessen Vater, einem wohlhabenden Gutsbesitzer.
Dieser Vater und dessen Bruder, Paul Kirsanow. verabschiedeter Garde¬
offizier voll Byronisch-romantischen Ideen, sind Aristokraten von gutem
Schlage, Männer, die in den Traditionen der westeuropäischen Bildung auf¬
gewachsen sind und das eifrige Bestreben zeigen, sich mit der Neuzeit und
deren Ansprüchen zu verständigen. In einer meisterhaft hingeworfenen Ex¬
position wird der Gegensatz zwischen dieser Generation, die auf der Höhe der Zeit
zu stehen glaubte, wenn sie der geistigen Bewegung und den Culturforschritten
respectvoll folgte -- und dem Geschlecht der Nihilisten bezeichnet. Arkady Kir¬
sanow ist ein junger, gutherziger Edelmann, ohne innere Selbständigkeit, den
der geistreiche und kräftige Freund in das Schlepptau seiner Ideen genommen
hat, und den ein hübsches Mädchengesicht aber ohne viel Mühe zu den ver¬
lassenen Paraden zuzückführt und durch eine glückliche Ehe mit der noch eben
perhorrescirten alten Gesellschaft aussöhnt. Anders Basarow, der Fanatiker
der Negation ist. sich thatsächlich von jeder Autorität, jeder Rücksicht frei
gemacht hat. "Wir zerstören, weil wir eine Kraft sind, und die Kraft gibt
keine Rechenschaft. Unser Motiv ist das Nützlichkeitsprincip. Jetzt ist es
nützlich, zu negiren, also negiren wir; es gilt tabula, rasa zu machen --
bauen mögen Andere" ; das ist die Quintessenz seiner Weisheit. Im Grunde
mit einer noblen Empfindung und stark ausgeprägtem Rechtsgefühl begabt,
hält der junge Mediciner es für Pflicht, Alles, was das Leben an idealen
Momenten aufzuweisen hat, in den Staub zu ziehen und unter dem Secir-
messer seiner materialistischen Philosophie abzuschlachten. Zunächst geräth er
mit Paul Kirsanow, dem Oheim seines Freundes, dem Gentleman von der
alten Schule, in Conflict. Wir lassen, um alle weiteren Ausführungen über
die Weltanschauung der "Söhne" zu sparen, den Disput folgen, in welchem
beide Richtungen, die alte und die neue, ihre Trümpfe ausspielen.


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ersten Male in. deutscher Version publicirt worden ist, versetzt uns in die
Zeit der revolutionairen Ueberschwenglichkeit und jenes nihilistischen Titanen-
thums zurück, das einige Zeit lang die öffentliche Meinung auf der sarma-
tischen Ebene beherrschte, seit dem polnischen Aufstande rasch aus der Mode
kam und (manchen dagegen redenden Symptomen zum Trotz) in der Gegen¬
wart todt gesagt wird. Machen, wir uns zunächst mit den Umrissen der Fabel
und den specifischen Eigenthümlichkeiten des russischen Nihilismus bekannt.

Eugen Basarow und Arkady Kirsanow, zwei Petersburger Studenten,
die sich als Träger der modernen Ideen fühlen, besuchen in den Sommer¬
ferien ihre Aeltern; Basarow, (der Sohn eines verabschiedeten Armeechirurgen,
der sich von den spärlichen Resten seiner altmodischen Bildung mühsam nährt,
und einer Mutter, die das naive, gläubige, patriarchalische Altrussenthum in
dessen voller Liebenswürdigkeit repräsentirt) begleitet, ehe er nach Hause fährt,
seinen Freund Arkady zu dessen Vater, einem wohlhabenden Gutsbesitzer.
Dieser Vater und dessen Bruder, Paul Kirsanow. verabschiedeter Garde¬
offizier voll Byronisch-romantischen Ideen, sind Aristokraten von gutem
Schlage, Männer, die in den Traditionen der westeuropäischen Bildung auf¬
gewachsen sind und das eifrige Bestreben zeigen, sich mit der Neuzeit und
deren Ansprüchen zu verständigen. In einer meisterhaft hingeworfenen Ex¬
position wird der Gegensatz zwischen dieser Generation, die auf der Höhe der Zeit
zu stehen glaubte, wenn sie der geistigen Bewegung und den Culturforschritten
respectvoll folgte — und dem Geschlecht der Nihilisten bezeichnet. Arkady Kir¬
sanow ist ein junger, gutherziger Edelmann, ohne innere Selbständigkeit, den
der geistreiche und kräftige Freund in das Schlepptau seiner Ideen genommen
hat, und den ein hübsches Mädchengesicht aber ohne viel Mühe zu den ver¬
lassenen Paraden zuzückführt und durch eine glückliche Ehe mit der noch eben
perhorrescirten alten Gesellschaft aussöhnt. Anders Basarow, der Fanatiker
der Negation ist. sich thatsächlich von jeder Autorität, jeder Rücksicht frei
gemacht hat. „Wir zerstören, weil wir eine Kraft sind, und die Kraft gibt
keine Rechenschaft. Unser Motiv ist das Nützlichkeitsprincip. Jetzt ist es
nützlich, zu negiren, also negiren wir; es gilt tabula, rasa zu machen —
bauen mögen Andere" ; das ist die Quintessenz seiner Weisheit. Im Grunde
mit einer noblen Empfindung und stark ausgeprägtem Rechtsgefühl begabt,
hält der junge Mediciner es für Pflicht, Alles, was das Leben an idealen
Momenten aufzuweisen hat, in den Staub zu ziehen und unter dem Secir-
messer seiner materialistischen Philosophie abzuschlachten. Zunächst geräth er
mit Paul Kirsanow, dem Oheim seines Freundes, dem Gentleman von der
alten Schule, in Conflict. Wir lassen, um alle weiteren Ausführungen über
die Weltanschauung der „Söhne" zu sparen, den Disput folgen, in welchem
beide Richtungen, die alte und die neue, ihre Trümpfe ausspielen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/11>, abgerufen am 24.08.2024.