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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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die souveraine Autorität der Schrift in Glaubenssachen und das apostolische
Symbol als Resume' der darin enthaltenen wunderhaften Thatsachen aner¬
kenne. Um die Discussion zu vermeiden, sprach die Conferenz ihre Auf¬
lösung aus, worauf die Mehrheit sich sofort auf Grundlage dieses Pro¬
gramms als Conferenz constituirte. Die Liberalen, nicht Willens, sich dem
Glaubensjoch einer Mehrheit zu unterwerfen, die jedes Jahr wechseln kann,
waren genöthigt, ihre Berathungen von da an gesondert zu halten.

Man hat zuweilen von radicaler Seite den Liberalen den Rath gegeben,
um allen Plackereien der Orthodoxen zu entgehen, die Kirche zu verlassen
und sich auf dem Grundsatz der Freiheit der Kulte als eigene Kirche zu
constituiren. Es ist derselbe Rath, den einst in Deutschland Strauß der
liberalen Theologen gab, die sich keine Mühe geben möchten, einen Leichnam
durch moderne Gewürzlein und Salben noch länger bei einem scheinbaren
Leben zu erhalten. Es ist derselbe Rath, welchen mit frommer Miene den
französischen Liberalen Guizot ertheilt, der so schön von der Freiheit der
Kirche zu schreiben weiß, aber darunter nur die Freiheit versteht, aus einer
Gemeinschaft auszutreten, mit deren Principien man nicht mehr einverstan¬
den ist. Allein darüber ist ja eben der Streit, welches diese Principien sind,
und ob eine etablirte Mehrheit das Recht hat, diese Principien einseitig fest¬
zustellen. Mit Recht haben die Liberalen, einzelne Ausnahmen abgerechnet,
dem Rath widerstanden. Sie würden damit ein Band zerreißen, das ihnen
nicht minder theuer ist als ihren Gegnern, sie würden eine Ueberlieferung
abbrechen, auf die sie dasselbe Recht zu haben sich bewußt sind, und sie
würden damit gerade den Grundsatz der Orthodoxen, daß die Mehrheit ihre
Ansichten der Gesammtheit auferlegen dürfe, anerkennen. Unzweifelhaft leisten
sie der Freiheit einen größern Dienst, wenn sie den Kampf gegen die Into¬
leranz auf dem Boden der Kirche fortsetzen, als wenn sie diesen Boden
preisgeben.

Dies also ist gegenwärtig der Stand des Parteikampfs. Die Ortho¬
doxen erklären jedes Band der Gemeinschaft mit den Liberalen für gelöst.
Dem Grundsatz der letzteren, daß alle auf das Evangelium sich stützenden
Richtungen Raum in der Kirche neben einander haben, stellen sie die Allein¬
herrschaft einer Partei als Grundsatz auf und verwirklichen ihn, soweit es in
ihrer Macht steht. Im Januar 1867 glaubte das orthodoxe Consistorium
zu Caen so weit gehen zu können, durch einfachen Beschluß das kirchliche
Wahlrecht auf diejenigen einzuschränken, welche sich ausdrücklich zum aposto¬
lischen Symbol bekennen, ein Act der Willkür, der eine lebhafte Polemik
für und wider zur Folge hatte und abermals das Einschreiten der Staats¬
gewalt herausforderte. Denn der Cultusminister konnte nicht dulden, daß
die Laune eines der 104 Consistorien eigenmächtig das gesetzliche Wahlrecht


Grenzboten III. 1869. 13

die souveraine Autorität der Schrift in Glaubenssachen und das apostolische
Symbol als Resume' der darin enthaltenen wunderhaften Thatsachen aner¬
kenne. Um die Discussion zu vermeiden, sprach die Conferenz ihre Auf¬
lösung aus, worauf die Mehrheit sich sofort auf Grundlage dieses Pro¬
gramms als Conferenz constituirte. Die Liberalen, nicht Willens, sich dem
Glaubensjoch einer Mehrheit zu unterwerfen, die jedes Jahr wechseln kann,
waren genöthigt, ihre Berathungen von da an gesondert zu halten.

Man hat zuweilen von radicaler Seite den Liberalen den Rath gegeben,
um allen Plackereien der Orthodoxen zu entgehen, die Kirche zu verlassen
und sich auf dem Grundsatz der Freiheit der Kulte als eigene Kirche zu
constituiren. Es ist derselbe Rath, den einst in Deutschland Strauß der
liberalen Theologen gab, die sich keine Mühe geben möchten, einen Leichnam
durch moderne Gewürzlein und Salben noch länger bei einem scheinbaren
Leben zu erhalten. Es ist derselbe Rath, welchen mit frommer Miene den
französischen Liberalen Guizot ertheilt, der so schön von der Freiheit der
Kirche zu schreiben weiß, aber darunter nur die Freiheit versteht, aus einer
Gemeinschaft auszutreten, mit deren Principien man nicht mehr einverstan¬
den ist. Allein darüber ist ja eben der Streit, welches diese Principien sind,
und ob eine etablirte Mehrheit das Recht hat, diese Principien einseitig fest¬
zustellen. Mit Recht haben die Liberalen, einzelne Ausnahmen abgerechnet,
dem Rath widerstanden. Sie würden damit ein Band zerreißen, das ihnen
nicht minder theuer ist als ihren Gegnern, sie würden eine Ueberlieferung
abbrechen, auf die sie dasselbe Recht zu haben sich bewußt sind, und sie
würden damit gerade den Grundsatz der Orthodoxen, daß die Mehrheit ihre
Ansichten der Gesammtheit auferlegen dürfe, anerkennen. Unzweifelhaft leisten
sie der Freiheit einen größern Dienst, wenn sie den Kampf gegen die Into¬
leranz auf dem Boden der Kirche fortsetzen, als wenn sie diesen Boden
preisgeben.

Dies also ist gegenwärtig der Stand des Parteikampfs. Die Ortho¬
doxen erklären jedes Band der Gemeinschaft mit den Liberalen für gelöst.
Dem Grundsatz der letzteren, daß alle auf das Evangelium sich stützenden
Richtungen Raum in der Kirche neben einander haben, stellen sie die Allein¬
herrschaft einer Partei als Grundsatz auf und verwirklichen ihn, soweit es in
ihrer Macht steht. Im Januar 1867 glaubte das orthodoxe Consistorium
zu Caen so weit gehen zu können, durch einfachen Beschluß das kirchliche
Wahlrecht auf diejenigen einzuschränken, welche sich ausdrücklich zum aposto¬
lischen Symbol bekennen, ein Act der Willkür, der eine lebhafte Polemik
für und wider zur Folge hatte und abermals das Einschreiten der Staats¬
gewalt herausforderte. Denn der Cultusminister konnte nicht dulden, daß
die Laune eines der 104 Consistorien eigenmächtig das gesetzliche Wahlrecht


Grenzboten III. 1869. 13
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/105>, abgerufen am 24.08.2024.