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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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dern konnte, so namentlich dem von Bayern vorgeschlagenen hohen Zolltarif,
welchem schließlich nur Württemberg zustimmte. Auf der anderen Seite kam
zwar ein Handelsverein, der sogenannte mitteldeutsche, zu Stande zwischen
Sachsen, den thüringischen Fürstentümern, Hannover, Kurhessen. Oldenburg.
Braunschweig, Nassau und einigen anderen Kleinstaaten; aber der freie
Verkehr innerhalb desselben beschränkte sich auf Getreide. Heu, Stroh, Brenn¬
holz. Steinkohlen und Kartoffeln. Die eigentliche Bedeutung des Vertrages
lag in der Clausel, daß diese Staaten sich verpflichteten, ohne ausdrückliche
Einwilligung des ganzen Vereins mit keinem Staate, der nicht zu ihm ge¬
hörte, in einen Zollverband zu treten.

Die Bildungsunfähigkeit eines auf solche Principien gegründeten Ver¬
eines zeigte sich sofort schon darin, daß sich innerhalb desselben Sonderver¬
eine bildeten; der ganze, lose gefügte Bau zerfiel rasch wieder. Inzwischen
hatte im Jahr zuvor, 1828, zuerst ein größerer deutscher Staat, Hessen-
Darmstadt. Preußen die Hand gereicht und war seinem Zollsystem beige¬
treten; ihm folgten Reuß, Weimar und Kurhessen. Der Beitritt des letztern
war von entscheidender Wichtigkeit, denn er verband die beiden getrennten
Theile Preußens und vollendete so ihre materielle Verschmelzung; von nun
ab war ein mitteldeutscher Verein nicht mehr möglich. Und während einer¬
seits die Zolleinnahmen der beigetretenen Staaten nach dem Princip der
Kopfzahl-Vertheilung sich rasch mehrten, ergab sich als Resultat der bayerisch-
württembergischen Zolleinigung, daß die Verwaltungskosten nicht weniger als
44Vo der Bruttoeinnahme betrugen. So mußten sie sich, da Baden im Hin¬
blick auf die Einigung mit Preußen den Beitritt stetig abgelehnt, wohl ent¬
schließen, dem großen Vereine die Hand zu reichen. 1833 folgte auch Sachsen,
1835 Baden, so daß nun Deutschlands (von Oestreich abgesehen) ein Zoll¬
gebiet bildeten und das Project, welches Metternich vornehm ungläubig be¬
lächelt hatte, Thatsache geworden war.

Merkwürdig und lehrreich bleibt es. daß dies Resultat rein den Re¬
gierungen zu verdanken ist, während die öffentliche Meinung in der richtigen
Einsicht zurückblieb; nirgend hat eine Ständekammer zum Beitritt gedrängt,
wohl aber haben die Volksvertretungen ebenso wie der Handelsstand große
Schwierigkeiten gemacht. Einen starken Antheil an dieser Opposition hatte
die Abneigung des Südens, welcher sich viel auf seine konstitutionellen Ver¬
fassungen einbildete, gegen das absolutistische Preußen; gerade die süddeut¬
schen Liberalen, welche die nationale Einigung auf ihre Fahne schrieben,
widersetzten sich derselben, als sie auf materiellem Gebiete verwirklicht werden
sollte. Noch entschiedener machte sich die Abneigung durch die Divergenz
ökonomischer Interessen geltend. Damals gab es im Süden verhältnißmäßig
wenig Großindustrie, und gar keine Fabrikdistricte wie in Schlesien, West-


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dern konnte, so namentlich dem von Bayern vorgeschlagenen hohen Zolltarif,
welchem schließlich nur Württemberg zustimmte. Auf der anderen Seite kam
zwar ein Handelsverein, der sogenannte mitteldeutsche, zu Stande zwischen
Sachsen, den thüringischen Fürstentümern, Hannover, Kurhessen. Oldenburg.
Braunschweig, Nassau und einigen anderen Kleinstaaten; aber der freie
Verkehr innerhalb desselben beschränkte sich auf Getreide. Heu, Stroh, Brenn¬
holz. Steinkohlen und Kartoffeln. Die eigentliche Bedeutung des Vertrages
lag in der Clausel, daß diese Staaten sich verpflichteten, ohne ausdrückliche
Einwilligung des ganzen Vereins mit keinem Staate, der nicht zu ihm ge¬
hörte, in einen Zollverband zu treten.

Die Bildungsunfähigkeit eines auf solche Principien gegründeten Ver¬
eines zeigte sich sofort schon darin, daß sich innerhalb desselben Sonderver¬
eine bildeten; der ganze, lose gefügte Bau zerfiel rasch wieder. Inzwischen
hatte im Jahr zuvor, 1828, zuerst ein größerer deutscher Staat, Hessen-
Darmstadt. Preußen die Hand gereicht und war seinem Zollsystem beige¬
treten; ihm folgten Reuß, Weimar und Kurhessen. Der Beitritt des letztern
war von entscheidender Wichtigkeit, denn er verband die beiden getrennten
Theile Preußens und vollendete so ihre materielle Verschmelzung; von nun
ab war ein mitteldeutscher Verein nicht mehr möglich. Und während einer¬
seits die Zolleinnahmen der beigetretenen Staaten nach dem Princip der
Kopfzahl-Vertheilung sich rasch mehrten, ergab sich als Resultat der bayerisch-
württembergischen Zolleinigung, daß die Verwaltungskosten nicht weniger als
44Vo der Bruttoeinnahme betrugen. So mußten sie sich, da Baden im Hin¬
blick auf die Einigung mit Preußen den Beitritt stetig abgelehnt, wohl ent¬
schließen, dem großen Vereine die Hand zu reichen. 1833 folgte auch Sachsen,
1835 Baden, so daß nun Deutschlands (von Oestreich abgesehen) ein Zoll¬
gebiet bildeten und das Project, welches Metternich vornehm ungläubig be¬
lächelt hatte, Thatsache geworden war.

Merkwürdig und lehrreich bleibt es. daß dies Resultat rein den Re¬
gierungen zu verdanken ist, während die öffentliche Meinung in der richtigen
Einsicht zurückblieb; nirgend hat eine Ständekammer zum Beitritt gedrängt,
wohl aber haben die Volksvertretungen ebenso wie der Handelsstand große
Schwierigkeiten gemacht. Einen starken Antheil an dieser Opposition hatte
die Abneigung des Südens, welcher sich viel auf seine konstitutionellen Ver¬
fassungen einbildete, gegen das absolutistische Preußen; gerade die süddeut¬
schen Liberalen, welche die nationale Einigung auf ihre Fahne schrieben,
widersetzten sich derselben, als sie auf materiellem Gebiete verwirklicht werden
sollte. Noch entschiedener machte sich die Abneigung durch die Divergenz
ökonomischer Interessen geltend. Damals gab es im Süden verhältnißmäßig
wenig Großindustrie, und gar keine Fabrikdistricte wie in Schlesien, West-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/99>, abgerufen am 24.07.2024.