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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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Grundsatz der preußischen Gesetzgebung für die Zukunft gelten solle. Bei
der Entwerfung des Tarifs ging man sodann von dem durchaus richtigen
Gesichtspunkte aus, ausländische Gegenstände der unmittelbaren Verzehrung,
in welchen die Concurrenz des Inlandes ausgeschlossen war, wie Zucker.
Kaffee, Tabake, Gewürze (Rübenzucker kannte man damals noch nicht) so
hoch zu belasten, als es ohne Gefahr erheblichen Schmuggels geschehen könne,
die Zölle auf fremde Fabrikate aber möglichst niedrig zu setzen; man nahm
als Durchschnitt 10"/o an. Am 26. Mai 1818 erschien das Gesetz, welches
den Zolltarif feststellte und die Grundlage des Zollvereinstarifs geworden
ist; es ruhte auf durchaus gesunden Principien und darf als ein Resultat
der besten Zeit der altpreußischen Beamtenschule gelten. Unter ihm hob sich
das materielle Wohl des so tief erschöpften Landes rasch in einer Weise,
welche die Aufmerksamkeit der anderen deutschen Staaten und des Auslandes
erregte, aber nur darauf sich begründete, daß jedem Einzelnen gestattet war,
freien Gebrauch von seinen Kräften zu machen. An diesem Princip und an
der Autonomie in materiellen Beziehungen hielt die preußische Regierung
auch in der traurigen Epoche fest, in der sie sich auf dem Gebiet der Politik
ganz von Oestreich ins Schlepptau nehmen ließ; sie blieb fest gegen die hef¬
tigen Anfeindungen der Mittel- und Kleinstaaten, welche sich durch die Her¬
stellung der preußischen Zollgrenze behindert fanden; daneben begann jetzt
Friedrich List seine schutzzöllnerische Agitation als Vertreter des deutschen
Handelsvereins, welcher die Sache der Fabrikanten mit ebenso viel Wärme
als Unklarheit verfocht. Graf Bernstorff erklärte auf den Wiener Ministerial-
conferenzen. daß Preußen von seinem System in keinem Punkte abgehen
könne, nur durch Verträge der einzelnen Staaten unter einander könne ge¬
holfen werden. Alle Versuche, etwas Gemeinsames für Deutschland zu gründen,
mußten übrigens schon daran scheitern, daß Oestreich ebenso entschlossen war,
bei seinem absoluten Prohibitivsystem zu beharren; nicht einmal der freie
Verkehr mit Getreide und anderen nothwendigen Lebensmitteln war durch"
zusetzen; als es zum Beschluß kommen sollte, war Kaiser Franz nach Prag
gereist und Metternich wartete auf Instruction, bis die Conferenzen aus
waren. Inzwischen betrat Preußen in aller Stille den bezeichneten Weg der
Verträge. 1813 schloß sich Schwarzburg-Sondershausen dem Zollsystem an,
1822 Rudolstadt, sodann andere kleinere Staaten für ihre Enclaven. Inzwischen
versuchten die Südstaaten sich zu einem gemeinsamen Gebiet zu organisiren,
um Retorsionsmaßregeln gegen das preußische System zu ergreifen, aber die
Schwierigkeiten traten auf allen Seiten entgegen. Eine klare Politik ver¬
folgte bei den Verhandlungen nur Baden, das durch den trefflichen Nebenius
vertreten war, welchem schon die Gründung des künftigen großen Zollvereins
vorschwebte, und der deshalb entschieden Allem entgegentrat, was diesen hin-


Grundsatz der preußischen Gesetzgebung für die Zukunft gelten solle. Bei
der Entwerfung des Tarifs ging man sodann von dem durchaus richtigen
Gesichtspunkte aus, ausländische Gegenstände der unmittelbaren Verzehrung,
in welchen die Concurrenz des Inlandes ausgeschlossen war, wie Zucker.
Kaffee, Tabake, Gewürze (Rübenzucker kannte man damals noch nicht) so
hoch zu belasten, als es ohne Gefahr erheblichen Schmuggels geschehen könne,
die Zölle auf fremde Fabrikate aber möglichst niedrig zu setzen; man nahm
als Durchschnitt 10»/o an. Am 26. Mai 1818 erschien das Gesetz, welches
den Zolltarif feststellte und die Grundlage des Zollvereinstarifs geworden
ist; es ruhte auf durchaus gesunden Principien und darf als ein Resultat
der besten Zeit der altpreußischen Beamtenschule gelten. Unter ihm hob sich
das materielle Wohl des so tief erschöpften Landes rasch in einer Weise,
welche die Aufmerksamkeit der anderen deutschen Staaten und des Auslandes
erregte, aber nur darauf sich begründete, daß jedem Einzelnen gestattet war,
freien Gebrauch von seinen Kräften zu machen. An diesem Princip und an
der Autonomie in materiellen Beziehungen hielt die preußische Regierung
auch in der traurigen Epoche fest, in der sie sich auf dem Gebiet der Politik
ganz von Oestreich ins Schlepptau nehmen ließ; sie blieb fest gegen die hef¬
tigen Anfeindungen der Mittel- und Kleinstaaten, welche sich durch die Her¬
stellung der preußischen Zollgrenze behindert fanden; daneben begann jetzt
Friedrich List seine schutzzöllnerische Agitation als Vertreter des deutschen
Handelsvereins, welcher die Sache der Fabrikanten mit ebenso viel Wärme
als Unklarheit verfocht. Graf Bernstorff erklärte auf den Wiener Ministerial-
conferenzen. daß Preußen von seinem System in keinem Punkte abgehen
könne, nur durch Verträge der einzelnen Staaten unter einander könne ge¬
holfen werden. Alle Versuche, etwas Gemeinsames für Deutschland zu gründen,
mußten übrigens schon daran scheitern, daß Oestreich ebenso entschlossen war,
bei seinem absoluten Prohibitivsystem zu beharren; nicht einmal der freie
Verkehr mit Getreide und anderen nothwendigen Lebensmitteln war durch»
zusetzen; als es zum Beschluß kommen sollte, war Kaiser Franz nach Prag
gereist und Metternich wartete auf Instruction, bis die Conferenzen aus
waren. Inzwischen betrat Preußen in aller Stille den bezeichneten Weg der
Verträge. 1813 schloß sich Schwarzburg-Sondershausen dem Zollsystem an,
1822 Rudolstadt, sodann andere kleinere Staaten für ihre Enclaven. Inzwischen
versuchten die Südstaaten sich zu einem gemeinsamen Gebiet zu organisiren,
um Retorsionsmaßregeln gegen das preußische System zu ergreifen, aber die
Schwierigkeiten traten auf allen Seiten entgegen. Eine klare Politik ver¬
folgte bei den Verhandlungen nur Baden, das durch den trefflichen Nebenius
vertreten war, welchem schon die Gründung des künftigen großen Zollvereins
vorschwebte, und der deshalb entschieden Allem entgegentrat, was diesen hin-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/98>, abgerufen am 24.07.2024.