Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

sich bei den großen Culturvölkern verrufen gemacht haben. Weder ist Un¬
garn dem übrigen Oestreich militairisch gewachsen, noch kann es unter einer
Welt von slavischen Feinden des Rückhalts an den Deutsch-Oestreichern ent¬
behren; zur Zeit ist das Land weder reich, noch gebildet oder fleißig genug,
um auch nur auf wirthschaftlichem Gebiet die Unterstützung deutschen Fleißes. '
deutschen Capitals und deutscher Intelligenz entmissen zu können. Wenn es
dennoch den Anspruch erhebt, ein selbständiges nationales Staatswesen zu
besitzen, so kann dieser Anspruch nur durch ein ungewöhnliches Maß politischer
Bildung, Selbsterkenntniß und Mäßigung gerechtfertigt werden. Diese Eigen¬
schaften sind aber weder mit Großmachtsträumen, noch mit Zumuthungen
vereinbar, welche unter gänzlicher Verkennung der gegebenen Verhältnisse die
unentgeltliche Aufopferung der westlichen Reichshälfte für ungarische Interessen,
Traditionen und Phantasien verlangen.

Der Ausgleich von 1867 beruht nicht nur darauf, daß Ungarn sich mit
den ihm von der Regierung gemachten Bedingungen zufrieden erklärt hat.
sondern zur Hälfte darauf, daß das deutsche Element in der Lage blieb, in
der westlichen Reichshälfte den Ausschlag zu geben und durch gegenseitige Unter-
stützung an der Erhaltung der neuen Ordnung interessirt zu werden. Mit der
ungarischen Zufriedenheit und Genüge an den Errungenschaften von 1867 ist
es bereits zu Ende und die deutsche hat nicht einmal angefangen. Nicht genug,
daß das Verhältniß der Deutsch-Oestreicher zu den Magyaren trotz des gemein¬
samen Gegensatzes gegen die Slaven ein höchst unerquickliches gewesen und
geblieben ist -- es liegen bereits Anzeichen dafür vor. daß man mit den
Slaven Frieden schließen will, um nicht vollständig den Ungarn preisgegeben
zu werden. Ein neu gegründetes höhnisches Nationalorgan, die zu Berlin er¬
scheinende "Lorrespouäanoö Isonequö", feiert die Erfolge der Pester Oppo¬
sitionspartei bereits als hochwillkommenes Ereigniß und ruft den sieges¬
trunkenen Wählern Kossuths und den übrigen radicalen Größen ein wenig
schmeichelhaftes Bravo zu. "Eine gegenseitige Verständigung (so. der Czechen
mit den Deutschen)", heißt es a. a. O.. "wird täglich wahrscheinlicher. , . .
Mindestens steht Eines fest: das gegenwärtige System ist durch dieses Er¬
eigniß (eben die ungarischen Wahlen) bis in seinen Grundfesten erschüttert.
Die Unzufriedenheit nimmt gerade bei der deutschen Bevölkerung zu und zwar
von der empfindlichsten Seite -- der der materiellen Interessen".

Sie V08 voll vobis! Just der Zeitpunkt, in welchem die eisleithanischen
Anhänger des dualistischen Systems ins Schwanken kommen und an der
Durchführbarkeit dieses Systems irre zu werden beginnen -- diesen wählt
man in Ungarn dazu aus. der Welt zu beweisen, daß der vor zwei Jahren
geschlossene Compromiß auch nach ungarischer Meinung unhaltbar ist. Die
wenigen Freunde, die man in Wien besessen, werden durch Erweiterung der


sich bei den großen Culturvölkern verrufen gemacht haben. Weder ist Un¬
garn dem übrigen Oestreich militairisch gewachsen, noch kann es unter einer
Welt von slavischen Feinden des Rückhalts an den Deutsch-Oestreichern ent¬
behren; zur Zeit ist das Land weder reich, noch gebildet oder fleißig genug,
um auch nur auf wirthschaftlichem Gebiet die Unterstützung deutschen Fleißes. '
deutschen Capitals und deutscher Intelligenz entmissen zu können. Wenn es
dennoch den Anspruch erhebt, ein selbständiges nationales Staatswesen zu
besitzen, so kann dieser Anspruch nur durch ein ungewöhnliches Maß politischer
Bildung, Selbsterkenntniß und Mäßigung gerechtfertigt werden. Diese Eigen¬
schaften sind aber weder mit Großmachtsträumen, noch mit Zumuthungen
vereinbar, welche unter gänzlicher Verkennung der gegebenen Verhältnisse die
unentgeltliche Aufopferung der westlichen Reichshälfte für ungarische Interessen,
Traditionen und Phantasien verlangen.

Der Ausgleich von 1867 beruht nicht nur darauf, daß Ungarn sich mit
den ihm von der Regierung gemachten Bedingungen zufrieden erklärt hat.
sondern zur Hälfte darauf, daß das deutsche Element in der Lage blieb, in
der westlichen Reichshälfte den Ausschlag zu geben und durch gegenseitige Unter-
stützung an der Erhaltung der neuen Ordnung interessirt zu werden. Mit der
ungarischen Zufriedenheit und Genüge an den Errungenschaften von 1867 ist
es bereits zu Ende und die deutsche hat nicht einmal angefangen. Nicht genug,
daß das Verhältniß der Deutsch-Oestreicher zu den Magyaren trotz des gemein¬
samen Gegensatzes gegen die Slaven ein höchst unerquickliches gewesen und
geblieben ist — es liegen bereits Anzeichen dafür vor. daß man mit den
Slaven Frieden schließen will, um nicht vollständig den Ungarn preisgegeben
zu werden. Ein neu gegründetes höhnisches Nationalorgan, die zu Berlin er¬
scheinende „Lorrespouäanoö Isonequö", feiert die Erfolge der Pester Oppo¬
sitionspartei bereits als hochwillkommenes Ereigniß und ruft den sieges¬
trunkenen Wählern Kossuths und den übrigen radicalen Größen ein wenig
schmeichelhaftes Bravo zu. „Eine gegenseitige Verständigung (so. der Czechen
mit den Deutschen)", heißt es a. a. O.. „wird täglich wahrscheinlicher. , . .
Mindestens steht Eines fest: das gegenwärtige System ist durch dieses Er¬
eigniß (eben die ungarischen Wahlen) bis in seinen Grundfesten erschüttert.
Die Unzufriedenheit nimmt gerade bei der deutschen Bevölkerung zu und zwar
von der empfindlichsten Seite — der der materiellen Interessen".

Sie V08 voll vobis! Just der Zeitpunkt, in welchem die eisleithanischen
Anhänger des dualistischen Systems ins Schwanken kommen und an der
Durchführbarkeit dieses Systems irre zu werden beginnen — diesen wählt
man in Ungarn dazu aus. der Welt zu beweisen, daß der vor zwei Jahren
geschlossene Compromiß auch nach ungarischer Meinung unhaltbar ist. Die
wenigen Freunde, die man in Wien besessen, werden durch Erweiterung der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0069" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/120756"/>
          <p xml:id="ID_167" prev="#ID_166"> sich bei den großen Culturvölkern verrufen gemacht haben. Weder ist Un¬<lb/>
garn dem übrigen Oestreich militairisch gewachsen, noch kann es unter einer<lb/>
Welt von slavischen Feinden des Rückhalts an den Deutsch-Oestreichern ent¬<lb/>
behren; zur Zeit ist das Land weder reich, noch gebildet oder fleißig genug,<lb/>
um auch nur auf wirthschaftlichem Gebiet die Unterstützung deutschen Fleißes. '<lb/>
deutschen Capitals und deutscher Intelligenz entmissen zu können. Wenn es<lb/>
dennoch den Anspruch erhebt, ein selbständiges nationales Staatswesen zu<lb/>
besitzen, so kann dieser Anspruch nur durch ein ungewöhnliches Maß politischer<lb/>
Bildung, Selbsterkenntniß und Mäßigung gerechtfertigt werden. Diese Eigen¬<lb/>
schaften sind aber weder mit Großmachtsträumen, noch mit Zumuthungen<lb/>
vereinbar, welche unter gänzlicher Verkennung der gegebenen Verhältnisse die<lb/>
unentgeltliche Aufopferung der westlichen Reichshälfte für ungarische Interessen,<lb/>
Traditionen und Phantasien verlangen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_168"> Der Ausgleich von 1867 beruht nicht nur darauf, daß Ungarn sich mit<lb/>
den ihm von der Regierung gemachten Bedingungen zufrieden erklärt hat.<lb/>
sondern zur Hälfte darauf, daß das deutsche Element in der Lage blieb, in<lb/>
der westlichen Reichshälfte den Ausschlag zu geben und durch gegenseitige Unter-<lb/>
stützung an der Erhaltung der neuen Ordnung interessirt zu werden. Mit der<lb/>
ungarischen Zufriedenheit und Genüge an den Errungenschaften von 1867 ist<lb/>
es bereits zu Ende und die deutsche hat nicht einmal angefangen. Nicht genug,<lb/>
daß das Verhältniß der Deutsch-Oestreicher zu den Magyaren trotz des gemein¬<lb/>
samen Gegensatzes gegen die Slaven ein höchst unerquickliches gewesen und<lb/>
geblieben ist &#x2014; es liegen bereits Anzeichen dafür vor. daß man mit den<lb/>
Slaven Frieden schließen will, um nicht vollständig den Ungarn preisgegeben<lb/>
zu werden. Ein neu gegründetes höhnisches Nationalorgan, die zu Berlin er¬<lb/>
scheinende &#x201E;Lorrespouäanoö Isonequö", feiert die Erfolge der Pester Oppo¬<lb/>
sitionspartei bereits als hochwillkommenes Ereigniß und ruft den sieges¬<lb/>
trunkenen Wählern Kossuths und den übrigen radicalen Größen ein wenig<lb/>
schmeichelhaftes Bravo zu. &#x201E;Eine gegenseitige Verständigung (so. der Czechen<lb/>
mit den Deutschen)", heißt es a. a. O.. &#x201E;wird täglich wahrscheinlicher. , . .<lb/>
Mindestens steht Eines fest: das gegenwärtige System ist durch dieses Er¬<lb/>
eigniß (eben die ungarischen Wahlen) bis in seinen Grundfesten erschüttert.<lb/>
Die Unzufriedenheit nimmt gerade bei der deutschen Bevölkerung zu und zwar<lb/>
von der empfindlichsten Seite &#x2014; der der materiellen Interessen".</p><lb/>
          <p xml:id="ID_169" next="#ID_170"> Sie V08 voll vobis! Just der Zeitpunkt, in welchem die eisleithanischen<lb/>
Anhänger des dualistischen Systems ins Schwanken kommen und an der<lb/>
Durchführbarkeit dieses Systems irre zu werden beginnen &#x2014; diesen wählt<lb/>
man in Ungarn dazu aus. der Welt zu beweisen, daß der vor zwei Jahren<lb/>
geschlossene Compromiß auch nach ungarischer Meinung unhaltbar ist. Die<lb/>
wenigen Freunde, die man in Wien besessen, werden durch Erweiterung der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0069] sich bei den großen Culturvölkern verrufen gemacht haben. Weder ist Un¬ garn dem übrigen Oestreich militairisch gewachsen, noch kann es unter einer Welt von slavischen Feinden des Rückhalts an den Deutsch-Oestreichern ent¬ behren; zur Zeit ist das Land weder reich, noch gebildet oder fleißig genug, um auch nur auf wirthschaftlichem Gebiet die Unterstützung deutschen Fleißes. ' deutschen Capitals und deutscher Intelligenz entmissen zu können. Wenn es dennoch den Anspruch erhebt, ein selbständiges nationales Staatswesen zu besitzen, so kann dieser Anspruch nur durch ein ungewöhnliches Maß politischer Bildung, Selbsterkenntniß und Mäßigung gerechtfertigt werden. Diese Eigen¬ schaften sind aber weder mit Großmachtsträumen, noch mit Zumuthungen vereinbar, welche unter gänzlicher Verkennung der gegebenen Verhältnisse die unentgeltliche Aufopferung der westlichen Reichshälfte für ungarische Interessen, Traditionen und Phantasien verlangen. Der Ausgleich von 1867 beruht nicht nur darauf, daß Ungarn sich mit den ihm von der Regierung gemachten Bedingungen zufrieden erklärt hat. sondern zur Hälfte darauf, daß das deutsche Element in der Lage blieb, in der westlichen Reichshälfte den Ausschlag zu geben und durch gegenseitige Unter- stützung an der Erhaltung der neuen Ordnung interessirt zu werden. Mit der ungarischen Zufriedenheit und Genüge an den Errungenschaften von 1867 ist es bereits zu Ende und die deutsche hat nicht einmal angefangen. Nicht genug, daß das Verhältniß der Deutsch-Oestreicher zu den Magyaren trotz des gemein¬ samen Gegensatzes gegen die Slaven ein höchst unerquickliches gewesen und geblieben ist — es liegen bereits Anzeichen dafür vor. daß man mit den Slaven Frieden schließen will, um nicht vollständig den Ungarn preisgegeben zu werden. Ein neu gegründetes höhnisches Nationalorgan, die zu Berlin er¬ scheinende „Lorrespouäanoö Isonequö", feiert die Erfolge der Pester Oppo¬ sitionspartei bereits als hochwillkommenes Ereigniß und ruft den sieges¬ trunkenen Wählern Kossuths und den übrigen radicalen Größen ein wenig schmeichelhaftes Bravo zu. „Eine gegenseitige Verständigung (so. der Czechen mit den Deutschen)", heißt es a. a. O.. „wird täglich wahrscheinlicher. , . . Mindestens steht Eines fest: das gegenwärtige System ist durch dieses Er¬ eigniß (eben die ungarischen Wahlen) bis in seinen Grundfesten erschüttert. Die Unzufriedenheit nimmt gerade bei der deutschen Bevölkerung zu und zwar von der empfindlichsten Seite — der der materiellen Interessen". Sie V08 voll vobis! Just der Zeitpunkt, in welchem die eisleithanischen Anhänger des dualistischen Systems ins Schwanken kommen und an der Durchführbarkeit dieses Systems irre zu werden beginnen — diesen wählt man in Ungarn dazu aus. der Welt zu beweisen, daß der vor zwei Jahren geschlossene Compromiß auch nach ungarischer Meinung unhaltbar ist. Die wenigen Freunde, die man in Wien besessen, werden durch Erweiterung der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/69
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/69>, abgerufen am 05.07.2024.