Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.höchsten Wesen frivole, ja geradezu unanständige Reden in den Mund zu
Im weiteren Verlause legt der Dichter geschickt Gott selbst die Ausfor¬ Die Art der Polemik zu kennzeichnen, möge der Inhalt einiger Strophen höchsten Wesen frivole, ja geradezu unanständige Reden in den Mund zu
Im weiteren Verlause legt der Dichter geschickt Gott selbst die Ausfor¬ Die Art der Polemik zu kennzeichnen, möge der Inhalt einiger Strophen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0056" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/120743"/> <p xml:id="ID_136" prev="#ID_135"> höchsten Wesen frivole, ja geradezu unanständige Reden in den Mund zu<lb/> legen, wie das in den unterdrückten Steljen des Gedichts geschieht, muß bei<lb/> einem Geistlichen befremden. Aehnliche Erscheinungen in volksthümlichen<lb/> Schelmenliedern oder Bühnenaufführungen sind damit gar nicht auf eine Stufe<lb/> zu stellen. — Uebrigens war diese Art, sich in persönlichem Verkehr mit Gott<lb/> und den Heiligen darzustellen, bei unserem Dichter besonders beliebt. Ein<lb/> Lied, welches nach einer längeren Unterbrechung seiner Wanderungen im<lb/> Kloster Montaudon entstanden zu sein scheint, beginnt in folgender Art:</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_3" type="poem"> <l> Jüngst kam ich im Himmel an.<lb/> Traun mit Lust erfüllt mich dies,<lb/> Denn mich mild willkommen hieß<lb/> Gott, dem Alles Unterthan,<lb/> Meer und Land und Bergeskronen.<lb/> „Weshalb nahst du meinem Thron<lb/> Und wie geht's in Montaudon,<lb/> Wo dir viel Gefährten wohnen?"</l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_137"> Im weiteren Verlause legt der Dichter geschickt Gott selbst die Ausfor¬<lb/> derung in den Mund, das Kloster wieder zu verlassen und singend durch die<lb/> Welt zu ziehen, „denn", spricht der Herr, „mir ist lieber, wenn du lachst und<lb/> singst, die Welt wird fröhlicher und Montaudon zieht Nutzen davon." —<lb/> Wenn unser Dichter, wie wir gesehen, gegen alle Regeln der Courtoisie die<lb/> Frauen mit seinem Spotte traf, so ist es begreiflich, daß er gegen sein eige¬<lb/> nes Geschlecht und insbesondere gegen seine Kunstgenossen nicht mehr Rück¬<lb/> sicht übte. Ein von ihm erhaltenes Sirventes ergeht sich über eine große<lb/> Anzahl der beliebtesten gleichzeitigen Trobadors in den schonungslosesten<lb/> Ausdrücken. Als Vorbild zu seinem Sirventes diente dem Mönch von Mon¬<lb/> taudon ein ähnliches Gedicht des Trobadors Peire von Auvergne, worin die¬<lb/> ser beliebte Dichter den collegialischen Gesinnungen gegen zwölf seiner Kunst¬<lb/> genossen Luft macht. Mehrere der von Peire Gemißhandelten sind uns gänz¬<lb/> lich unbekannt, doch scheinen alle zu ihrer Zeit bedeutenden Ruhmes genossen<lb/> zu haben.</p><lb/> <p xml:id="ID_138" next="#ID_139"> Die Art der Polemik zu kennzeichnen, möge der Inhalt einiger Strophen<lb/> Peire's hier folgen: „Guiraut de Börnen gleicht einem trockenen Tuche in der<lb/> Sonne mit seinem dünnen erbärmlichen Singen, welches wie das einer alten<lb/> Eimerträgerin klingt. Wenn er sich selbst im Spiegel sähe, würde er sich<lb/> keiner Hagebutte werthschätzen." Bernard von Ventadour, dem süßen Sänger<lb/> der Liebe, wird seine niedere Herkunft vorgeworfen. Er ist — heißt es —<lb/> noch um ein Stück kleiner wie Guiraut de Börnen. In seinem Vater<lb/> hat er einen wackeren Knecht beim Bogenschießen, und seine Mutter heizte<lb/> den Ofen und sammelte Reisig. In dieser Weise geifert und schimpft</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0056]
höchsten Wesen frivole, ja geradezu unanständige Reden in den Mund zu
legen, wie das in den unterdrückten Steljen des Gedichts geschieht, muß bei
einem Geistlichen befremden. Aehnliche Erscheinungen in volksthümlichen
Schelmenliedern oder Bühnenaufführungen sind damit gar nicht auf eine Stufe
zu stellen. — Uebrigens war diese Art, sich in persönlichem Verkehr mit Gott
und den Heiligen darzustellen, bei unserem Dichter besonders beliebt. Ein
Lied, welches nach einer längeren Unterbrechung seiner Wanderungen im
Kloster Montaudon entstanden zu sein scheint, beginnt in folgender Art:
Jüngst kam ich im Himmel an.
Traun mit Lust erfüllt mich dies,
Denn mich mild willkommen hieß
Gott, dem Alles Unterthan,
Meer und Land und Bergeskronen.
„Weshalb nahst du meinem Thron
Und wie geht's in Montaudon,
Wo dir viel Gefährten wohnen?"
Im weiteren Verlause legt der Dichter geschickt Gott selbst die Ausfor¬
derung in den Mund, das Kloster wieder zu verlassen und singend durch die
Welt zu ziehen, „denn", spricht der Herr, „mir ist lieber, wenn du lachst und
singst, die Welt wird fröhlicher und Montaudon zieht Nutzen davon." —
Wenn unser Dichter, wie wir gesehen, gegen alle Regeln der Courtoisie die
Frauen mit seinem Spotte traf, so ist es begreiflich, daß er gegen sein eige¬
nes Geschlecht und insbesondere gegen seine Kunstgenossen nicht mehr Rück¬
sicht übte. Ein von ihm erhaltenes Sirventes ergeht sich über eine große
Anzahl der beliebtesten gleichzeitigen Trobadors in den schonungslosesten
Ausdrücken. Als Vorbild zu seinem Sirventes diente dem Mönch von Mon¬
taudon ein ähnliches Gedicht des Trobadors Peire von Auvergne, worin die¬
ser beliebte Dichter den collegialischen Gesinnungen gegen zwölf seiner Kunst¬
genossen Luft macht. Mehrere der von Peire Gemißhandelten sind uns gänz¬
lich unbekannt, doch scheinen alle zu ihrer Zeit bedeutenden Ruhmes genossen
zu haben.
Die Art der Polemik zu kennzeichnen, möge der Inhalt einiger Strophen
Peire's hier folgen: „Guiraut de Börnen gleicht einem trockenen Tuche in der
Sonne mit seinem dünnen erbärmlichen Singen, welches wie das einer alten
Eimerträgerin klingt. Wenn er sich selbst im Spiegel sähe, würde er sich
keiner Hagebutte werthschätzen." Bernard von Ventadour, dem süßen Sänger
der Liebe, wird seine niedere Herkunft vorgeworfen. Er ist — heißt es —
noch um ein Stück kleiner wie Guiraut de Börnen. In seinem Vater
hat er einen wackeren Knecht beim Bogenschießen, und seine Mutter heizte
den Ofen und sammelte Reisig. In dieser Weise geifert und schimpft
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |