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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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stellten zweiten Pfarrer Sarai bestehen sollte, so protestirten vier Gemeinde¬
vorsteher bei der Gemeinde dagegen, mit dem Verlangen, daß noch ein Hand¬
werker als drittes Mitglied die Deputation begleite. Der Streit ward bald
so bitter, daß die protestirende Partei den Pfarrer überhaupt ausgeschlossen
wissen wollte. Sie unterlag, aber die Spaltung in der Gemeinde war da
und blieb. Sie war hauptsächlich durch den Standesunterschied hervorgerufen
worden, die Handwerker wollten neben den "Honoratioren" Antheil am
Regiment gewinnen. Es ist der alte Gegensatz der Zünfte und Patricier in
modernerer Form; dazu scheinen sich noch landsmannschaftlicher Particularis-
mus und die Eifersucht der übrigen Deutschen gegen die "Sachsen" gesellt zu
haben. Da Glöckner bald darauf starb, wollten mehrere Gemeindevorsteher
im Einverständniß mit dem englischen Consul ein Mitglied der englischen
^ Bibelgesellschaft zu seinem Nachfolger verschreiben, doch gelang es dem öst¬
reichischen Consul die Wahl Sarais -- er war siebenbürger -- durchzusetzen.
Dieser war leider nicht der Mann, der durch ein unangreifbares Auftreten
seine Gegner versöhnte oder wenigstens zum Schweigen brachte. Es er¬
scheint unzweifelhaft, daß er sofort die neue Gemeindeordnung auf ungesetz¬
liche Weise zu stürzen suchte. Die schwedische Gesandtschaft in Constantinopel
hatte inzwischen dem östreichischen und brittischen Agenten in Bukarest den
Schutz der Gemeinde übertragen. Mit Berufung darauf erließen letztere am
17. März 1829 ohne Befragung der Gemeinde ein neues Statut, das ver¬
nünftigerweise die Doppelvertretung aushob und eine neue aus acht Mit¬
gliedern bestehende einsetzte, wovon vier aus der Classe der Honoratioren
und Artisten und vier aus der der Professionisten sein sollten, daneben aber
keine Gemeindeversammlung gestattete, da die Gemeinde alle ihre Rechte auf
die acht Vorsteher durch deren Wahl übertrage. Der Pastor sollte in der Ver¬
sammlung der Vorsteher den Vorsitz führen, aber keine Stimme haben; dagegen
durfte diese Versammlung nur über die Leitung der Gemeindeangelegenheiten
berathen, "mit Ausschluß jeder anderen selbst kirchlichen Frage, deren Er¬
kenntniß nur der betreffenden Oberbehörde zukommt." Vier Wochen später
erließen beide Consuln eine Verordnung, daß jeder, der ferner noch zur Ge¬
meinde gehören wolle, in eine cursirende Liste seinen Namen und den Bei¬
trag, zu dem er sich verpflichte, einzeichnen solle. So sollte die beinahe
hundertjährige Autonomie der Gemeinde von Behörden vernichtet werden,
die ihr nur stellvertretend Schutz angedeihen ließen. Die Unzufriedenheit und
die Spaltung wurden so groß, daß viele Mitglieder sich der seit 1816 be-
stehenden ungarisch-reformirten Gemeinde anschlössen. Da Pfarrer Sarai auf
Seite der Agenten stand und 1832 die vor acht Jahren projectirte Collecten-
reise endlich antreten wollte, hatte zwar von den acht neuen Vorstehern
fünf für sich, aber den größeren Theil der Gemeinde gegen sich. Er kehrte


stellten zweiten Pfarrer Sarai bestehen sollte, so protestirten vier Gemeinde¬
vorsteher bei der Gemeinde dagegen, mit dem Verlangen, daß noch ein Hand¬
werker als drittes Mitglied die Deputation begleite. Der Streit ward bald
so bitter, daß die protestirende Partei den Pfarrer überhaupt ausgeschlossen
wissen wollte. Sie unterlag, aber die Spaltung in der Gemeinde war da
und blieb. Sie war hauptsächlich durch den Standesunterschied hervorgerufen
worden, die Handwerker wollten neben den „Honoratioren" Antheil am
Regiment gewinnen. Es ist der alte Gegensatz der Zünfte und Patricier in
modernerer Form; dazu scheinen sich noch landsmannschaftlicher Particularis-
mus und die Eifersucht der übrigen Deutschen gegen die „Sachsen" gesellt zu
haben. Da Glöckner bald darauf starb, wollten mehrere Gemeindevorsteher
im Einverständniß mit dem englischen Consul ein Mitglied der englischen
^ Bibelgesellschaft zu seinem Nachfolger verschreiben, doch gelang es dem öst¬
reichischen Consul die Wahl Sarais — er war siebenbürger — durchzusetzen.
Dieser war leider nicht der Mann, der durch ein unangreifbares Auftreten
seine Gegner versöhnte oder wenigstens zum Schweigen brachte. Es er¬
scheint unzweifelhaft, daß er sofort die neue Gemeindeordnung auf ungesetz¬
liche Weise zu stürzen suchte. Die schwedische Gesandtschaft in Constantinopel
hatte inzwischen dem östreichischen und brittischen Agenten in Bukarest den
Schutz der Gemeinde übertragen. Mit Berufung darauf erließen letztere am
17. März 1829 ohne Befragung der Gemeinde ein neues Statut, das ver¬
nünftigerweise die Doppelvertretung aushob und eine neue aus acht Mit¬
gliedern bestehende einsetzte, wovon vier aus der Classe der Honoratioren
und Artisten und vier aus der der Professionisten sein sollten, daneben aber
keine Gemeindeversammlung gestattete, da die Gemeinde alle ihre Rechte auf
die acht Vorsteher durch deren Wahl übertrage. Der Pastor sollte in der Ver¬
sammlung der Vorsteher den Vorsitz führen, aber keine Stimme haben; dagegen
durfte diese Versammlung nur über die Leitung der Gemeindeangelegenheiten
berathen, „mit Ausschluß jeder anderen selbst kirchlichen Frage, deren Er¬
kenntniß nur der betreffenden Oberbehörde zukommt." Vier Wochen später
erließen beide Consuln eine Verordnung, daß jeder, der ferner noch zur Ge¬
meinde gehören wolle, in eine cursirende Liste seinen Namen und den Bei¬
trag, zu dem er sich verpflichte, einzeichnen solle. So sollte die beinahe
hundertjährige Autonomie der Gemeinde von Behörden vernichtet werden,
die ihr nur stellvertretend Schutz angedeihen ließen. Die Unzufriedenheit und
die Spaltung wurden so groß, daß viele Mitglieder sich der seit 1816 be-
stehenden ungarisch-reformirten Gemeinde anschlössen. Da Pfarrer Sarai auf
Seite der Agenten stand und 1832 die vor acht Jahren projectirte Collecten-
reise endlich antreten wollte, hatte zwar von den acht neuen Vorstehern
fünf für sich, aber den größeren Theil der Gemeinde gegen sich. Er kehrte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/518>, abgerufen am 24.07.2024.