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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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meinte kräftig annahmen. Dann kam 1821 die griechische Revolution mit
ihren Folgen, dann von 1824 -- 1830 jährlich die Pest, 1831 die Cholera,
aber die Gemeinde war jetzt durch Zuzug aus allen Theilen des deutschen
Vaterlandes so herangewachsen, daß sie Alles überstand.

Es beginnt aber um diese Zeit eine zweite Periode ihrer Geschichte. Die
Gemeinde war nicht nur gewachsen, sondern sie war durch den Zuzug aus
verschiedenen Gegenden bunter und mannigfaltiger geworden, damit aber auch
uneiniger und schwieriger zu leiten und zusammenzuhalten als bisher. Die
alten patriarchalischen Verhältnisse, wie sie zur Zeit von Glöckner's Ankunft
bestanden, waren nicht mehr, die Stellung des Pfarrers als die eines natür¬
lichen Oberhauptes der Gemeinde wurde von den neuen Mitgliedern nicht
mehr respectirt. In der ersten Gemeindeordnung von 1753 stehen neben
dem Geistlichen nur zwei Kirchenväter, die nach seinem Belieben aus der
Gemeinde gewählt werden; 1785 wird bestimmt, es sollen in Zukunft
zwölf Aelteste der Gemeinde sein, aus deren Zahl die Kirchenväter zu nehmen
seien. Noch hatte die Kirche nur ein sehr geringes Vermögen, die Einkünfte
des Geistlichen waren natürlich auch sehr gering und zumal unsicher. Außer
den Zinsen verschiedener Stiftungen von Seiten der königl. schwedischen Ge¬
sandten in Constantinopel war er auf die Beiträge der Gemeindemitglieder
angewiesen, die häufig säumig waren und unter mancherlei Vorwänden und
Vorwürfen über die Verwaltung?c. sich ihren Verpflichtungen zu entziehen
suchten. Das führte 1818 zur Abfassung neuer Statuten, welche neben den
Kirchenvorstehern die Wahl von sechs Gemeindevorstehern einführten. Diese
konnten Gemeindeversammlungen berufen, an denen die Kirchenvorsteher nur
als Gemeindemitglieder Theil nahmen, und ohne ihre Genehmigung durften
letztere Nichts mehr beschließen. Die Einsammlung und Verwaltung der Ein¬
nahmen sollten zwar beiden gemeinschaftlich sein, aber die Führung der Ge¬
meindelisten fiel den Gemeindevorstehern zu, die Ausschließung aus der Ge¬
meinde den Gemeindeversammlungen. Gleichzeitig ward eine neue Stolar-
taxe entworfen.

Der Pfarrer sträubte sich zwar gegen diese Statuten, aber sie wurden
durchgeführt und g"ven bald Veranlassung zu einem langen Streite, der
schließlich zur Aufhebung dtzs schwedischen und zur Einführung eines gemischten
Preußisch-östreichischen Patronates führte. Man kann nicht sagen, daß die
neue Gemeindeordnung glücklich war, auch waren ihre Bestimmungen nicht
scharf gefaßt. Es konnte nicht ausbleiben, daß Gemeindevorstand und Kirchen-
vorstand in Conflict geriethen. Dies geschah schon 1824, als man zur Aus¬
besserung der Kirche eine Deputation ins protestantische Ausland zur Samm¬
lung einer Collecte auszusenden beschloß. Da die Deputation aus einem
Kirchenvorsteher und dem seit einigen Jahren als Glöckners Gehilfen ange-


meinte kräftig annahmen. Dann kam 1821 die griechische Revolution mit
ihren Folgen, dann von 1824 — 1830 jährlich die Pest, 1831 die Cholera,
aber die Gemeinde war jetzt durch Zuzug aus allen Theilen des deutschen
Vaterlandes so herangewachsen, daß sie Alles überstand.

Es beginnt aber um diese Zeit eine zweite Periode ihrer Geschichte. Die
Gemeinde war nicht nur gewachsen, sondern sie war durch den Zuzug aus
verschiedenen Gegenden bunter und mannigfaltiger geworden, damit aber auch
uneiniger und schwieriger zu leiten und zusammenzuhalten als bisher. Die
alten patriarchalischen Verhältnisse, wie sie zur Zeit von Glöckner's Ankunft
bestanden, waren nicht mehr, die Stellung des Pfarrers als die eines natür¬
lichen Oberhauptes der Gemeinde wurde von den neuen Mitgliedern nicht
mehr respectirt. In der ersten Gemeindeordnung von 1753 stehen neben
dem Geistlichen nur zwei Kirchenväter, die nach seinem Belieben aus der
Gemeinde gewählt werden; 1785 wird bestimmt, es sollen in Zukunft
zwölf Aelteste der Gemeinde sein, aus deren Zahl die Kirchenväter zu nehmen
seien. Noch hatte die Kirche nur ein sehr geringes Vermögen, die Einkünfte
des Geistlichen waren natürlich auch sehr gering und zumal unsicher. Außer
den Zinsen verschiedener Stiftungen von Seiten der königl. schwedischen Ge¬
sandten in Constantinopel war er auf die Beiträge der Gemeindemitglieder
angewiesen, die häufig säumig waren und unter mancherlei Vorwänden und
Vorwürfen über die Verwaltung?c. sich ihren Verpflichtungen zu entziehen
suchten. Das führte 1818 zur Abfassung neuer Statuten, welche neben den
Kirchenvorstehern die Wahl von sechs Gemeindevorstehern einführten. Diese
konnten Gemeindeversammlungen berufen, an denen die Kirchenvorsteher nur
als Gemeindemitglieder Theil nahmen, und ohne ihre Genehmigung durften
letztere Nichts mehr beschließen. Die Einsammlung und Verwaltung der Ein¬
nahmen sollten zwar beiden gemeinschaftlich sein, aber die Führung der Ge¬
meindelisten fiel den Gemeindevorstehern zu, die Ausschließung aus der Ge¬
meinde den Gemeindeversammlungen. Gleichzeitig ward eine neue Stolar-
taxe entworfen.

Der Pfarrer sträubte sich zwar gegen diese Statuten, aber sie wurden
durchgeführt und g»ven bald Veranlassung zu einem langen Streite, der
schließlich zur Aufhebung dtzs schwedischen und zur Einführung eines gemischten
Preußisch-östreichischen Patronates führte. Man kann nicht sagen, daß die
neue Gemeindeordnung glücklich war, auch waren ihre Bestimmungen nicht
scharf gefaßt. Es konnte nicht ausbleiben, daß Gemeindevorstand und Kirchen-
vorstand in Conflict geriethen. Dies geschah schon 1824, als man zur Aus¬
besserung der Kirche eine Deputation ins protestantische Ausland zur Samm¬
lung einer Collecte auszusenden beschloß. Da die Deputation aus einem
Kirchenvorsteher und dem seit einigen Jahren als Glöckners Gehilfen ange-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/517>, abgerufen am 24.07.2024.