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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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ist die Entstehung einer reichen historisch und psychologisch anziehenden Sir-
venteslitteratur leicht erklärt. Eine nur einigermaßen vollständige Uebersicht
des gesammten Materials würde die Grenzen dieser Zeitschrift weit über¬
schreiten; es mußte daher mein Bestreben sein, aus bestimmte charakteristische
Gruppen von Dichtern und Dichtungsstoffen ein helleres Licht fallen zu lassen.

Vielleicht am Interessantesten tritt die Volks- und Einzelindividualität
hervor, wo der Trobador für sein eigenes Interesse oder für die Wahrung
vaterländischer Eigenthümlichkeiten gegen eindringende geistliche und fremd¬
ländische Gewalten zu Felde zieht. Dann bricht oft die leicht zu entfachende
Glut des südfranzösischen Geistes in ursprünglicher Kraft hervor und die
Wirkung ist um so gewaltiger, da weder Furcht noch die Rücksichten feinerer
Bildung und Humanität dem ritterlichen Sänger eine Schranke setzten. Mit
gleicher Lebhaftigkeit behandeln die Trobadors auch poetische, moralische oder
psychologische Streitfragen, und der Vertreter einer der ihrigen entgegen¬
gesetzten Ansicht gilt ihnen oft als der gefährlichste persönliche Feind. Aber
gerade dieses Einsetzen des ganzen Menschen, so sehr es die Ruhe und Klar¬
heit der Discussion beeinträchtigen mochte, erhöht den Reiz des Gedichtes.
Es wird hierbei besonders darauf ankommen in dem Geiste einzelner hervor¬
ragender Männer "den Geist der Zeiten" selbst sich bespiegeln zu lassen. Die
bedeutendsten dahingehörigen Trobadors lebten in dem 12. und dem ersten
Viertel des 13. Jahrhunderts, also in der Blüthezeit provenzalischer Poesie,
und eine seltene Sangeslust und Sangeskraft, wie sie nur aus allgemeiner
Theilnahme der besten Zeitgenossen hervorgehen konnte, weht uns aus ihren
Strophen entgegen.

Doch diese Theilnahme an den dichterischen Gebilden mußte bald den
mit Macht andringenden Wogen religiöser und politischer Kämpfe weichen.
Der Geschmack des Adels für die feineren Weisen höfischer Kunstdichtung
erkaltete allmälig, durch die Kargheit der Großen sank auch die bürgerliche
Stellung der Trobadors, und das immer weiter vordringende nordfranzösische
Element übte auch auf die Sprache den zerstörendsten Einfluß. Gegen das
Einreiben roher Geschmacklosigkeit hielten die besseren Trobadors noch lange
das Banner der Kunst hoch, und diesen Bestrebungen verdanken wir eine
Reihe der trefflichsten Mahn- und Rügelieder. Der gefährlichste Feind jedoch,
welcher sich der frischen keine Beschränkung duldenden Art südfranzösischen
Geistes entgegenstellte, war Rom und die Hierarchie. Der Bekämpfung dieses
Feindes weihten die späteren Trobadors die vollsten Töne ihrer Leier, die
mächtigsten Schläge ihres Schwertes. Daß diese Klänge erfolglos verhallten,
daß die edlen Dichter ihr Blut vergeblich verspritzten, daß Simon von Mont-
fort an der Spitze des fanatischen Kreuzheeres den lauten Ruf nach Freiheit
erstickte, kann den Werth ihres Strebens nicht mindern.


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ist die Entstehung einer reichen historisch und psychologisch anziehenden Sir-
venteslitteratur leicht erklärt. Eine nur einigermaßen vollständige Uebersicht
des gesammten Materials würde die Grenzen dieser Zeitschrift weit über¬
schreiten; es mußte daher mein Bestreben sein, aus bestimmte charakteristische
Gruppen von Dichtern und Dichtungsstoffen ein helleres Licht fallen zu lassen.

Vielleicht am Interessantesten tritt die Volks- und Einzelindividualität
hervor, wo der Trobador für sein eigenes Interesse oder für die Wahrung
vaterländischer Eigenthümlichkeiten gegen eindringende geistliche und fremd¬
ländische Gewalten zu Felde zieht. Dann bricht oft die leicht zu entfachende
Glut des südfranzösischen Geistes in ursprünglicher Kraft hervor und die
Wirkung ist um so gewaltiger, da weder Furcht noch die Rücksichten feinerer
Bildung und Humanität dem ritterlichen Sänger eine Schranke setzten. Mit
gleicher Lebhaftigkeit behandeln die Trobadors auch poetische, moralische oder
psychologische Streitfragen, und der Vertreter einer der ihrigen entgegen¬
gesetzten Ansicht gilt ihnen oft als der gefährlichste persönliche Feind. Aber
gerade dieses Einsetzen des ganzen Menschen, so sehr es die Ruhe und Klar¬
heit der Discussion beeinträchtigen mochte, erhöht den Reiz des Gedichtes.
Es wird hierbei besonders darauf ankommen in dem Geiste einzelner hervor¬
ragender Männer „den Geist der Zeiten" selbst sich bespiegeln zu lassen. Die
bedeutendsten dahingehörigen Trobadors lebten in dem 12. und dem ersten
Viertel des 13. Jahrhunderts, also in der Blüthezeit provenzalischer Poesie,
und eine seltene Sangeslust und Sangeskraft, wie sie nur aus allgemeiner
Theilnahme der besten Zeitgenossen hervorgehen konnte, weht uns aus ihren
Strophen entgegen.

Doch diese Theilnahme an den dichterischen Gebilden mußte bald den
mit Macht andringenden Wogen religiöser und politischer Kämpfe weichen.
Der Geschmack des Adels für die feineren Weisen höfischer Kunstdichtung
erkaltete allmälig, durch die Kargheit der Großen sank auch die bürgerliche
Stellung der Trobadors, und das immer weiter vordringende nordfranzösische
Element übte auch auf die Sprache den zerstörendsten Einfluß. Gegen das
Einreiben roher Geschmacklosigkeit hielten die besseren Trobadors noch lange
das Banner der Kunst hoch, und diesen Bestrebungen verdanken wir eine
Reihe der trefflichsten Mahn- und Rügelieder. Der gefährlichste Feind jedoch,
welcher sich der frischen keine Beschränkung duldenden Art südfranzösischen
Geistes entgegenstellte, war Rom und die Hierarchie. Der Bekämpfung dieses
Feindes weihten die späteren Trobadors die vollsten Töne ihrer Leier, die
mächtigsten Schläge ihres Schwertes. Daß diese Klänge erfolglos verhallten,
daß die edlen Dichter ihr Blut vergeblich verspritzten, daß Simon von Mont-
fort an der Spitze des fanatischen Kreuzheeres den lauten Ruf nach Freiheit
erstickte, kann den Werth ihres Strebens nicht mindern.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/51>, abgerufen am 24.07.2024.