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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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vergaß man die wirklichen Verdienste des ehrgeizigen Mannes. Seit einigen
Monaten endlich gingen die Fluthen immer höher, bis zudem entscheidenden Tage
der Wahlen. Die oppositionellen Parteien haben eine Taktik befolgt, die sich
als vortrefflich erwiesen hat, die nämlich, viele Candidaten zu gleicher Zeit
aufzustellen. Dadurch wird eine größere Zahl von Wählern interesstrt, weil
diese ihre speciellen Wünsche und Ansichten vertreten sehen können; freilich
tritt in den meisten Fällen Zersplitterung der Stimmen ein (und es waren
auch in der That 59 Ballotagen), aber die Mitglieder der Union liderals
sind verpflichtet, zu Gunsten des Candidaten derselben Partei, der die meisten
Stimmen hat, zurückzutreten. Wer das erste Mal angestimmt hat, bleibt
das zweite Mal nicht gern zurück und gibt dann seine Stimme für denjeni¬
gen ab, der ihm, wenn nicht der beste, doch der wenigst schlechte erscheint.

Nun, nach dem Gesammtergebnisse zählt die Opposition aller Art
89 Mitglieder; da aber vier von ihnen doppelt gewählt sind, so wird ihre
Zahl auf 93 steigen. Auf diese Weise wird es wohl auch möglich werden,
Glais-Bizoin und Lavertuchon (Bordeaux), die ihren officiellen Gegnern
unterlegen sind, in die Kammer zu bringen. Verhängniszvolle Zahlen, diese
89 und 93! Die officiellen und gouvernementalen sind' 199 Mann stark.
Aber wie ist diese Majorität erreicht? Vor Allem darf man nicht außer Acht
lassen, daß die gesammte Mehrheit nur ca. 800,000 Stimmen beträgt, wäh¬
rend es noch im Jahre 1863 derer 3Vü Millionen waren! Von 7^2 Millio¬
nen Wählern haben also in diesen sechs Jahren ca. 2^ Millionen die Re¬
gierung verlassen, um auf die Seite der Opposition zu treten. In vielen Be¬
zirken siegte der officielle Candidat mit kaum hundert Stimmen, ja in der
Häute-Saone mit nur 17! Bei den Wahlprüfungen werden wohl allerlei
merkwürdige Dinge ans Licht kommen!

Jedermann weiß, welche Pression eine vielarmige Verwaltung zu üben
im Stande ist; hier besitzt der Kaiser eine Zuckerfabrik; den Bauern wird
gedroht, ihre Rüben würden ihnen nicht mehr abgekauft, wenn sie nicht für
den bezeichneten Candidaten stimmten. Da wird ein Vicinalweg versprochen,
hier eine Eisenbahn; da verbietet der Maire, die Aufrufe des liberalen
Comite's anzuschlagen, in Besancon werden die Wahlprogramme des oppo¬
sitionellen Candidaten Ordinaire vom Polizisten ohne Weiteres herunter¬
gerissen. Die schnödeste Art aber ist die Eintheilung der Wahlbezirke, die
allein von der Regierung ausgeht: die Städte sind natürlich oppositionell;
da werden einfach ein Stadtviertel und mehrere benachbarte Dörfer in einen
Wahlbezirk zusammengekoppelt, wobei die Bauern die Mehrzahl zu Gunsten
des Officiellen bilden. Auf solche listige Weise sahen sich Städte wie Bordeaux
und Nantes um den Mann ihrer Wahl betrogen. Was Wunder, wenn die
Wuth über solche schmähliche Behandlung sie zu offener Empörung treibt!


vergaß man die wirklichen Verdienste des ehrgeizigen Mannes. Seit einigen
Monaten endlich gingen die Fluthen immer höher, bis zudem entscheidenden Tage
der Wahlen. Die oppositionellen Parteien haben eine Taktik befolgt, die sich
als vortrefflich erwiesen hat, die nämlich, viele Candidaten zu gleicher Zeit
aufzustellen. Dadurch wird eine größere Zahl von Wählern interesstrt, weil
diese ihre speciellen Wünsche und Ansichten vertreten sehen können; freilich
tritt in den meisten Fällen Zersplitterung der Stimmen ein (und es waren
auch in der That 59 Ballotagen), aber die Mitglieder der Union liderals
sind verpflichtet, zu Gunsten des Candidaten derselben Partei, der die meisten
Stimmen hat, zurückzutreten. Wer das erste Mal angestimmt hat, bleibt
das zweite Mal nicht gern zurück und gibt dann seine Stimme für denjeni¬
gen ab, der ihm, wenn nicht der beste, doch der wenigst schlechte erscheint.

Nun, nach dem Gesammtergebnisse zählt die Opposition aller Art
89 Mitglieder; da aber vier von ihnen doppelt gewählt sind, so wird ihre
Zahl auf 93 steigen. Auf diese Weise wird es wohl auch möglich werden,
Glais-Bizoin und Lavertuchon (Bordeaux), die ihren officiellen Gegnern
unterlegen sind, in die Kammer zu bringen. Verhängniszvolle Zahlen, diese
89 und 93! Die officiellen und gouvernementalen sind' 199 Mann stark.
Aber wie ist diese Majorität erreicht? Vor Allem darf man nicht außer Acht
lassen, daß die gesammte Mehrheit nur ca. 800,000 Stimmen beträgt, wäh¬
rend es noch im Jahre 1863 derer 3Vü Millionen waren! Von 7^2 Millio¬
nen Wählern haben also in diesen sechs Jahren ca. 2^ Millionen die Re¬
gierung verlassen, um auf die Seite der Opposition zu treten. In vielen Be¬
zirken siegte der officielle Candidat mit kaum hundert Stimmen, ja in der
Häute-Saone mit nur 17! Bei den Wahlprüfungen werden wohl allerlei
merkwürdige Dinge ans Licht kommen!

Jedermann weiß, welche Pression eine vielarmige Verwaltung zu üben
im Stande ist; hier besitzt der Kaiser eine Zuckerfabrik; den Bauern wird
gedroht, ihre Rüben würden ihnen nicht mehr abgekauft, wenn sie nicht für
den bezeichneten Candidaten stimmten. Da wird ein Vicinalweg versprochen,
hier eine Eisenbahn; da verbietet der Maire, die Aufrufe des liberalen
Comite's anzuschlagen, in Besancon werden die Wahlprogramme des oppo¬
sitionellen Candidaten Ordinaire vom Polizisten ohne Weiteres herunter¬
gerissen. Die schnödeste Art aber ist die Eintheilung der Wahlbezirke, die
allein von der Regierung ausgeht: die Städte sind natürlich oppositionell;
da werden einfach ein Stadtviertel und mehrere benachbarte Dörfer in einen
Wahlbezirk zusammengekoppelt, wobei die Bauern die Mehrzahl zu Gunsten
des Officiellen bilden. Auf solche listige Weise sahen sich Städte wie Bordeaux
und Nantes um den Mann ihrer Wahl betrogen. Was Wunder, wenn die
Wuth über solche schmähliche Behandlung sie zu offener Empörung treibt!


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[0508] vergaß man die wirklichen Verdienste des ehrgeizigen Mannes. Seit einigen Monaten endlich gingen die Fluthen immer höher, bis zudem entscheidenden Tage der Wahlen. Die oppositionellen Parteien haben eine Taktik befolgt, die sich als vortrefflich erwiesen hat, die nämlich, viele Candidaten zu gleicher Zeit aufzustellen. Dadurch wird eine größere Zahl von Wählern interesstrt, weil diese ihre speciellen Wünsche und Ansichten vertreten sehen können; freilich tritt in den meisten Fällen Zersplitterung der Stimmen ein (und es waren auch in der That 59 Ballotagen), aber die Mitglieder der Union liderals sind verpflichtet, zu Gunsten des Candidaten derselben Partei, der die meisten Stimmen hat, zurückzutreten. Wer das erste Mal angestimmt hat, bleibt das zweite Mal nicht gern zurück und gibt dann seine Stimme für denjeni¬ gen ab, der ihm, wenn nicht der beste, doch der wenigst schlechte erscheint. Nun, nach dem Gesammtergebnisse zählt die Opposition aller Art 89 Mitglieder; da aber vier von ihnen doppelt gewählt sind, so wird ihre Zahl auf 93 steigen. Auf diese Weise wird es wohl auch möglich werden, Glais-Bizoin und Lavertuchon (Bordeaux), die ihren officiellen Gegnern unterlegen sind, in die Kammer zu bringen. Verhängniszvolle Zahlen, diese 89 und 93! Die officiellen und gouvernementalen sind' 199 Mann stark. Aber wie ist diese Majorität erreicht? Vor Allem darf man nicht außer Acht lassen, daß die gesammte Mehrheit nur ca. 800,000 Stimmen beträgt, wäh¬ rend es noch im Jahre 1863 derer 3Vü Millionen waren! Von 7^2 Millio¬ nen Wählern haben also in diesen sechs Jahren ca. 2^ Millionen die Re¬ gierung verlassen, um auf die Seite der Opposition zu treten. In vielen Be¬ zirken siegte der officielle Candidat mit kaum hundert Stimmen, ja in der Häute-Saone mit nur 17! Bei den Wahlprüfungen werden wohl allerlei merkwürdige Dinge ans Licht kommen! Jedermann weiß, welche Pression eine vielarmige Verwaltung zu üben im Stande ist; hier besitzt der Kaiser eine Zuckerfabrik; den Bauern wird gedroht, ihre Rüben würden ihnen nicht mehr abgekauft, wenn sie nicht für den bezeichneten Candidaten stimmten. Da wird ein Vicinalweg versprochen, hier eine Eisenbahn; da verbietet der Maire, die Aufrufe des liberalen Comite's anzuschlagen, in Besancon werden die Wahlprogramme des oppo¬ sitionellen Candidaten Ordinaire vom Polizisten ohne Weiteres herunter¬ gerissen. Die schnödeste Art aber ist die Eintheilung der Wahlbezirke, die allein von der Regierung ausgeht: die Städte sind natürlich oppositionell; da werden einfach ein Stadtviertel und mehrere benachbarte Dörfer in einen Wahlbezirk zusammengekoppelt, wobei die Bauern die Mehrzahl zu Gunsten des Officiellen bilden. Auf solche listige Weise sahen sich Städte wie Bordeaux und Nantes um den Mann ihrer Wahl betrogen. Was Wunder, wenn die Wuth über solche schmähliche Behandlung sie zu offener Empörung treibt!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/508>, abgerufen am 24.07.2024.