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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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geistigen Lebens, in den Winkel gedrückt, kleinstädtisch, eingesponnen in einen
höchst engen Partieulariswus politischer wie unpolitischer Art ist diese Hoch¬
schul" so recht darauf angelegt, Lehrern, wie Schülern den geistigen Horizont
beschränkt zu erhalten, eine quietistische, selbstgenugsame Richtung zu ent¬
wickeln. Selbst als Durchgangsstation für die Professur jüngerer Docenten
erscheint sie nicht geeignet; strebsame Kräfte fliehen sie möglichst. Sie leidet
ohnehin an Dürftigkeit der Frequenz. Was ist das für eine Universität mit
8 Docenten, 30 Studenten der Jurisprudenz, im Ganzen über SO Lehrern
und etwas über 130 Schülern! Man sollte diesen Universitätsflecken getrost
eingehen lassen und die Studirenden für die Staatsämter schon jetzt ver¬
pflichten, mindestens die letzten Semester unbedingt nicht in Kiel, sondern
in Berlin oder einer anderen wirklich universellen Universität Altpreußens
zuzubringen. Schleswig-Holstein würde ein Bedürfniß nach Ersatz für den
Verlust des Christian - Albrechts - Instituts wohl nur in der Einbildung
fühlen, in Wahrheit aber reiche Entschädigung in dem frischeren Einströmen
der freien, universellen, nationalen geistigen Bildung erhalten. Für die
Pastoralen Bedürfnisse der 900,000 Schleswig-Holsteiner könnte man ja
immer eine theologische Facultät als berechtigte Landeseigenthümlichkeit
irgendwo, vielleicht am Sitze eines der Landesklöster, bestehen lassen.

So lange der durch die haldinsulare Lage unserer Provinz entwickelte
Bann, der auf der Intelligenz der Bevölkerung lastet, nicht gehoben ist,
werden wir auch keine respectable Presse erhalten. Noch ist wenig zu merken,
daß die Gedankenöde, Trivialität und geschmacklose Form in unseren Zei¬
tungen an Breite verliere. Der "Altonaer Merkur", das älteste und lange
Zeit wohl immer beste, Blatt der Provinz, ist inzwischen in die Hände eines
Hamburger speculativen Buchhändlers gefallen, der auf Hamburger Seite
Eigenthümer der vielgelesenen , in demokratischen Sinne redigirten "Reform",
ist --eine Straßenbreite davon entfernt den Verleger des in preußisch-officiöser
Manier von der Berliner Centralpreßstelle und Herrn Edgar Bauer redigirten
Altonaer Blattes abgibt. Derartige politische Charakterköpfe findet man hier
ganz natürlich. Obwohl das Blatt fortgesetzt durch die officiellen Anzeigen
sämmtlicher Behörden subventionirt wird, ist seine Abonnentenzahl auf einige
hundert heruntergekommen, und es bleibt ziemlich unbegreiflich, wer eigentlich
noch dabei seine Rechnung findet. Die Regierung scheint sich von dieser
Seite her besondere Erfolge auch nicht mehr zu versprechen. Sie hat dafür
in Kiel mit dem "Kieler Correspondenzblatt" ein neues ossiciöses Pre߬
unternehmen versucht, das seit dem 1. April d. I. um sein Dasein kämpft.
Als Redacteur fungirt Dr. Julius Schladebach, der, irre ich nicht, vor zehn
Jahren die "Posener Zeitung" in officiösen Sinne leitete, dann im Berliner
Centralpreßbureau beschäftigt wurde, dann in Hannover einige Jahre die


Grenzboten II. 18L9. 63

geistigen Lebens, in den Winkel gedrückt, kleinstädtisch, eingesponnen in einen
höchst engen Partieulariswus politischer wie unpolitischer Art ist diese Hoch¬
schul« so recht darauf angelegt, Lehrern, wie Schülern den geistigen Horizont
beschränkt zu erhalten, eine quietistische, selbstgenugsame Richtung zu ent¬
wickeln. Selbst als Durchgangsstation für die Professur jüngerer Docenten
erscheint sie nicht geeignet; strebsame Kräfte fliehen sie möglichst. Sie leidet
ohnehin an Dürftigkeit der Frequenz. Was ist das für eine Universität mit
8 Docenten, 30 Studenten der Jurisprudenz, im Ganzen über SO Lehrern
und etwas über 130 Schülern! Man sollte diesen Universitätsflecken getrost
eingehen lassen und die Studirenden für die Staatsämter schon jetzt ver¬
pflichten, mindestens die letzten Semester unbedingt nicht in Kiel, sondern
in Berlin oder einer anderen wirklich universellen Universität Altpreußens
zuzubringen. Schleswig-Holstein würde ein Bedürfniß nach Ersatz für den
Verlust des Christian - Albrechts - Instituts wohl nur in der Einbildung
fühlen, in Wahrheit aber reiche Entschädigung in dem frischeren Einströmen
der freien, universellen, nationalen geistigen Bildung erhalten. Für die
Pastoralen Bedürfnisse der 900,000 Schleswig-Holsteiner könnte man ja
immer eine theologische Facultät als berechtigte Landeseigenthümlichkeit
irgendwo, vielleicht am Sitze eines der Landesklöster, bestehen lassen.

So lange der durch die haldinsulare Lage unserer Provinz entwickelte
Bann, der auf der Intelligenz der Bevölkerung lastet, nicht gehoben ist,
werden wir auch keine respectable Presse erhalten. Noch ist wenig zu merken,
daß die Gedankenöde, Trivialität und geschmacklose Form in unseren Zei¬
tungen an Breite verliere. Der „Altonaer Merkur", das älteste und lange
Zeit wohl immer beste, Blatt der Provinz, ist inzwischen in die Hände eines
Hamburger speculativen Buchhändlers gefallen, der auf Hamburger Seite
Eigenthümer der vielgelesenen , in demokratischen Sinne redigirten „Reform",
ist —eine Straßenbreite davon entfernt den Verleger des in preußisch-officiöser
Manier von der Berliner Centralpreßstelle und Herrn Edgar Bauer redigirten
Altonaer Blattes abgibt. Derartige politische Charakterköpfe findet man hier
ganz natürlich. Obwohl das Blatt fortgesetzt durch die officiellen Anzeigen
sämmtlicher Behörden subventionirt wird, ist seine Abonnentenzahl auf einige
hundert heruntergekommen, und es bleibt ziemlich unbegreiflich, wer eigentlich
noch dabei seine Rechnung findet. Die Regierung scheint sich von dieser
Seite her besondere Erfolge auch nicht mehr zu versprechen. Sie hat dafür
in Kiel mit dem „Kieler Correspondenzblatt" ein neues ossiciöses Pre߬
unternehmen versucht, das seit dem 1. April d. I. um sein Dasein kämpft.
Als Redacteur fungirt Dr. Julius Schladebach, der, irre ich nicht, vor zehn
Jahren die „Posener Zeitung" in officiösen Sinne leitete, dann im Berliner
Centralpreßbureau beschäftigt wurde, dann in Hannover einige Jahre die


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[0505] geistigen Lebens, in den Winkel gedrückt, kleinstädtisch, eingesponnen in einen höchst engen Partieulariswus politischer wie unpolitischer Art ist diese Hoch¬ schul« so recht darauf angelegt, Lehrern, wie Schülern den geistigen Horizont beschränkt zu erhalten, eine quietistische, selbstgenugsame Richtung zu ent¬ wickeln. Selbst als Durchgangsstation für die Professur jüngerer Docenten erscheint sie nicht geeignet; strebsame Kräfte fliehen sie möglichst. Sie leidet ohnehin an Dürftigkeit der Frequenz. Was ist das für eine Universität mit 8 Docenten, 30 Studenten der Jurisprudenz, im Ganzen über SO Lehrern und etwas über 130 Schülern! Man sollte diesen Universitätsflecken getrost eingehen lassen und die Studirenden für die Staatsämter schon jetzt ver¬ pflichten, mindestens die letzten Semester unbedingt nicht in Kiel, sondern in Berlin oder einer anderen wirklich universellen Universität Altpreußens zuzubringen. Schleswig-Holstein würde ein Bedürfniß nach Ersatz für den Verlust des Christian - Albrechts - Instituts wohl nur in der Einbildung fühlen, in Wahrheit aber reiche Entschädigung in dem frischeren Einströmen der freien, universellen, nationalen geistigen Bildung erhalten. Für die Pastoralen Bedürfnisse der 900,000 Schleswig-Holsteiner könnte man ja immer eine theologische Facultät als berechtigte Landeseigenthümlichkeit irgendwo, vielleicht am Sitze eines der Landesklöster, bestehen lassen. So lange der durch die haldinsulare Lage unserer Provinz entwickelte Bann, der auf der Intelligenz der Bevölkerung lastet, nicht gehoben ist, werden wir auch keine respectable Presse erhalten. Noch ist wenig zu merken, daß die Gedankenöde, Trivialität und geschmacklose Form in unseren Zei¬ tungen an Breite verliere. Der „Altonaer Merkur", das älteste und lange Zeit wohl immer beste, Blatt der Provinz, ist inzwischen in die Hände eines Hamburger speculativen Buchhändlers gefallen, der auf Hamburger Seite Eigenthümer der vielgelesenen , in demokratischen Sinne redigirten „Reform", ist —eine Straßenbreite davon entfernt den Verleger des in preußisch-officiöser Manier von der Berliner Centralpreßstelle und Herrn Edgar Bauer redigirten Altonaer Blattes abgibt. Derartige politische Charakterköpfe findet man hier ganz natürlich. Obwohl das Blatt fortgesetzt durch die officiellen Anzeigen sämmtlicher Behörden subventionirt wird, ist seine Abonnentenzahl auf einige hundert heruntergekommen, und es bleibt ziemlich unbegreiflich, wer eigentlich noch dabei seine Rechnung findet. Die Regierung scheint sich von dieser Seite her besondere Erfolge auch nicht mehr zu versprechen. Sie hat dafür in Kiel mit dem „Kieler Correspondenzblatt" ein neues ossiciöses Pre߬ unternehmen versucht, das seit dem 1. April d. I. um sein Dasein kämpft. Als Redacteur fungirt Dr. Julius Schladebach, der, irre ich nicht, vor zehn Jahren die „Posener Zeitung" in officiösen Sinne leitete, dann im Berliner Centralpreßbureau beschäftigt wurde, dann in Hannover einige Jahre die Grenzboten II. 18L9. 63

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/505>, abgerufen am 24.07.2024.