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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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die Begnadigung von populären Angeklagten zu fordern. Für die Vorbereitung
solcher Massendemonstrationen muß sich sehr früh eine bestimmte Methode
ausgebildet haben, über welche wir nichts wissen, die aber zu den merkwür¬
digsten Erscheinungen des Straßenlebens im spätern Alterthum gehört. Wenn
im römischen Senat mehrere Hundert Stimmen den Kaiser mit langen Rede¬
sätzen emphatisch begrüßten, so kann man sich wohl denken, daß die Worte,
soweit sie nicht als formelhaft und herkömmlich in Jedermanns Gedächtniß
waren, von den Führern und Einpeitschern des Senats vorher schriftlich
mitgetheilt wurden. In einer Circusversammlung von 2--300.000 Menschen
war dies Ablesen unmöglich, und doch mußte eine organisirte Verabredung statt¬
finden, welche durch Claqueure der Rennclubs und durch Helden der Straße
vermittelt worden sein mag. Was auf abgelegene Mauerwinkel gekritzelt,
in hundert Osterien umhergetragen, in den zahlreichen Innungen und Brüder¬
schaften des alten Roms besprochen wurde, das klang zuletzt wie Donnersturm
von den Sitzreihen des Circus, und zwar nicht als unverständliches Geschrei,
sondern deutlich, in sicheren Absätzen, mit gleicher Modulation der Stimme,
erschütternd in das Ohr. Groß war die Bedeutung dieser Zurufe für die
Machthaber. Schon die Biographen der späteren Kaiser verzeichnen lange
Acclamationen. Als das römische Reich des Westens getilgt war und ger¬
manische Könige über die alten Provinzen des Kaiserstaats herrschten, dauerte
in den Stadtgemeinden derselbe römische Brauch, und mit ängstlicher Kritik
wurde von den gothischen und fränkischen Königen jedes Wort eines solchen
Zurufs erwogen, den die Bruderschaften der Bürger überdacht und her¬
gesungen hatten.

Bei solcher Bedeutung der Rennbahn für das Volk und seine Herrscher
war es natürlich, daß der Hof nicht nur aus leidenschaftlicher Freude am Sport
einzelne Clubs begünstigte, welche gerade populär waren, und daß diese Partei¬
nahme der Kaiser und ihrer Günstlinge die Unzufriedenen und den Oppo¬
sitionsgeist der Bürgerschaft um die entgegengesetzte Partei sammelte.
Wenn dann das Volk in auffälliger Weise für Meergrün Partei nahm,
während die Freunde des Kaisers dem Lauchgrün zuriefen, so war nicht zu
verwundern, daß ein schwacher Fürst darin persönliche Beleidigung sah und
gelegentlich den herausfordernden Trotz eines Jockey mit tödtlichen Haß
verfolgte. Die Pflicht, das Volk unablässig zu amüsiren, gehört zu den alten
Leiden des Imperialismus, und ebenso die Versuchung, in jeder Unart der
Straße und des Schauspiels einen persönlichen Angriff auf die Person des
Herrschers zu finden.

Die vier Parteien der Rennbahn bestanden bis in die Byzantinerzeit,
je zwei derselben, die Schimmel und die Lauchgrünen, und wieder die Braunen
und die Meergrünen standen in engerer Verbindung, doch scheinen die schwächeren


die Begnadigung von populären Angeklagten zu fordern. Für die Vorbereitung
solcher Massendemonstrationen muß sich sehr früh eine bestimmte Methode
ausgebildet haben, über welche wir nichts wissen, die aber zu den merkwür¬
digsten Erscheinungen des Straßenlebens im spätern Alterthum gehört. Wenn
im römischen Senat mehrere Hundert Stimmen den Kaiser mit langen Rede¬
sätzen emphatisch begrüßten, so kann man sich wohl denken, daß die Worte,
soweit sie nicht als formelhaft und herkömmlich in Jedermanns Gedächtniß
waren, von den Führern und Einpeitschern des Senats vorher schriftlich
mitgetheilt wurden. In einer Circusversammlung von 2—300.000 Menschen
war dies Ablesen unmöglich, und doch mußte eine organisirte Verabredung statt¬
finden, welche durch Claqueure der Rennclubs und durch Helden der Straße
vermittelt worden sein mag. Was auf abgelegene Mauerwinkel gekritzelt,
in hundert Osterien umhergetragen, in den zahlreichen Innungen und Brüder¬
schaften des alten Roms besprochen wurde, das klang zuletzt wie Donnersturm
von den Sitzreihen des Circus, und zwar nicht als unverständliches Geschrei,
sondern deutlich, in sicheren Absätzen, mit gleicher Modulation der Stimme,
erschütternd in das Ohr. Groß war die Bedeutung dieser Zurufe für die
Machthaber. Schon die Biographen der späteren Kaiser verzeichnen lange
Acclamationen. Als das römische Reich des Westens getilgt war und ger¬
manische Könige über die alten Provinzen des Kaiserstaats herrschten, dauerte
in den Stadtgemeinden derselbe römische Brauch, und mit ängstlicher Kritik
wurde von den gothischen und fränkischen Königen jedes Wort eines solchen
Zurufs erwogen, den die Bruderschaften der Bürger überdacht und her¬
gesungen hatten.

Bei solcher Bedeutung der Rennbahn für das Volk und seine Herrscher
war es natürlich, daß der Hof nicht nur aus leidenschaftlicher Freude am Sport
einzelne Clubs begünstigte, welche gerade populär waren, und daß diese Partei¬
nahme der Kaiser und ihrer Günstlinge die Unzufriedenen und den Oppo¬
sitionsgeist der Bürgerschaft um die entgegengesetzte Partei sammelte.
Wenn dann das Volk in auffälliger Weise für Meergrün Partei nahm,
während die Freunde des Kaisers dem Lauchgrün zuriefen, so war nicht zu
verwundern, daß ein schwacher Fürst darin persönliche Beleidigung sah und
gelegentlich den herausfordernden Trotz eines Jockey mit tödtlichen Haß
verfolgte. Die Pflicht, das Volk unablässig zu amüsiren, gehört zu den alten
Leiden des Imperialismus, und ebenso die Versuchung, in jeder Unart der
Straße und des Schauspiels einen persönlichen Angriff auf die Person des
Herrschers zu finden.

Die vier Parteien der Rennbahn bestanden bis in die Byzantinerzeit,
je zwei derselben, die Schimmel und die Lauchgrünen, und wieder die Braunen
und die Meergrünen standen in engerer Verbindung, doch scheinen die schwächeren


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[0453] die Begnadigung von populären Angeklagten zu fordern. Für die Vorbereitung solcher Massendemonstrationen muß sich sehr früh eine bestimmte Methode ausgebildet haben, über welche wir nichts wissen, die aber zu den merkwür¬ digsten Erscheinungen des Straßenlebens im spätern Alterthum gehört. Wenn im römischen Senat mehrere Hundert Stimmen den Kaiser mit langen Rede¬ sätzen emphatisch begrüßten, so kann man sich wohl denken, daß die Worte, soweit sie nicht als formelhaft und herkömmlich in Jedermanns Gedächtniß waren, von den Führern und Einpeitschern des Senats vorher schriftlich mitgetheilt wurden. In einer Circusversammlung von 2—300.000 Menschen war dies Ablesen unmöglich, und doch mußte eine organisirte Verabredung statt¬ finden, welche durch Claqueure der Rennclubs und durch Helden der Straße vermittelt worden sein mag. Was auf abgelegene Mauerwinkel gekritzelt, in hundert Osterien umhergetragen, in den zahlreichen Innungen und Brüder¬ schaften des alten Roms besprochen wurde, das klang zuletzt wie Donnersturm von den Sitzreihen des Circus, und zwar nicht als unverständliches Geschrei, sondern deutlich, in sicheren Absätzen, mit gleicher Modulation der Stimme, erschütternd in das Ohr. Groß war die Bedeutung dieser Zurufe für die Machthaber. Schon die Biographen der späteren Kaiser verzeichnen lange Acclamationen. Als das römische Reich des Westens getilgt war und ger¬ manische Könige über die alten Provinzen des Kaiserstaats herrschten, dauerte in den Stadtgemeinden derselbe römische Brauch, und mit ängstlicher Kritik wurde von den gothischen und fränkischen Königen jedes Wort eines solchen Zurufs erwogen, den die Bruderschaften der Bürger überdacht und her¬ gesungen hatten. Bei solcher Bedeutung der Rennbahn für das Volk und seine Herrscher war es natürlich, daß der Hof nicht nur aus leidenschaftlicher Freude am Sport einzelne Clubs begünstigte, welche gerade populär waren, und daß diese Partei¬ nahme der Kaiser und ihrer Günstlinge die Unzufriedenen und den Oppo¬ sitionsgeist der Bürgerschaft um die entgegengesetzte Partei sammelte. Wenn dann das Volk in auffälliger Weise für Meergrün Partei nahm, während die Freunde des Kaisers dem Lauchgrün zuriefen, so war nicht zu verwundern, daß ein schwacher Fürst darin persönliche Beleidigung sah und gelegentlich den herausfordernden Trotz eines Jockey mit tödtlichen Haß verfolgte. Die Pflicht, das Volk unablässig zu amüsiren, gehört zu den alten Leiden des Imperialismus, und ebenso die Versuchung, in jeder Unart der Straße und des Schauspiels einen persönlichen Angriff auf die Person des Herrschers zu finden. Die vier Parteien der Rennbahn bestanden bis in die Byzantinerzeit, je zwei derselben, die Schimmel und die Lauchgrünen, und wieder die Braunen und die Meergrünen standen in engerer Verbindung, doch scheinen die schwächeren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/453>, abgerufen am 25.07.2024.