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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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Sportbericht eines römischen Höckers.

Da in diesen Wochen die Ritter und Senatoren unseres Staates nicht
verschmähen, von der ernsten politischen Arbeit auf der Rennbahn Erholung
zu suchen, möchten gern auch die Grenzboten ihrer Pflicht, Zeitinteressen prü¬
fend zu begleiten, durch einen kleinen Sportartikel genügen. Leider haben
die Rennpferde, welche wir aus 'unseren Ställen auf die Bahn zu bringen
vermögen, ein sehr geisterhaftes Aussehn, denn es sind nur die Schattenbilder
jener Rosse, die vor sechshundert und wieder vor sechszehnhundert Jahren in
den Schranken liefen. Und wir fürchten, statt der Schilderung frischen Le¬
bens nur eine farblose Erinnerung an vergangene Zustände bieten zu kön¬
nen. -- Noch ist das Jahr dem jetzt lebenden Geschlechte nicht vergessen, wo
in Deutschland die ersten Wettrennen mit jährlicher Wiederkehr eingerichtet
wurden nach englischem Muster, als Vergnügen anspruchsvoller Kreise, dem
Volke ein neuer Anblick. Seitdem haben die deutschen Pferderennen so zu¬
genommen, daß jetzt schwerlich einer ansehnlichen Stadt oder Landschaft der
Rennverein fehlt. Wenn der bedächtige Landwirth noch heute mit gemisch¬
ten Empfindungen auf die eingebürgerte Zucht von Rennpferden blickt, auf die
Summen, welche bei Rennwetten umgesetzt werden, und auf Abenteurer aus
alten Familien, welche ihre Stallknechtpassionen und zuweilen die entsprechende
Gesinnung mit dem werbenden Capital ihrer Rosse von einer Landschaft zur
andern führen, so sind seine Bedenken gegen die Rennbahn fast so alt, als die
Nennspiele selbst. Denn es ist keine neue Beobachtung, daß eine spielende Hin¬
gabe an virtuose Leistungen bei Menschen und Thieren die praktische Brauch¬
barkeit für dieselben Zwecke, welche das Spiel fördern soll, selten begünstigt,
Unwesentliches wird die Hauptsache, selbst die Zucht für das Spiel vermin¬
dert die Tüchtigkeit für den Ernst. Auch unleugbarer Nutzen wird vielleicht
aufgewogen durch die Unarten, Verirrungen und Laster, welche mit jeder
leidenschaftlichen Spielfreude unzertrennlich verbunden sind. Das erfuhren schon
die Tjostreiter des Mittelalters, welche ungepanzerten Bauern unterlagen, und
vor ihnen die römischen Kaiser, welche das weiße Tuch in den Circus warfen
und für ihre Kriege Reiterei und Fußvolk von den Barbaren miethen mußten.


Grenzboten II. 1869. 56
Sportbericht eines römischen Höckers.

Da in diesen Wochen die Ritter und Senatoren unseres Staates nicht
verschmähen, von der ernsten politischen Arbeit auf der Rennbahn Erholung
zu suchen, möchten gern auch die Grenzboten ihrer Pflicht, Zeitinteressen prü¬
fend zu begleiten, durch einen kleinen Sportartikel genügen. Leider haben
die Rennpferde, welche wir aus 'unseren Ställen auf die Bahn zu bringen
vermögen, ein sehr geisterhaftes Aussehn, denn es sind nur die Schattenbilder
jener Rosse, die vor sechshundert und wieder vor sechszehnhundert Jahren in
den Schranken liefen. Und wir fürchten, statt der Schilderung frischen Le¬
bens nur eine farblose Erinnerung an vergangene Zustände bieten zu kön¬
nen. — Noch ist das Jahr dem jetzt lebenden Geschlechte nicht vergessen, wo
in Deutschland die ersten Wettrennen mit jährlicher Wiederkehr eingerichtet
wurden nach englischem Muster, als Vergnügen anspruchsvoller Kreise, dem
Volke ein neuer Anblick. Seitdem haben die deutschen Pferderennen so zu¬
genommen, daß jetzt schwerlich einer ansehnlichen Stadt oder Landschaft der
Rennverein fehlt. Wenn der bedächtige Landwirth noch heute mit gemisch¬
ten Empfindungen auf die eingebürgerte Zucht von Rennpferden blickt, auf die
Summen, welche bei Rennwetten umgesetzt werden, und auf Abenteurer aus
alten Familien, welche ihre Stallknechtpassionen und zuweilen die entsprechende
Gesinnung mit dem werbenden Capital ihrer Rosse von einer Landschaft zur
andern führen, so sind seine Bedenken gegen die Rennbahn fast so alt, als die
Nennspiele selbst. Denn es ist keine neue Beobachtung, daß eine spielende Hin¬
gabe an virtuose Leistungen bei Menschen und Thieren die praktische Brauch¬
barkeit für dieselben Zwecke, welche das Spiel fördern soll, selten begünstigt,
Unwesentliches wird die Hauptsache, selbst die Zucht für das Spiel vermin¬
dert die Tüchtigkeit für den Ernst. Auch unleugbarer Nutzen wird vielleicht
aufgewogen durch die Unarten, Verirrungen und Laster, welche mit jeder
leidenschaftlichen Spielfreude unzertrennlich verbunden sind. Das erfuhren schon
die Tjostreiter des Mittelalters, welche ungepanzerten Bauern unterlagen, und
vor ihnen die römischen Kaiser, welche das weiße Tuch in den Circus warfen
und für ihre Kriege Reiterei und Fußvolk von den Barbaren miethen mußten.


Grenzboten II. 1869. 56
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[0449] Sportbericht eines römischen Höckers. Da in diesen Wochen die Ritter und Senatoren unseres Staates nicht verschmähen, von der ernsten politischen Arbeit auf der Rennbahn Erholung zu suchen, möchten gern auch die Grenzboten ihrer Pflicht, Zeitinteressen prü¬ fend zu begleiten, durch einen kleinen Sportartikel genügen. Leider haben die Rennpferde, welche wir aus 'unseren Ställen auf die Bahn zu bringen vermögen, ein sehr geisterhaftes Aussehn, denn es sind nur die Schattenbilder jener Rosse, die vor sechshundert und wieder vor sechszehnhundert Jahren in den Schranken liefen. Und wir fürchten, statt der Schilderung frischen Le¬ bens nur eine farblose Erinnerung an vergangene Zustände bieten zu kön¬ nen. — Noch ist das Jahr dem jetzt lebenden Geschlechte nicht vergessen, wo in Deutschland die ersten Wettrennen mit jährlicher Wiederkehr eingerichtet wurden nach englischem Muster, als Vergnügen anspruchsvoller Kreise, dem Volke ein neuer Anblick. Seitdem haben die deutschen Pferderennen so zu¬ genommen, daß jetzt schwerlich einer ansehnlichen Stadt oder Landschaft der Rennverein fehlt. Wenn der bedächtige Landwirth noch heute mit gemisch¬ ten Empfindungen auf die eingebürgerte Zucht von Rennpferden blickt, auf die Summen, welche bei Rennwetten umgesetzt werden, und auf Abenteurer aus alten Familien, welche ihre Stallknechtpassionen und zuweilen die entsprechende Gesinnung mit dem werbenden Capital ihrer Rosse von einer Landschaft zur andern führen, so sind seine Bedenken gegen die Rennbahn fast so alt, als die Nennspiele selbst. Denn es ist keine neue Beobachtung, daß eine spielende Hin¬ gabe an virtuose Leistungen bei Menschen und Thieren die praktische Brauch¬ barkeit für dieselben Zwecke, welche das Spiel fördern soll, selten begünstigt, Unwesentliches wird die Hauptsache, selbst die Zucht für das Spiel vermin¬ dert die Tüchtigkeit für den Ernst. Auch unleugbarer Nutzen wird vielleicht aufgewogen durch die Unarten, Verirrungen und Laster, welche mit jeder leidenschaftlichen Spielfreude unzertrennlich verbunden sind. Das erfuhren schon die Tjostreiter des Mittelalters, welche ungepanzerten Bauern unterlagen, und vor ihnen die römischen Kaiser, welche das weiße Tuch in den Circus warfen und für ihre Kriege Reiterei und Fußvolk von den Barbaren miethen mußten. Grenzboten II. 1869. 56

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/449>, abgerufen am 04.07.2024.